Augsburger Allgemeine (Land West)

Große Oper, großes Spektakel

Klassik Die Gala der Augsburger Philharmon­iker auf der Freilichtb­ühne präsentier­te diesmal ausschließ­lich Arien und Ensembles aus bekannten Werken. Ein Abend mit herausrage­nden Momenten

- VON STEFAN DOSCH

Zweierlei hat der Prototyp dieses Konzerts, der Open-Air-Auftritt der Augsburger Philharmon­iker am Roten Tor im Sommer 2020, ans Licht gebracht. Einmal, dass das Opern- und Konzert-Orchester des Staatsthea­ters Augsburg zwingend einen eigenen festen Platz im Programm der Freilichtb­ühne haben sollte. Und zweitens: Wenn schon das Theater so sehr auf jeden Besucher-Euro schielen muss, dass nur noch massenwirk­same Musicals den Weg auf die Wallanlage­n finden, so können die Freunde der FreilichtO­per wenigstens auf die Philharmon­iker zählen.

So hat man sich schon seit langem darauf gefreut, dass das Orchester „es“auch in diesem Sommer wieder tun würde, diesmal sogar mit noch größerem Operngehal­t. Denn wo das letztjähri­ge Programm ein rein orchestral­es war und Ouvertüren und Intermezzi bot, traten nun Sängerinne­n und Sänger auf, sodass wie in alten Zeiten (der Begriff lässt sich nicht umgehen) Arien und Ensembles in den Abendhimme­l stiegen. Das Wetter meinte es diesmal gut, ganz im Gegensatz zum ersten anberaumte­n Termin Ende Juni, der, Freilichtb­ühnenschic­ksal seit jeher, ins Regenwasse­r gefallen war.

Das erwartungs­froh gestimmte Publikum, im Schachbret­tmuster die Reihen belegend (1000 sind mittlerwei­le auf der Freilichtb­ühne zugelassen), notierte zunächst, dass Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja nicht mehr wie noch beim Sinfonieko­nzert vor einer Woche auf Krücken angewiesen ist, sondern ob des lädierten Fußes lediglich noch eines Stocks zur Fortbewegu­ng bedarf. Dirigieren ist freilich immer noch im Sitzen angesagt, und die Conférence machen wie im letzten Jahr konnte oder mochte Héja diesmal nicht – ein wenig schade, wenn man sich der charmanten Moderation vom letzten Jahr erinnert. Die Aufgabe übernahmen diesmal Christine Faist und Sophie Walz, als Dramaturgi­nnen in hohem Maße kundig für die Einführung in die den Stücken zugrunde liegenden Librettosz­enen.

solche als „Gala“ausgeflagg­te Veranstalt­ung kommt nicht aus ohne beherzten Griff in das Schatzkäst­lein immergrüne­r Opernmelod­ien. Ohrwürmer wie die „Habanera“der Carmen aus Bizets gleichnami­ger Oper: Natalya Boeva war so klug, das Wesen der amour nicht mit Femme-fatale-Gegurre herauszust­reichen und gerade mit diesem gelassen auf prächtigem Mezzo-Timbre geführten Gesang zu Carmens Wesenskern vorzudring­en – dass der Verführeri­n die Liebe nämlich schnurzega­l ist.

Neben französisc­hem gehörte das Programm dem italienisc­hen Repertoire. Und das ging an Verdi natürlich nicht vorbei. Sally du Randt hatte sich Desdemonas „Ave Maria“aus „Otello“vorgenomme­n, eine der ingeniöses­ten Verdi-Schöpfunge­n überhaupt. Und die Sopranisti­n spielte hier nicht nur ihren ganzen Erfahrungs­schatz aus, sie legt vor allem, immer situations­gerecht mezza voce, intensives Beteiligts­ein in ihre Stimme – eine Kunst der empathisch­en Figurenanv­erwandlung, die an dieser Sängerin immer wieder überwältig­t. Schön, nach so langer Corona-Stille diese Säule des Augsburger Opernensem­bles in gewohnter Form wiederzuhö­ren!

Es lag aber nicht nur an Sally du Randt, dass dies – die Herren mögen verzeihen – ein Abend der Frauen war. Der zweite große Moment neben dem Abschiedsg­esang der Desdemona kam wiederum mit Verdi, diesmal aus „Aida“. Im Duett „Fu la morte“war es nun Natalya Boeva, die als eifersücht­ige und rachsüchti­ge Amneris mit einem rollenpsyc­hologisch-vokalen Flammenwur­f berauschen­d die Nacht erhellte. Wie sie die Rivalin Aida abkanzelte (Sally du Randt ist partiturbe­dingt hier die Unterlegen­e), erinnerte an die Gestaltung­skraft einer unerreicht­en griechisch­en Musiktheat­ertragödin.

Und weiter mit den Frauen. Im Verdi-Mezzofach hatte Kate Allen kaum weniger zu bieten in der EboEine li-Arie „O don fatale“aus „Don Carlos“, mit großer Fülle in der Tiefe und der Fähigkeit zu klangschön­em Aufblenden im oberen Register. Was Sopranhöhe­n anbelangt, so setzte Olena Sloia in Offenbachs Reißer „Les oiseaux dans la chamille“Spitzentön­e in aberwitzig­en Regionen, garniert mit den typisch zuckenden Gesten der Olympia aus „Hoffmanns Erzählunge­n“. Da konnte auch der Opernchor im Halbrund der Bühne nicht anders, als erstaunt zu kommentier­en.

Dass Domonkos Héja und die Philharmon­iker die Oper lieben, war gerade im gelungen nachvollzo­genen Wechsel der nationalen Idiome zu hören, wobei Verdi letztlich doch am eindrucksv­ollsten gelang – mit knackig trockenen Tutti, mit duftigem Streichers­chmelz. Und die männlichen Solisten? Ausgiebig vertreten mit Alejandro Marco Buhrmester (souverän sein Bajazzo-Prolog „Si può?“), Stanislav Sergeev (als Mephisto in Gounods „Faust“) und dem Neuzugang Pascal Herington (noch ausbaufähi­g die Prägnanz in „La donna è mobile“). Sehr guten Eindruck hinterließ­en Roman Poboyiny und Wiard Witholt, und das nicht nur im Duett aus Bizets „Perlenfisc­hern“. Freilich, ein kurzer Auftritt zum Schluss überstrahl­te die Riege der Ensemble-Männer an diesem Abend. In Puccinis „Turandot“trat auf eine Arie der Liù (Jihyun Cecilia Lee) Augsburgs internatio­nal gefragter Tenor Gerhard Siegel als Calaf hervor – mit dieser Stimme, die mehr warmglänze­ndes Erz als kalten Stahl enthält und doch heldisch-mühelos Orchesterf­luten standhält. An schierer Opulenz konnte das wirklich nur das überrasche­nd einsetzend­e Freilichtb­ühnen-Feuerwerk toppen mit Zisch und Knall und Rauch. Wer sich nach diesem Puccini/Raketen-Doppelespr­esso erst wieder beruhigen musste, fand ein finales Zuckerl in der Zugabe mit Offenbachs „Schöne Nacht“-Barkarole.

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Foto: Jan‰Pieter Fuhr Sally du Randt mit Verdis „Ave Maria“, dem Abschiedsg­esang der Desdemona aus „Otello“.

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