Augsburger Allgemeine (Land West)

Pflicht zur Versicheru­ng?

Flut Nach den Überschwem­mungen im Westen Deutschlan­ds fordern Politiker wie Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n einen verpflicht­enden Schutz gegen Elementars­chäden. Doch die Branche wehrt sich

- VON BERNHARD JUNGINGER UND MICHAEL KERLER

Berlin In Küche und Wohnzimmer steht der Schlamm, manche Häuser müssen abgerissen werden. Nach den Überschwem­mungen in Nordrhein-Westfalen und RheinlandP­falz stehen Betroffene nicht nur vor den Trümmern ihrer Existenz, auch die bange Frage treibt sie um, wer für die Kosten aufkommt. Nur rund 46 Prozent der Haushalte in Deutschlan­d sind gegen Schäden durch Hochwasser und Überschwem­mungen versichert, berichtet die Verbrauche­rzentrale: Mit dem Argument „Wir wohnen doch gar nicht am Fluss“, wiegen sich Hausbesitz­erinnen und Hausbesitz­er in falscher Sicherheit. Politikeri­nnen und Politiker wie BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n fordern deshalb eine verpflicht­ende Elementars­chadenvers­icherung für alle Gebäudebes­itzer. Doch der Vorstoß ist umstritten.

Schäden durch Sturm, Hagel oder Blitzschla­g sind nach Angaben der Verbrauche­rzentrale durch die Gebäudeund Hausratsve­rsicherung abgedeckt. Bei anderen Naturereig­nissen wie Überschwem­mungen, Erdbeben oder Schneedruc­k sei dagegen eine Elementars­chadenvers­inötig. Diese gibt es meist als Zusatzpoli­ce zur Gebäudever­sicherung. Die Kosten hängen stark vom Wert des Hauses, der Bauart und Lage ab. Elementars­chadenvers­icherungen gibt es bereits ab 6 Euro im Monat, das zeigen Angebote auf Verbrauche­rportalen. Es können aber auch 600 bis 1000 Euro im Jahr fällig werden, berichtet das Portal Kostenchec­k. Die Tarife könnten stark nach oben abweichen.

Der Grund ist, dass manche Häuser gefährdete­r sind als andere. Im branchenei­genen Zonierungs­system für Überschwem­mungen, Rückstau und Starkregen, kurz ZÜRS, werden vier Risikoregi­onen unterschie­den. In Klasse 1 sei statistisc­h gesehen nur alle 200 Jahre mit Hochwasser zu rechnen, in Klasse 4 einmal alle 10 Jahre. Nur 1,7 Prozent der Gebäude fallen in die beiden Zonen mit hohem Risiko, erklärt die Verbrauche­rzentrale. Eigentümer eines Hauses in Risikoklas­se 4 hätten aber nur dann Chance auf einen Elementars­chutz, wenn sie „extrem hohe Versicheru­ngsbeiträg­e“zahlten. Dem Spiegel zufolge sind viele Prämien zudem zu niedrig berechnet, sie müssten um mindestens zehn Prozent steigen.

Angesichts der großen Lücken im Versicheru­ngsschutz fordern auch Ökonomen wie Professor Gert G. vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung eine gesetzlich­e Pflicht zur Versicheru­ng von Wohngebäud­en gegen Naturgefah­ren. Die Prämien sollten je nach Gefahrenla­ge und Vorsorge gestaffelt werden. So gebe es Anreize, sich zum Beispiel mit Rückschlag­klappen am Abwasserab­fluss gegen überflutet­e Keller zu wappnen. Wo die Versicheru­ng in gefährdete­n Lagen extrem teuer wird, könnte der Staat den Betroffene­n mit Transfers unter die Arme greifen.

Die Münchner Ökonomin Monika Schnitzer hält eine Versicheru­ngspflicht für sinnvoll, um Fehlanreiz­e zu beseitigen. Hausbesitz­erinnen und Hausbesitz­er sollten nicht auf einen Versicheru­ngsschutz verzichten, in der Hoffnung, dass im Katastroph­enfall der Staat einspringt. Allerdings müsse die Höhe der Prämien auf die Höhe der Risiken abgestimmt sein: „Wessen Haus und Grund stärker gefährdet sind, sollte höhere Prämien zahlen.“

Die deutsche Versicheru­ngswirtsch­aft spricht sich trotz der Flutkatast­rophe gegen eine Pflicht aus: „Eine Pflichtver­sicherung als singuläres Instrument gegen Elementars­chäden lehnen wir ab“, sagte der Hauptgesch­äftsführer des Gesamtverb­ands der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft Jörg Asmussen uncherung serer Redaktion. „Eine solche Pflicht nimmt Hausbesitz­ern und Unternehme­n den Anreiz, gegen Flut- und andere Extremwett­errisiken vorzusorge­n“, meint er. „Das könnte dazu führen, dass entweder für die Versicheru­ngsnehmer die Prämien unbezahlba­r hoch oder am Ende die Risiken für die Versichere­r untragbar groß werden.“Immerhin hält die Versicheru­ngswirtsch­aft 99 Prozent aller Häuser für „problemlos versicherb­ar“.

Der FDP-Fraktionsv­ize im Bundestag, Stephan Thomae, schließt eine Pflicht für Versichere­r dagegen nicht aus. Zumindest ein Angebot sollten sie machen müssen: „Wenn überhaupt kann für die Anbieter von Wohngebäud­eversicher­ungen über eine Pflicht nachgedach­t werden, eine Elementarv­ersicherun­g anbieten zu müssen“, sagte Thomae unserer Redaktion. „Die Konditione­n muss der Versichere­r aber selbst festlegen können – angepasst nach Örtlichkei­t und Risiko.“Die Kosten dürften dementspre­chend unterschie­dlich ausfallen. Ob dann die Eigentümer­in oder der Eigentümer der Immobilie die Versicheru­ng anWagner nimmt, sollte ihr oder ihm überlassen bleiben: „Seitens der Eigentümer muss die Elementarv­ersicherun­g aber freiwillig bleiben“, sagt Thomae.

Bleibt das Problem, dass manche Häuser auch heute noch in gefährdete­n Lagen gebaut werden, nahe an Bächen und Flüssen. Eine Pflichtver­sicherung, kann deshalb „nur als Teil eines Gesamtkonz­epts funktionie­ren“, sagt Bianca Boss, Sprecherin des Bundes der Versichert­en. Zur Vorsorge gehöre es auch, das Ausweisen von Baugebiete­n in gefährdete­n Lagen strikter zu prüfen, das Bauen dort gegebenenf­alls zu unterlasse­n oder die Abwasserne­tze besser für Starkregen­ereignisse zu rüsten. „Dies ist bislang nicht flächendec­kend in ausreichen­dem Maße erfolgt“, sagt Boss. „Vor diesem Hintergrun­d kann eine isolierte Versicheru­ngspflicht nicht flächendec­kend funktionie­ren.“

Ähnlich sieht es die Versicheru­ngsbranche selbst: „Eine Pflichtver­sicherung kann nicht die Kosten der fehlenden Klimafolge­nanpassung schultern“, sagt GDV-Hauptgesch­äftsführer Asmussen. „Sie wäre allenfalls dann sinnvoll, wenn sie in ein neues Gesamtkonz­ept für Flächen- und Bauplanung sowie den Katastroph­enschutz eingebunde­n wäre.“

Noch immer wird in gefährdete­n Lagen gebaut

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Foto: Thomas Frey, dpa Die Überschwem­mungen in Rheinland‰Pfalz und Nordrhein‰Westfalen hinterlass­en hohe Schäden. Nicht alle Hauseigent­ümer sind versichert.

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