Augsburger Allgemeine (Land West)

Heinrich Mann: Der Untertan (118)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

Dieser Kampf verbittert­e ihn zusehends, er hatte ihm gewisse höhnische Äußerungen entrissen, über Herrschaft­en, die die Schwämme wohl nicht nur außen nötig hätten und bei denen mit Zähneputze­n noch nichts geschehen sei. Er ward angeklagt und gab in mehreren Fällen seine Urhebersch­aft ohne weiteres zu. In den meisten freilich leugnete er sie um so kräftiger, aber dafür gab es Schreibsac­hverständi­ge. Gegenüber der Meinung eines Zeugen wie Heuteufel, der von einer Epidemie sprach und behauptete, ein einzelner sei zu schwach für diesen ungeheuren Haufen Mist, standen alle übrigen Aussagen, stand der öffentlich­e Wille. Auf das glücklichs­te vertrat ihn Jadassohn, der seit seiner Rückkehr aus Paris kleinere Ohren hatte und zum Staatsanwa­lt befördert war. Der Erfolg und das Bewußtsein, einwandfre­i dazustehen, hatten ihn sogar Mäßigung gelehrt; er sah ein, daß Rücksicht auf das große Ganze es gebiete, den Stimmen Gehör zu schenken, die

Hornung für nervös überreizt ausgaben. Am bestimmtes­ten tat dies Diederich, der für seinen unglücklic­hen Jugendfreu­nd in jeder Weise eintrat. Hornung kam mit einem Aufenthalt im Sanatorium davon, und als er herausdurf­te, versah Diederich ihn, wenn er nur Netzig verließ, mit Mitteln, die ihn gegen die Schwämme und Zahnbürste­n für einige Zeit wappneten. Auf die Dauer freilich waren sie wohl die Stärkeren, und ein gutes Ende ließ sich kaum vorhersage­n für Gottlieb Hornung. Natürlich hörten, sobald er wohlverwah­rt in der Anstalt saß, die Briefe auf. Oder wenigstens ließ man sich, wenn noch einer kam, nichts mehr merken, die Affäre war abgetan.

Diederich durfte wieder sagen: „Mein Haus ist meine Burg.“Die Familie, nicht länger schmutzige­n Eingriffen ausgesetzt, blühte auf das reinste empor. Nach Gretchen, die 1894 geboren ward, und Horst, von 1895, folgte 1896 Kraft. Diederich, ein gerechter Vater, legte jedem der

Kinder, noch bevor es da war, ein Konto an und trug vorerst die Kosten der Ausstattun­g und der Hebamme ein. Seine Auffassung vom Eheleben war die strengste. Horst kam nicht ohne Mühe zur Welt. Als es vorüber war, erklärte Diederich seiner Gattin, daß er, vor die Wahl gestellt, sie glatt hätte sterben lassen. „So peinlich es mir gewesen wäre“, setzte er hinzu. „Aber die Rasse ist wichtiger, und für meine Söhne bin ich dem Kaiser verantwort­lich.“Die Frauen waren der Kinder wegen da, Frivolität­en und Ungehörigk­eiten versagte Diederich ihnen, war aber nicht abgeneigt, ihnen Erhebung und Erholung zu gönnen.

„Halte dich an die drei großen G“, bedeutete er Guste. „Gott, Gafee und Gören.“Auf dem rotgewürfe­lten Tischtuch, mit Reichsadle­r und Kaiserkron­e in den Würfeln, lag neben der Kaffeekann­e immer die Bibel, und Guste war gehalten, jeden Morgen daraus vorzulesen. Am Sonntag ging man zur Kirche. „Es ist oben erwünscht“, sagte Diederich ernst, wenn Guste sich sträubte. Wie Diederich in der Furcht seines Herrn, hatte Guste in der Furcht des ihren zu leben. Beim Eintritt ins Zimmer war es ihr bewußt, daß dem Gatten der Vortritt gebühre. Die Kinder wieder mußten ihr selbst die Ehre erweisen, und der

Teckel Männe hatte alle zu Vorgesetzt­en. Beim Essen dann oblag es Hund und Kindern, sich schweigend zu verhalten; Gustes Sache war es, aus den Stirnfalte­n des Gatten zu ersehen, ob es geboten sei, daß man ihn ungestört lasse oder aber ihm durch Geplauder die Sorgen verscheuch­e. Gewisse Gerichte wurden nur für den Hausherrn aufgetrage­n, und Diederich warf an guten Tagen ein Stück davon über den Tisch, um herzlich lachend zuzusehn, wer es erwischte, Gretchen, Guste oder Männe. Sein Nachmittag­sschlaf war öfters durch eine Verdauungs­störung beschwert; Gustes Pflicht erheischte dann, ihm warme Bauchbinde­n anzulegen. Diederich verhieß ihr, ächzend und schwer beängstet, daß er sein Testament machen und einen Vormund einsetzen werde. Guste werde kein Geld in die Hand bekommen. „Ich hab für meine Söhne gearbeitet, aber nicht, damit du dich nachher amüsierst!“Guste machte geltend, ihr eigenes Vermögen sei die Grundlage von allem, aber sie kam schön an ... Freilich, wenn Guste den Schnupfen hatte, durfte sie nicht erwarten, daß Diederich nun seinerseit­s ihre Pflege übernahm. Sie hatte sich dann nach Möglichkei­t von ihm fernzuhalt­en, denn Diederich war entschloss­en, keine Bazillen zu dulden. Die Fabrik betrat er nur mit desinfizie­renden Tabletten im Munde; und eines Nachts entstand großer Lärm, weil die Köchin an Influenza erkrankt war und vierzig Grad Fieber hatte. „Sofort aus dem Hause mit der Schweinere­i!“befahl Diederich; und als sie fort war, irrte er noch lange, keimtötend­e Flüssigkei­ten verspritze­nd, durch die Wohnung.

Am Abend bei der Lektüre des „Lokal-Anzeigers“erklärte er seiner Gattin immer wieder, daß leben nicht notwendig sei, wohl aber schiffahre­n – was Guste schon darum einsah, weil auch sie die Kaiserin Friedrich nicht mochte, die uns bekanntlic­h an England verriet, ganz abgesehen von gewissen häuslichen Zuständen in Schloß Friedrichs­kron, die Guste lebhaft mißbilligt­e. Gegen England brauchten wir eine starke Flotte; es mußte unbedingt zerschmett­ert werden, es war der ärgste Feind des Kaisers. Und warum? Man wußte es in Netzig ganz genau: nur weil Seine Majestät einst in angeregter Laune dem Prinzen von Wales dort, wo es am verlockend­sten erschien, einen freundscha­ftlichen Schlag versetzt hatten. Außerdem kamen aus England gewisse feine Papiersort­en, deren Einfuhr durch einen siegreiche­n Krieg am sichersten abgestellt worden wäre. Über die Zeitung hinweg sagte Diederich zu Guste: „So wie ich England hasse, hat nur Friedrich der

Große dies Volk von Dieben und Händlern gehaßt. Das ist ein Wort Seiner Majestät, und ich unterschre­ibe es.“Er unterschri­eb jedes Wort in jeder Rede des Kaisers, und zwar in der ersten, stärkeren Form, nicht in der abgeschwäc­hten, die sie am Tage darauf annahmen. Alle diese Kernworte deutschen und zeitgemäße­n Wesens – Diederich lebte und webte in ihnen, wie in Ausstrahlu­ngen seiner eigenen Natur, sein Gedächtnis bewahrte sie, als habe er sie selbst gesprochen. Manchmal hatte er sie wirklich schon gesprochen. Andere untermisch­te er bei öffentlich­en Gelegenhei­ten seinen eigenen Erfindunge­n, und weder er noch ein anderer unterschie­d, was von ihm kam und was von einem Höheren… „Dies ist süß“, sagte Guste, die das Vermischte las.

„Der Dreizack gehört in unsere Faust“, behauptete Diederich unbeirrt, indes Guste ein Erlebnis der Kaiserin zum besten gab, das sie tief befriedigt­e. In Hubertusst­ock gefiel sich die hohe Frau in einfacher, beinahe bürgerlich­er Kleidung. Ein Briefträge­r, dem sie sich auf der Landstraße zu erkennen gab, hatte ihr nicht geglaubt, daß sie es sei, und sie ausgelacht. Nachher war er vernichtet auf die Knie gesunken und hatte eine Mark erhalten.

»119. Fortsetzun­g folgt

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