Augsburger Allgemeine (Land West)
Rückkehr nach Ibiza
Österreich Berauscht vom Alkohol und sich selbst redete sich Heinz-Christian Strache um seine Karriere. Drei Jahre nach der Affäre reist der frühere Vizekanzler in jene Finca, in der das Ende seinen Anfang nahm. Von Reue keine Spur.
Wien Heinz-Christian Strache ist ein Meister darin, sich seine eigene Wahrheit zu erschaffen. Gerade deshalb gehört der Rechtspopulist und einstige österreichische Vizekanzler zu jenen Politikern, die kaum jemanden kaltlassen. Für die einen war er ein Held, der sich den Mund nicht verbieten ließ. Für die meisten anderen ein gefährlicher Hetzer, der keine Skrupel hatte, sogar das eigene Land zu verkaufen, wenn es seinem Vorteil diente. Heute ist Strache für alle Welt vor allem dieser Typ, der über ein ebenso peinliches wie entlarvendes Treffen mit einer falschen russischen Oligarchen-Nichte gestolpert ist.
Eine etwas heruntergekommene Finca auf Ibiza wurde zum Symbol seines Untergangs. Genau dorthin ist er nun zu einem Rendezvous mit der Vergangenheit zurückgekehrt. Ganz in Schwarz, weiße Turnschuhe, etwas leiser, etwas grauer, aber immer noch angriffslustig. Drei Jahre nach Veröffentlichung des IbizaVideos, das nicht nur seine eigene politische Karriere ruinierte, sondern auch die damalige Bundesregierung platzen und die Republik monatelang beben ließ, lässt sich HC Strache von einem Fernsehteam nach Ibiza begleiten.
Bis heute geht seine eigene Erzählung der inzwischen sogar verfilmten Schmierengeschichte so: Geheimnisvolle dunkle Hintermänner haben ihn, das arglose Opfer, in eine Falle gelockt, um seinen mit legalen Mitteln nicht mehr aufzuhaltenden politischen Aufstieg zu stoppen. Dass er mit Anlauf in selbige Falle hineingesprungen ist, tut aus seiner Sicht offenbar nichts zur Sache.
Von einem „gezielten politischen Attentat“hatte Strache schon im Mai 2019 in seiner Rücktrittserklärung gesprochen. Diese Opferrolle brachte er seither unzählige Male auf verschiedene Bühnen und über
sie auch in der Doku des Senders Puls 24, der darauf setzt, dass man mit dem ins Zwielicht geratenen Ex-Politiker noch immer Quote machen kann. Strache wiederum leidet unter seinem Bedeutungsverlust und scheint froh über die mediale Aufmerksamkeit.
Was er aus heutiger Sicht bereut, sind nicht die versuchten Mauscheleien mit der vermeintlichen Oligarchin, der er vor versteckten Kameras lukrative Staatsaufträge gegen gut verschleierte Parteispenden versprochen und mit ihr darüber philosophiert hatte, wie sie unliebsame Journalisten loswerden und seine rechtspopulistische FPÖ pushen könnte („zack, zack, zack“), wenn sie die auflagenstarke Kronen Zei
tung übernehmen würde. Was er heute bereut, sind lediglich die Konsequenzen, die er gezogen hat, als das Video publik wurde. „Der Rücktritt war wahrscheinlich mein größter Fehler“, sagt Strache und behauptet, er habe damals auf Ibiza „nichts Unredliches“gesagt und schließlich immer betont, alles müsse im Einklang mit dem Gesetz passieren. Nach seinem Sturz hatte Strache, der damals in einer Koalition mit dem später ebenfalls skandalumwittert zurückgetretenen Bundeskanzler Sebastian Kurz regiert hatte, den Abend in der Finca als „bsoffene Gschicht“kleinzureden versucht. Die irritierende Botschaft: Wenn Alkohol und Testosteron im Spiel sind, kann es schon mal vornimmt
kommen, dass man Allmachtsfantasien entwickelt. Die Ironie der Geschichte ist nur, dass manches von dem, worüber Strache in dem 2017 gedrehten Video schwadroniert, gar nicht weit von der Realität entfernt war. Kanzler Kurz stürzte letztlich über den Verdacht, dass seine Vertrauten Umfragen in Boulevardmedien manipuliert und gekauft haben. Auch die Idee, Parteispenden am Rechnungshof vorbeizuschleusen, war nicht aus der Luft gegriffen, wie jüngste Ermittlungen gegen die konservative ÖVP nahelegen. In vino veritas – im Wein liegt die Wahrheit. Auch wenn es bei Strache eher Wodka war.
Sämtliche Comeback-Versuche des 52-Jährigen sind seit Ibiza grandios gescheitert. Doch so richtig abgefunden hat sich Strache, der sich wegen verschiedener Korruptionsvorwürfe vor Gericht verantworten muss und bereits zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, damit offenkundig nicht. Heute gibt er immerhin zu, dass die Szenen eines von Alkohol und sich selbst berauschten Spitzenpolitikers unwürdig waren: „Ich habe mich selbst nicht sehen können. Das war ein fürchterliches Bild.“Noch lieber redet der langjährige FPÖ-Frontmann aber über die vermeintlichen Motive derer, die das Video initiiert hatten.
Aus Straches Sicht ist weniger der Inhalt der Aufnahmen verwerflich, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie überhaupt entstanden sind. Fest steht inzwischen, dass der Privatdetektiv Julian Hessenthaler dahintersteckt. Er gilt als Schlüsselfigur der Ibiza-Affäre, soll die Falle gestellt und die angebliche reiche Oligarchin instruiert haben. Nach der Enthüllung durch Reporter von Süddeutscher Zeitung und Spiegel tauchte er eine Zeit lang unter, wurde später in Deutschland festgenommen und nach Österreich ausgeliefert.
Inzwischen sitzt er hinter Gittern – verurteilt wurde er allerdings nicht wegen der Strache-Sache, sondern für angebliche Drogendelikte. Auch mit Hessenthaler hat Puls 24 gesprochen – im Gefängnis. Auch er sieht sich als Opfer und mutmaßt, man habe ihm als Drahtzieher des Politbebens etwas anhängen wollen. Strache wiederum glaubt immer noch an eine große Verschwörung gegen ihn, geht davon aus, dass der Privatdetektiv nicht allein gehandelt hat, sondern von geheimnisvollen Mächten losgeschickt wurde, um ihn zu Fall zu bringen.
Und so bleibt am Ende vor allem die Erkenntnis, dass jeder seine eigene Wahrheit von dem hat, was damals in einer heruntergekommenen Finca auf Ibiza geschah und weltweit Schlagzeilen machte.