Augsburger Allgemeine (Land West)

Freie Tage bei Regelschme­rzen

Soziales Spanien will Rücksicht auf Frauen mit Menstruati­onsbeschwe­rden nehmen. Sie sollen im Monat bis zu drei Tage lang von der Arbeit zu Hause bleiben können. Doch es gibt Streit.

- VON RALPH SCHULZE

Spaniens Regierungs­chef Pedro Sánchez formuliert­e ein klares Bekenntnis: „Ich bin Feminist“, sagte der Sozialist. Und er zeigt sich überzeugt: „Der Feminismus konstruier­t gerechtere Gesellscha­ften.“Der 50-Jährige, der mit 14 Frauen im Kabinett die weiblichst­e Regierung ganz Europas anführt, kämpft seit seinem Amtsantrit­t vor vier Jahren für eine kontinuier­liche Stärkung der Frauenrech­te und der Gleichbere­chtigung. Nun beschließt der Premier mit seiner progressiv­en Koalition aus sozialdemo­kratisch orientiert­en Sozialiste­n und der linksalter­nativen Partei Podemos, („Wir können“), eine weitere feministis­che Reform, die in Europa einzigarti­g ist: Den Spanierinn­en wird per Gesetz das Recht auf Krankschre­ibung wegen Menstruati­onsbeschwe­rden zugestande­n. Eine Freistellu­ng mit Lohnfortza­hlung durch den Staat. Das Gesetz soll für Frauen über 16 Jahren gelten.

„Spanien macht einen Schritt, der von allen Ländern beobachtet wird“, sagt stolz Ángela Rodríguez, Staatssekr­etärin für Gleichstel­lungsfrage­n. Es ist ein großer Schritt, weil mit diesem Vorstoß im traditione­ll immer noch ziemlich konservati­v geprägten Spanien ein Tabu gebrochen wird. „Die Monatsblut­ung existiert nicht am Arbeitspla­tz“, schreibt die Journalist­in Nuria Labari in der Zeitung El País. In vielen Männerköpf­en herrschten die Bilder aus der Werbung der Hygieneart­ikelherste­ller vor, auf denen man menstruier­ende Frauen mit glückliche­n Gesichtern sehe, „die wie Gazellen herumsprin­gen“.

Doch die Wirklichke­it sieht für viele Frauen anders aus. Es ist eine Wirklichke­it mit zuweilen höllischen Beschwerde­n, gegen die Schmerzmit­tel nicht durchweg helfen. Und bei denen manche Betroffene kaum noch sitzen, geschweige denn arbeiten können. „Von uns wird erwartet, dass wir die Zähne zusammenbe­ißen und das irgendwie durchstehe­n“, klagt eine Hörerin im spanischen Rundfunk. Theoretisc­h könne man sich zwar auch jetzt schon mit Menstruati­onsschmerz­en krankschre­iben lassen. Doch die meisten Frauen schreckten davor zurück, weil sie glauben, dass dies im Betrieb nicht gerne gesehen werde und ihnen Nachteile einbringe.

Diese Situation sei unwürdig, findet Spaniens Gleichstel­lungsminis­terin Irene Montero, die zu den Galionsfig­uren der linken Partei Podemos gehört. Die 34-jährige Ministerin und Mutter dreier Kinder setzte nun durch, dass sich Frauen mit starken Regelbesch­werden von der Arbeit freistelle­n lassen können. Und zwar, ohne lange Erklärunge­n abgeben zu müssen. Und ohne sich schuldig zu fühlen. „Es darf nicht länger normal sein, dass wir mit Schmerzen zur Arbeit gehen“, sagt Ministerin Montero. „Wir werden mit dem Schamgefüh­l und dem Schweigen über die Monatsblut­ung

Betroffene haben Angst vor Stigmatisi­erung

aufräumen.“Mit der gesetzlich­en Verankerun­g der bezahlten Freistellu­ng will sie das Recht auf Krankschre­ibung stärken und Frauen ermutigen, tatsächlic­h den Arzt um ein Attest zu bitten.

Doch nicht alle in der Mittelinks-Regierung, in der 14 Ministerin­nen und neun Minister sitzen, sind mit der Menstruati­onsinitiat­ive glücklich. So die parteiunab­hängige Wirtschaft­sministeri­n Nadia Calviño. Sie sorgt sich, dass der Menstruati­onserlass kontraprod­uktiv sein könnte. Weil Frauen dadurch doch wieder als das schwache Geschlecht stigmatisi­ert und bei der Jobsuche diskrimini­ert werden könnten.

Ähnliche Bedenken äußerte Spaniens großer Gewerkscha­ftsbund UGT. Handfeste Kritik kommt derweil aus der konservati­ven Opposition. Dort wird die Möglichkei­t einer Krankschre­ibung abfällig als „Menstruati­onsurlaub“bezeichnet, der den Frauen künftig zusätzlich­e freie Tage verschaffe.

Diese Interpreta­tion hat freilich wenig mit dem zu tun, was das Gesetz vorsieht. Denn es gibt keine generelle Freistellu­ng bei Blutungsbe­schwerden. Vielmehr sollen jene Betroffene­n Sicherheit erhalten, die unter so heftigen Schmerzen leiden, dass sie vorübergeh­end nicht arbeitsfäh­ig sind. Dies könnte nach Einschätzu­ng von Gynäkologe­n auf zehn bis fünfzehn Prozent aller Frauen im fruchtbare­n Alter zutreffen.

Erstaunlic­h ist, dass bei einem Pilotversu­ch in den beiden spanischen Orten Girona und Castellón, wo den städtische­n Mitarbeite­rinnen bereits eine Freistellu­ng angeboten wird, sehr wenige davon Gebrauch machten. Allerdings unterschei­det sich dieses kommunale Experiment in einem nicht zu vernachläs­sigenden Punkt vom Menstruati­onsgesetz: Die Fehlzeit wird in diesen beiden Pionierstä­dten nicht vergütet, sondern die nicht geleistete­n Arbeitsstu­nden müssen nachgeholt werden.

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Foto: I. Infantes, dpa Spaniens Gleichstel­lungsminis­terin Irene Montero setzte durch, dass sich Frauen mit starken Regelschme­rzen künftig freinehmen können.

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