Augsburger Allgemeine (Land West)
Große Oper, großes Spektakel
Klassik Die Gala der Augsburger Philharmoniker auf der Freilichtbühne präsentierte diesmal ausschließlich Arien und Ensembles aus bekannten Werken. Ein Abend mit herausragenden Momenten
Zweierlei hat der Prototyp dieses Konzerts, der Open-Air-Auftritt der Augsburger Philharmoniker am Roten Tor im Sommer 2020, ans Licht gebracht. Einmal, dass das Opern- und Konzert-Orchester des Staatstheaters Augsburg zwingend einen eigenen festen Platz im Programm der Freilichtbühne haben sollte. Und zweitens: Wenn schon das Theater so sehr auf jeden Besucher-Euro schielen muss, dass nur noch massenwirksame Musicals den Weg auf die Wallanlagen finden, so können die Freunde der FreilichtOper wenigstens auf die Philharmoniker zählen.
So hat man sich schon seit langem darauf gefreut, dass das Orchester „es“auch in diesem Sommer wieder tun würde, diesmal sogar mit noch größerem Operngehalt. Denn wo das letztjährige Programm ein rein orchestrales war und Ouvertüren und Intermezzi bot, traten nun Sängerinnen und Sänger auf, sodass wie in alten Zeiten (der Begriff lässt sich nicht umgehen) Arien und Ensembles in den Abendhimmel stiegen. Das Wetter meinte es diesmal gut, ganz im Gegensatz zum ersten anberaumten Termin Ende Juni, der, Freilichtbühnenschicksal seit jeher, ins Regenwasser gefallen war.
Das erwartungsfroh gestimmte Publikum, im Schachbrettmuster die Reihen belegend (1000 sind mittlerweile auf der Freilichtbühne zugelassen), notierte zunächst, dass Generalmusikdirektor Domonkos Héja nicht mehr wie noch beim Sinfoniekonzert vor einer Woche auf Krücken angewiesen ist, sondern ob des lädierten Fußes lediglich noch eines Stocks zur Fortbewegung bedarf. Dirigieren ist freilich immer noch im Sitzen angesagt, und die Conférence machen wie im letzten Jahr konnte oder mochte Héja diesmal nicht – ein wenig schade, wenn man sich der charmanten Moderation vom letzten Jahr erinnert. Die Aufgabe übernahmen diesmal Christine Faist und Sophie Walz, als Dramaturginnen in hohem Maße kundig für die Einführung in die den Stücken zugrunde liegenden Librettoszenen.
solche als „Gala“ausgeflaggte Veranstaltung kommt nicht aus ohne beherzten Griff in das Schatzkästlein immergrüner Opernmelodien. Ohrwürmer wie die „Habanera“der Carmen aus Bizets gleichnamiger Oper: Natalya Boeva war so klug, das Wesen der amour nicht mit Femme-fatale-Gegurre herauszustreichen und gerade mit diesem gelassen auf prächtigem Mezzo-Timbre geführten Gesang zu Carmens Wesenskern vorzudringen – dass der Verführerin die Liebe nämlich schnurzegal ist.
Neben französischem gehörte das Programm dem italienischen Repertoire. Und das ging an Verdi natürlich nicht vorbei. Sally du Randt hatte sich Desdemonas „Ave Maria“aus „Otello“vorgenommen, eine der ingeniösesten Verdi-Schöpfungen überhaupt. Und die Sopranistin spielte hier nicht nur ihren ganzen Erfahrungsschatz aus, sie legt vor allem, immer situationsgerecht mezza voce, intensives Beteiligtsein in ihre Stimme – eine Kunst der empathischen Figurenanverwandlung, die an dieser Sängerin immer wieder überwältigt. Schön, nach so langer Corona-Stille diese Säule des Augsburger Opernensembles in gewohnter Form wiederzuhören!
Es lag aber nicht nur an Sally du Randt, dass dies – die Herren mögen verzeihen – ein Abend der Frauen war. Der zweite große Moment neben dem Abschiedsgesang der Desdemona kam wiederum mit Verdi, diesmal aus „Aida“. Im Duett „Fu la morte“war es nun Natalya Boeva, die als eifersüchtige und rachsüchtige Amneris mit einem rollenpsychologisch-vokalen Flammenwurf berauschend die Nacht erhellte. Wie sie die Rivalin Aida abkanzelte (Sally du Randt ist partiturbedingt hier die Unterlegene), erinnerte an die Gestaltungskraft einer unerreichten griechischen Musiktheatertragödin.
Und weiter mit den Frauen. Im Verdi-Mezzofach hatte Kate Allen kaum weniger zu bieten in der EboEine li-Arie „O don fatale“aus „Don Carlos“, mit großer Fülle in der Tiefe und der Fähigkeit zu klangschönem Aufblenden im oberen Register. Was Sopranhöhen anbelangt, so setzte Olena Sloia in Offenbachs Reißer „Les oiseaux dans la chamille“Spitzentöne in aberwitzigen Regionen, garniert mit den typisch zuckenden Gesten der Olympia aus „Hoffmanns Erzählungen“. Da konnte auch der Opernchor im Halbrund der Bühne nicht anders, als erstaunt zu kommentieren.
Dass Domonkos Héja und die Philharmoniker die Oper lieben, war gerade im gelungen nachvollzogenen Wechsel der nationalen Idiome zu hören, wobei Verdi letztlich doch am eindrucksvollsten gelang – mit knackig trockenen Tutti, mit duftigem Streicherschmelz. Und die männlichen Solisten? Ausgiebig vertreten mit Alejandro Marco Buhrmester (souverän sein Bajazzo-Prolog „Si può?“), Stanislav Sergeev (als Mephisto in Gounods „Faust“) und dem Neuzugang Pascal Herington (noch ausbaufähig die Prägnanz in „La donna è mobile“). Sehr guten Eindruck hinterließen Roman Poboyiny und Wiard Witholt, und das nicht nur im Duett aus Bizets „Perlenfischern“. Freilich, ein kurzer Auftritt zum Schluss überstrahlte die Riege der Ensemble-Männer an diesem Abend. In Puccinis „Turandot“trat auf eine Arie der Liù (Jihyun Cecilia Lee) Augsburgs international gefragter Tenor Gerhard Siegel als Calaf hervor – mit dieser Stimme, die mehr warmglänzendes Erz als kalten Stahl enthält und doch heldisch-mühelos Orchesterfluten standhält. An schierer Opulenz konnte das wirklich nur das überraschend einsetzende Freilichtbühnen-Feuerwerk toppen mit Zisch und Knall und Rauch. Wer sich nach diesem Puccini/Raketen-Doppelespresso erst wieder beruhigen musste, fand ein finales Zuckerl in der Zugabe mit Offenbachs „Schöne Nacht“-Barkarole.