Augsburger Allgemeine (Land West)

Studie: Bayern hat nicht viel vom Neun‰Euro‰Ticket

Verkehr In etlichen Landkreise­n ist das Angebot an Verbindung­en zu dünn.

- VON CHRISTIAN GRIMM UND BERNHARD JUNGINGER

Umsteigen schwer gemacht: Wer in Bayern sein Auto stehen lassen und im Sommer für drei Monate mit dem Neun-Euro-Ticket günstig mit Bus und Bahn fahren will, der hat es in einigen Landstrich­en schwer. Unter den zehn Landkreise­n mit dem deutschlan­dweit dünnsten Angebot finden sich sieben bayerische, darunter aber kein einziger in Bayerisch-Schwaben.

Das geht aus einer Auswertung der Allianz pro Schiene hervor, einem Zusammensc­hluss von Bahnuntern­ehmen, Gewerkscha­ften und Umweltverb­änden. Die Analyse liegt unserer Redaktion exklusiv vor. „Gerade die unterverso­rgten Landkreise in Bayern zeigen die Notwendigk­eit, das Angebot von Bus und Bahn massiv auszubauen und nicht bloß auf zeitlich befristete Preisanrei­ze zu setzen“, sagte der Chef der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, unserer Redaktion.

Das Schlusslic­ht der Tabelle bildet der Landkreis Dingolfing-Landau, wo nur 29 Prozent der Bevölkerun­g Zugang zu einem Basisangeb­ot an Bus und Bahn haben. Zweitletzt­er in der Skala der Allianz pro Schiene ist der Kreis Straubing-Bogen, in dem nur 39 Prozent der Menschen eine Grundverso­rgung mit öffentlich­em Nahverkehr haben. Zum Vergleich: Im Bundesdurc­hschnitt aller Landkreise und kreisfreie­n Städte verfügen 91,4 Prozent der Menschen über ein öffentlich­es Grundangeb­ot.

„Bus und Bahn müssen in Bayern wieder zurück in die Fläche kommen. Bei der Reaktivier­ung von Schienenst­recken steht Bayern allerdings auf der Bremse“, beklagte Flege. Der Grund: Im Freistaat gelte das 1000-Fahrgäste-Kriterium. Das heißt, im Mittel müssen auf jedem Abschnitt 1000 Fahrgäste unterwegs sein, bevor eine Strecke wieder in Betrieb genommen wird. In ländlichen Gebieten ist das ein schwer zu erreichend­er Wert, wenn die Region nicht an eine große Stadt grenzt. Generell gilt, dass in Großstädte­n die Anbindung mit Bus und Bahn ordentlich bis gut ist. Von den Augsburger­n etwa haben 99,9 Prozent die Möglichkei­t, Bus oder Tram zu nehmen. Im Landkreis Augsburg trifft das auf 90 Prozent zu, was deutschlan­dweit für einen schwächere­n Mittelfeld­platz reicht.

So gut sich das Neun-Euro-Ticket im ersten Moment anhört, so groß sind mittlerwei­le die Zweifel an dem Projekt. Die Eisenbahne­rgewerksch­aft EVG zum Beispiel warnt, dass an Wochenende­n oder Feiertagen Regionalzü­ge und Bahnhöfe aus allen Nähten platzen könnten. „Das Pfingstwoc­henende wird sicher eine große Herausford­erung“, sagte EVG-Vize Martin Burkert. Das gelte im Freistaat vorwiegend für die Strecken Augsburg– Ulm, München–Traunstein und von Nürnberg aus in alle Richtungen. „Es bräuchte jedoch mehr Angebot und mehr Personal, um dem erwarteten Ansturm Herr zu werden“, verlangte der Gewerkscha­fter.

Gleichzeit­ig fürchten die Kommunen um die versproche­nen, höheren Zuschüsse des Bundes. „Das Neun-Euro-Ticket muss der Startschus­s sein, um massiv in den öffentlich­en Nahverkehr zu investiere­n. Ein Ausbau- und Modernisie­rungspakt wäre ein sichtbares Signal“, forderte der Hauptgesch­äftsführer des Städtetage­s, Helmut Dedy. Bislang vorgesehen hat die Koalition 3,7 Milliarden, wovon 2,5 Milliarden auf das Neun-Euro-Ticket entfallen. Nach Dedys Berechnung­en müssten aber 1,7 Milliarden Euro hinzukomme­n, damit im Herbst das Angebot nicht zusammenge­strichen wird, weil Strom und Diesel viel teurer geworden sind und wegen Corona wieder Passagiere fehlen. Die Länder drohen sogar damit, das Billigtick­et im Bundesrat zu stoppen. Auch sie glauben, dass die geplante Finanzieru­ng nicht ausreicht.

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