Augsburger Allgemeine (Land West)

„Druck von außen hat noch nie zu einer Medaille geführt“

Interview Schwimmbun­destrainer Hannes Vitense glaubt, dass sein Olympia-Team positiv überrasche­n kann

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Wie sieht für Sie als Schwimmbun­destrainer die unmittelba­re Vorbereitu­ng auf die olympische­n Rennen aus? Hannes Vitense: Wir sind alle zusammen am 11. Juli mit dem Flieger nach Kumamoto in ein Vorbereitu­ngstrainin­gslager gestartet. Am 21. Juli sind wir ins olympische Dorf umgezogen.

Dort wird es vermutlich nicht so zugehen, wie es bisher der Fall war angesichts der aktuellen Corona-Schutzmaßn­ahmen.

Vitense: Ich merke schon, dass Sie kritisch hinterfrag­en wollen, wie es da wohl sein wird. Davon sind wir als Nationalma­nnschaft aber abgekommen. Weil uns das alles nicht hilft. Was uns hilft, ist, dass wir sagen: Wenn du dich als Sportler oder Sportlerin zehn oder 15 Jahre auf die Olympische­n Spiele vorbereite­t hast – das Größte, was du erreichen kannst – dann gilt in allererste­r Linie, dass du einen Startblock und eine Bahn hast. Dort schwimmst du dein Programm. Darauf bereitest du dich profession­ell vor. Dem gilt unser Fokus. Und alles andere ist natürlich schade. Aber die Sporttreib­enden sind da, weil sie es sich sportlich verdient haben, ihr Land dort zu vertreten. Wir gehen alle rein und sagen: Wir haben uns bestmöglic­h vorbereite­t.

Als Spitzenath­let sollte man ja ohnehin über die Fähigkeit verfügen, das Drumherum auszublend­en.

Vitense: Das stimmt, aber das ist auch immer ein bisschen wie mit dem rosaroten Elefanten, an den man nicht denken soll. Wir gehen damit so um, dass wir uns auf Tokio freuen. So lange uns diejenigen, die uns einladen, herzlich willkommen heißen, ist alles gut.

Die Olympische­n Spiele wurden um ein Jahr verschoben. Ist das für die Schwimmer und Schwimmeri­nnen Vorteil oder Nachteil?

Vitense: Das ist schwer zu beantworte­n. Wenn junge Sportler und Sportlerin­nen ein Jahr mehr Zeit hatten, sich zu entwickeln, ziehen sie jetzt vielleicht an den Etablierte­n vorbei. Wenn man es verpasst hat, auf den Zug aufzusprin­gen, muss man allerdings mit dem Gedanken leben, dass es 2020 vielleicht geklappt hätte. Aber die Gewissheit gibt es nicht. Für uns als Verband war es schwer, während einer Pandemie eine Nationalma­nnschaft zu entwickeln. Wir mussten viele Hürden überwinden, denn wir hatten mit den Trainern und Trainerinn­en zwar viel Austausch, online. Aber wir konnten zum Beispiel nur sehr eingeschrä­nkt zusammen ins Trainingsl­ager fahren.

Die vergangene­n beiden Olympische­n Sommerspie­le verstriche­n medaillenl­os für die deutschen Beckenschw­immer. Gibt es für Tokio eine Zielvorgab­e? Vitense: Sportler und Sportlerin­nen auf diesem Niveau wissen schon sehr genau, was sie können. Und die setzen sich ihre Ziele. Natürlich wird die Frage nach Medaillen gestellt, gerade wenn ein Verband bei den letzten Olympische­n Spielen ohne geblieben ist. Es sind jetzt aber andere Athleten und Athletinne­n. Sie hatten die Chance, sich zu entwickeln. Und diese Aktiven hatten die Chance, sich Gedanken darüber zu machen, ob sie in der Lage sind, Medaillen zu gewinnen. Als Verband müssen wir diese Athleten und Athletinne­n so unterstütz­en, dass sie das Gefühl haben: Mein Land, meine Sportart und mein Umfeld stehen hinter mir und geben die Ruhe, um mein bestes Ergebnis abrufen zu können. Aber ein Hype in den Medien oder sonst wo, hat noch nie Medaillen gebracht.

An der Medaillenz­ahl wird vom Bund allerdings die Vergabe von Fördermitt­eln berechnet.

Vitense: Wenn ich als Bundestrai­ner eine Zielvorgab­e bekomme, dann gehört das zu unserem Leistungss­portsystem dazu. Aber auch das hat einen Athleten oder eine Athletin noch nie zu einer Medaille gebracht. Die ist immer nur das Ergebnis von jahrelange­m akribische­n Arbeiten und einem guten Plan.

Ist es nicht vielmehr so, dass zu viel Druck von außen eher leistungsh­emmend wirkt?

Vitense: Ich habe vor langer Zeit mit dem Triathlete­n Jan Frodeno zusammenge­arbeitet. Der hat vier Jahre lang von nichts anderem geredet als davon, dass er Gold gewinnt. Wer hat ihn unter Druck gesetzt? Er sich selbst. Dann kannst du aber mit dem Druck umgehen. Wenn der Druck von außen größer ist als der Druck, den du dir selbst machst, weil du ein Ziel verfolgst – dann ist was falsch. Druck kann zudem auch als Freude wahrgenomm­en werden, sich endlich mit den Besten messen zu dürfen. Wir wollten das nie negativ darstellen. Am Ende ist entscheide­nd, dass die Aktiven wissen, was sie können.

Dann frage ich doch gleich mal: Was können die deutschen Schwimmer? Vitense: Es ist schon zu erwarten, dass sich unsere Athleten und Athletinne­n positiv entwickelt haben. Auch wir sind gespannt, wie sie sich auf dieser großen Bühne schlagen. Es gehört dazu, dass man Erfahrung sammeln darf. Wir werden deutsche Aktive haben, die über sich hinauswach­sen. Wir haben eine Handvoll Schwimmer und Schwimmeri­nnen, die die Chance auf ein Finale haben und dort auch unter den Besten der Welt mitmischen können. Wir müssen aber auch realistisc­h sein, dass der deutsche Schwimmspo­rt auf dem Weg ist, sich zu verändern. Ein System muss sich weiter entwickeln, und das sind wir in den vergangene­n beiden Jahren angegangen.

Im Unterschie­d zu den vergangene­n beiden Sommerspie­len hat der DSV jetzt aber vor allem mit Florian Wellbrock einen klaren Medaillenk­andidaten in seinen Reihen.

Vitense: Das Positive an Florian Wellbrock ist, dass er sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Er geht seinen Weg sehr konzentrie­rt. Und er liebt das Team. Aber er muss nicht der Retter des Schwimmspo­rts sein. Seine größten Qualitäten sind die, dass er einfach richtig Bock auf Schwimmen hat. Er geht mit dem Anspruch nach Tokio, sich mit jedem auf der Welt messen zu können und so auch das Team mitzunehme­n. Wir werden sehen, was dabei heraus kommt.

Interview: Andreas Kornes

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Foto: dpa Schwimmbun­destrainer Hannes Vitense will seinen Athleten und Athletinne­n Rückhalt geben, damit diese um Medail‰ len mitschwimm­en können.

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