Augsburger Allgemeine (Land West)
Pflicht zur Versicherung?
Flut Nach den Überschwemmungen im Westen Deutschlands fordern Politiker wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann einen verpflichtenden Schutz gegen Elementarschäden. Doch die Branche wehrt sich
Berlin In Küche und Wohnzimmer steht der Schlamm, manche Häuser müssen abgerissen werden. Nach den Überschwemmungen in Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz stehen Betroffene nicht nur vor den Trümmern ihrer Existenz, auch die bange Frage treibt sie um, wer für die Kosten aufkommt. Nur rund 46 Prozent der Haushalte in Deutschland sind gegen Schäden durch Hochwasser und Überschwemmungen versichert, berichtet die Verbraucherzentrale: Mit dem Argument „Wir wohnen doch gar nicht am Fluss“, wiegen sich Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer in falscher Sicherheit. Politikerinnen und Politiker wie BadenWürttembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann fordern deshalb eine verpflichtende Elementarschadenversicherung für alle Gebäudebesitzer. Doch der Vorstoß ist umstritten.
Schäden durch Sturm, Hagel oder Blitzschlag sind nach Angaben der Verbraucherzentrale durch die Gebäudeund Hausratsversicherung abgedeckt. Bei anderen Naturereignissen wie Überschwemmungen, Erdbeben oder Schneedruck sei dagegen eine Elementarschadenversinötig. Diese gibt es meist als Zusatzpolice zur Gebäudeversicherung. Die Kosten hängen stark vom Wert des Hauses, der Bauart und Lage ab. Elementarschadenversicherungen gibt es bereits ab 6 Euro im Monat, das zeigen Angebote auf Verbraucherportalen. Es können aber auch 600 bis 1000 Euro im Jahr fällig werden, berichtet das Portal Kostencheck. Die Tarife könnten stark nach oben abweichen.
Der Grund ist, dass manche Häuser gefährdeter sind als andere. Im brancheneigenen Zonierungssystem für Überschwemmungen, Rückstau und Starkregen, kurz ZÜRS, werden vier Risikoregionen unterschieden. In Klasse 1 sei statistisch gesehen nur alle 200 Jahre mit Hochwasser zu rechnen, in Klasse 4 einmal alle 10 Jahre. Nur 1,7 Prozent der Gebäude fallen in die beiden Zonen mit hohem Risiko, erklärt die Verbraucherzentrale. Eigentümer eines Hauses in Risikoklasse 4 hätten aber nur dann Chance auf einen Elementarschutz, wenn sie „extrem hohe Versicherungsbeiträge“zahlten. Dem Spiegel zufolge sind viele Prämien zudem zu niedrig berechnet, sie müssten um mindestens zehn Prozent steigen.
Angesichts der großen Lücken im Versicherungsschutz fordern auch Ökonomen wie Professor Gert G. vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung eine gesetzliche Pflicht zur Versicherung von Wohngebäuden gegen Naturgefahren. Die Prämien sollten je nach Gefahrenlage und Vorsorge gestaffelt werden. So gebe es Anreize, sich zum Beispiel mit Rückschlagklappen am Abwasserabfluss gegen überflutete Keller zu wappnen. Wo die Versicherung in gefährdeten Lagen extrem teuer wird, könnte der Staat den Betroffenen mit Transfers unter die Arme greifen.
Die Münchner Ökonomin Monika Schnitzer hält eine Versicherungspflicht für sinnvoll, um Fehlanreize zu beseitigen. Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer sollten nicht auf einen Versicherungsschutz verzichten, in der Hoffnung, dass im Katastrophenfall der Staat einspringt. Allerdings müsse die Höhe der Prämien auf die Höhe der Risiken abgestimmt sein: „Wessen Haus und Grund stärker gefährdet sind, sollte höhere Prämien zahlen.“
Die deutsche Versicherungswirtschaft spricht sich trotz der Flutkatastrophe gegen eine Pflicht aus: „Eine Pflichtversicherung als singuläres Instrument gegen Elementarschäden lehnen wir ab“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft Jörg Asmussen uncherung serer Redaktion. „Eine solche Pflicht nimmt Hausbesitzern und Unternehmen den Anreiz, gegen Flut- und andere Extremwetterrisiken vorzusorgen“, meint er. „Das könnte dazu führen, dass entweder für die Versicherungsnehmer die Prämien unbezahlbar hoch oder am Ende die Risiken für die Versicherer untragbar groß werden.“Immerhin hält die Versicherungswirtschaft 99 Prozent aller Häuser für „problemlos versicherbar“.
Der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Stephan Thomae, schließt eine Pflicht für Versicherer dagegen nicht aus. Zumindest ein Angebot sollten sie machen müssen: „Wenn überhaupt kann für die Anbieter von Wohngebäudeversicherungen über eine Pflicht nachgedacht werden, eine Elementarversicherung anbieten zu müssen“, sagte Thomae unserer Redaktion. „Die Konditionen muss der Versicherer aber selbst festlegen können – angepasst nach Örtlichkeit und Risiko.“Die Kosten dürften dementsprechend unterschiedlich ausfallen. Ob dann die Eigentümerin oder der Eigentümer der Immobilie die Versicherung anWagner nimmt, sollte ihr oder ihm überlassen bleiben: „Seitens der Eigentümer muss die Elementarversicherung aber freiwillig bleiben“, sagt Thomae.
Bleibt das Problem, dass manche Häuser auch heute noch in gefährdeten Lagen gebaut werden, nahe an Bächen und Flüssen. Eine Pflichtversicherung, kann deshalb „nur als Teil eines Gesamtkonzepts funktionieren“, sagt Bianca Boss, Sprecherin des Bundes der Versicherten. Zur Vorsorge gehöre es auch, das Ausweisen von Baugebieten in gefährdeten Lagen strikter zu prüfen, das Bauen dort gegebenenfalls zu unterlassen oder die Abwassernetze besser für Starkregenereignisse zu rüsten. „Dies ist bislang nicht flächendeckend in ausreichendem Maße erfolgt“, sagt Boss. „Vor diesem Hintergrund kann eine isolierte Versicherungspflicht nicht flächendeckend funktionieren.“
Ähnlich sieht es die Versicherungsbranche selbst: „Eine Pflichtversicherung kann nicht die Kosten der fehlenden Klimafolgenanpassung schultern“, sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Asmussen. „Sie wäre allenfalls dann sinnvoll, wenn sie in ein neues Gesamtkonzept für Flächen- und Bauplanung sowie den Katastrophenschutz eingebunden wäre.“
Noch immer wird in gefährdeten Lagen gebaut