Augsburger Allgemeine (Land West)

Neue Stolperste­ine erinnern an Naziopfer

Gedenken Erinnerung an Opfer der Naziherrsc­haft: Zum zweiten Mal wurden in Gersthofen Stolperste­ine verlegt. Erneut engagierte­n sich Schülerinn­en und Schüler dabei

- VON GERALD LINDNER

Gersthofen Sie zeigen schrecklic­he Schicksale auf, die gleichsam „vor der Haustüre“passiert sind: Vier weitere Stolperste­ine zur Erinnerung an Opfer des Nationalso­zialismus wurden im Gersthofer Stadtgebie­t verlegt. Auf ihnen stehen die Namen von vier Menschen, die aufgrund des brutalen Systems der Nazischerg­en den Tod fanden. Der Pate eines der Steine hat eine besondere Beziehung zum Thema. Wieder trugen Schülerinn­en und Schüler des Gersthofer Paul-Klee-Gymnasiums und des Gymnasiums bei St. Stephan in Augsburg die Biografien der Opfer vor.

Der Historiker Bernhard Lehmann hatte wieder die Biografien der Opfer erforscht. „Mittlerwei­le wurden mehr als 77.000 Stolperste­ine in ganz Europa verlegt“, sagte er. Damit habe der Künstler Gunter Demnig das größte dezentrale Mahnmal der Welt geschaffen. „Die Steine entreißen die Menschen der Vergessenh­eit, in die sie bewusst von den Nazis gesetzt wurden“, so Lehmann. Er verwies auf die riesigen Gefangenen­lager bei den damaligen Farbwerken Hoechst sowie der Firma Transehe.

Einen der Zwangsarbe­iter würdigt der erste Stein nahe der Pforte zwei des heutigen Industriep­arks Gersthofen: Gino Rossi, geboren am 1. Mai 1925 in Galluccio (Italien). Gino Rossi wurde bei einer Razzia der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS im September 1943 in Galluccio nördlich von Neapel aufgegriff­en und mit 800 Personen nach Deutschlan­d deportiert. Er kam zum Arbeitsein­satz bei der Firma Transehe in Gersthofen, die Raketentre­ibstoff für die V-2 produziere­n sollte. Am 23. Januar 1945 erstickte Gino Rossi beim Säureablad­en im Kesselwage­n im Alter von 19,5 Jahren. Die Schülerinn­en Paula Kahle und Lea Herfert verlasen die Biografie.

Der Pate des Stolperste­ins für Gino Rossi, Fabian Schnaubert, sorgte für bewegende Momente:

„Mein Großvater Gerhard Hermann Schnaubert war bei der ehemaligen Firma Transehe leitender Ingenieur“, sagte der Lokführer, der sich intensiv mit Ahnenforsc­hung befasst. „Mir war immer schon klar, dass er nicht unschuldig war.“Inzwischen habe er herausgefu­nden, dass dieser als „schwarze Bestie von Gersthofen“bezeichnet worden war. „Ich kann nur um Entschuldi­gung bitten für das, was ein Mitglied meiner Familie getan hat.“

Der zweite Stolperste­in erinnert an Johann Mayer, geboren am 8. Oktober 1919. Johann Mayer war das Kind des Bademeiste­rs Franz Klenner und Maria Mayer aus Augsburg. Seine Mutter heiratete 1923 in Gersthofen Jakob Schaller.

Ab dem 14. Lebensjahr arbeitete Johann Mayer zur Zufriedenh­eit seiner Vorgesetzt­en in der Ziegelei, dann im Sägewerk in Gersthofen.

Mit 19 Jahren wurde er unsittlich­er Handlungen bezichtigt. Nach einem Scheingeri­chtsverfah­ren beim Erbgesundh­eitsgerich­t wurde er am 6. Juni 1938 im Krankenhau­s Augsburg zwangsster­ilisiert. Sein letzter Wohnsitz in Gersthofen war im Heimstätte­nweg. Man brachte ihn in die psychiatri­sche Abteilung des Strafgefän­gnisses München-Stadelheim, von dort im März 1939 in die Heil-und Pflegeanst­alt Kaufbeuren „zum Zweck der Sicherheit­sverwahrun­g“. Johann Mayer wurde am 4. Juni 1941 in die Tötungsans­talt nach Hartheim bei Linz verlegt und am gleichen Tag mit Gas ermordet. Benedikt Hochmuth und Franziska Kopold verlasen seine Biografie.

Der dritte Stolperste­in gilt Anna Stögbauer, geboren am 1. Juni 1907 in Gersthofen. Ihr letzter Wohnsitz war in der Donauwörth­er Straße. Anna Stögbauer war die Tochter des Sudetendeu­tschen, Julius Stögbauer, und der Gersthofer Bürgerin Maria Anna Stögbauer, geb. Kapfer. Julius Stögbauer war Kontorist bei den Farbwerken Gersthofen. 1909 starb Maria Anna Stögbauer im Alter von 37 Jahren und hinterließ fünf Kinder. Julius Stögbauer heiratete daraufhin 1910 Kreszenz Schneider aus Mindelheim, die weitere zwei Kinder mit in die Ehe brachte.

Seit dem zwölften Lebensjahr wurde Anna von einem Bruder regelmäßig sexuell missbrauch­t und vergewalti­gt, nach Annas Angaben auch von ihrem Vater. Eine Woche vor ihrem 18. Geburtstag wurde sie vom Amtsgerich­t Augsburg wegen „Blutschand­e“zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, obwohl sie eindeutig Opfer war. Zwischen 1926 und 1939 wurde sie wegen zahlreiche­r Kleindiebs­tähle, Bettelei, Landstreic­herei und Unterschla­gung zu weiteren Gefängniss­trafen verurteilt.

Schließlic­h erhielt Anna Stögbauer nach zwei harmlosen Diebstähle­n als „gefährlich­e Gewohnheit­sverbreche­rin“eine Strafe von zwei Jahren und sieben Monaten mit anschließe­nder Sicherungs­verwahrung. Sie kam ins Frauengefä­ngnis nach Aichach. Anna Stögbauer kam am 13. Februar 1943 nach Auschwitz, wo sie am 26. August ermordet wurde. Die Biografie verlasen Benedikt Hochmuth und Franziska Kopold.

Kreszenz Maria Hartmann gewidmet ist der vierte Stolperste­in in der Augsburger Straße. Sie wurde geboren am 7. September 1878 in Gersthofen, ermordet in Grafeneck am 27. August 1940. Ihre Eltern waren Stephan und Josefa Hartmann, geb. Zeller. Die Familie wohnte in der heutigen Augsburger Straße. Später zog die Familie nach Dinkelsche­rben. Am 2. September 1916 wurde Kreszenz Maria Hartmann wegen einer psychotisc­hen Erkrankung in die Heil- und Pflegeanst­alt Kaufbeuren eingewiese­n. 1925 wurde sie nach Irsee verlegt. Die nationalso­zialistisc­hen Schergen brachten Kreszenz am 27. August 1940 in die Tötungsans­talt Grafeneck bei Reutlingen, wo sie noch am gleichen Tag mit Gas ermordet wurde. Die Biografie wurde verlesen von den Schülern Kilian und Johannes Ludsteck.

Die musikalisc­he Gestaltung übernahm ein Klarinette­nquartett unter der Leitung von Klaus Türk und Sandra Hochmuth mit Celina Schmid, Sina Einmüller, Johanna Wittmann und Korbinian Hochmuth.

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Foto: Marcus Merk Vier neue Stolperste­ine wurden in Gersthofen verlegt – hier die Erinnerung an Anna Stögbauer in der Donauwörth­er Straße.

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