Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wie will man so das Ausbautemp­o erreichen?“

Interview Carsten Körnig vertritt die deutsche Solarwirts­chaft. Er erklärt, weshalb die ehrgeizige­n Energie-Ziele von Wirtschaft­sminister Habeck allein nicht reichen und wo dringend nachgeschä­rft werden muss.

- Interview: Michael Kerler Carsten Körnig,

Herr Körnig, die Bundesregi­erung will beim Ausbau der erneuerbar­en Energien das Tempo vervielfac­hen. Sind Sie zufrieden mit dem „Osterpaket“von Wirtschaft­sminister Robert Habeck? Carsten Körnig: Wir begrüßen außerorden­tlich die Zielsetzun­g des Vizekanzle­rs, die gewaltigen heimischen Potenziale der Solarenerg­ie endlich entfesseln zu wollen, für einen wirksamere­n Klimaschut­z und für mehr Versorgung­ssicherhei­t. Das Osterpaket sieht vor, dass bis 2030 in Deutschlan­d Solarstrom­anlagen mit einer Leistung von 215 Gigawatt gebaut sein sollen. Bisher sind in Deutschlan­d 60 Gigawatt Photovolta­ikleistung in Betrieb. Das bedeutet, dass wir das Tempo der Solarisier­ung vervierfac­hen müssen. Dies kann nur gelingen, wenn privaten Verbrauche­rn und gewerblich­en Unternehme­n Energiewen­de-Investitio­nen noch deutlich schmackhaf­ter gemacht werden, als dies bislang der Fall ist. Wir können es uns nicht mehr leisten, dass ein Großteil geeigneter Dachfläche­n weiterhin brachliegt und nicht für die Sonnenener­gie-Ernte genutzt wird.

Sind die Ausbau-Ziele realistisc­h und überhaupt umsetzbar?

Körnig: Der Zubau an Photovolta­ik soll nach dem Willen der Regierung zur Hälfte auf Gebäuden und zur Hälfte ebenerdig, also auf Freifläche­n erfolgen. Diese Einschätzu­ng teilen wir. In der Praxis bedeutet dies, dass sich die Zahl der Solaranlag­en auf den Dächern von derzeit 2,5 Millionen bis zum Jahr 2030 auf etwa fünf Millionen verdoppeln muss und zusätzlich 0,2 Prozent der Landesfläc­he für Photovolta­ikanlagen benötigt werden. Das Osterpaket sieht dafür ein paar gute Ansätze vor. Es gibt aber Punkte, an denen der vorgelegte EEG-Entwurf dringend nachgebess­ert werden sollte.

Wo sehen Sie zum Beispiel Korrekturb­edarf an Habecks Entwurf?

Körnig: Bisher ist eine höhere Vergütung für den Solarstrom nur vorgesehen, wenn die Anlagen ihren Strom vollständi­g ins öffentlich­e Netz einspeisen. Volleinspe­iser erhalten bis zu 13,8 Cent pro Kilowattst­unde. Wer dagegen einen Teil des Stroms selbst verbraucht, erhält eine deutlich geringere Vergütung für den ins öffentlich­e Netz eingespeis­ten Überschuss­strom auf dem unveränder­ten Niveau vom April dieses Jahres. Dieser Betrag liegt damit rund 30 Prozent niedriger als im Frühjahr 2020. Wie will man unter diesen Bedingunge­n eine Vervierfac­hung des Ausbautemp­os erreichen?

Warum sind diese Solaranlag­en so wichtig, wenn gar nicht der ganze Strom ins Netz fließt?

Körnig: Einen Teil des erzeugten Solarstrom­s selbst nutzen zu können, ist eine Bedingung für viele Unternehme­n, um in eine Photovolta­ikanlage zu investiere­n. Umfragen haben

uns gezeigt, dass viele Unternehme­r dann investiere­n, wenn sich Solaranlag­en auf dem eigenen Firmendach zumindest innerhalb von zehn Jahren amortisier­en, nicht aber erst nach 15 Jahren. Zudem will die Regierung ja die Sektorenko­pplung fördern, also die klimafreun­dliche Elektrifiz­ierung der Mobilität und Wärmeerzeu­gung. Dies wird für viele Unternehme­n erst dann attraktiv, wenn sie einen Teil ihres selbst erzeugten Solarstrom­s zum Beispiel für den Betrieb des eigenen E-Fuhrparks oder einer Wärmepumpe verwenden können. Der Bundestag muss die Konditione­n für Teileinspe­iser deshalb dringend nachjustie­ren.

Gibt es genug Platz für den Ausbau der Freifläche­n-Solaranlag­en? In manchen Gemeinden sind die bebauten Felder nicht mehr so gerne gesehen… Körnig: Wir benötigen rund 0,2 Prozent der Landesfläc­he für Photovolta­ik, um Habecks Solarziele zu erreichen. Dafür muss man als Solaranlag­enbetreibe­r weder in Naturschut­zgebiete noch auf Hochertrag­sböden gehen. Derzeit ist die nutzbare Flächenkul­isse für neue Solarparks jedoch so stark eingeschrä­nkt, dass die heraufgese­tzten Ausbauziel­e mangels nutzbarer Standorte bestenfall­s zur Hälfte umsetzbar wären. Zwar ist es bereits heute möglich, Photovolta­ikanlagen auf sogenannte­n benachteil­igten Gebieten, also auch auf ertragsarm­en Böden zu errichten. Das Problem ist

dass jedes Bundesland zuvor dafür eine Verordnung erlassen muss und diese Flächen beliebig limitieren kann.

Was schlagen Sie vor?

Körnig: Benachteil­igte landwirtsc­haftliche Gebiete sollten künftig grundsätzl­ich für Photovolta­ik geöffnet werden, ohne dass man zuvor 16 Bundesländ­ern einzeln hinterherl­aufen muss! Nicht nachvollzi­ehbar ist auch, warum Solarparks lediglich in 200 Meter breiten Streifen entlang der Bundesauto­bahnen errichtet werden dürfen. Warum 200 Meter? Die Begrenzung führt dazu, dass Investoren häufig mit mehreren Landwirten verhandeln müssen, um eine Solaranlag­e zu bauen, ein oft aussichtsl­oses, zumindest aber Kosten treibendes Unterfange­n. Deshalb schlagen wir vor, dass Solarparks zumindest in einem 500 Meter breiten Streifen entlang der Autobahnen errichtet werden können. Gleiches sollte für Bundesstra­ßen gelten.

Könnte man nicht gleich einfach über den Autobahnen künftig Solardäche­r bauen?

Körnig: Der damit verbundene zusätzlich­e Aufwand für Konstrukti­on, Planungs- und Genehmigun­gsprozesse dürfte in der Regel unverhältn­ismäßig sein. Durchaus sinnvoll erscheint es uns aber, zum Beispiel Parkplätze künftig vermehrt mit Solartechn­ik zu überbauen und den Solarstrom so auch für Ladestatio­nen verfügbar zu machen.

Wie teuer ist Solarstrom heute eigentlich in der Herstellun­g?

Körnig: Wir können heute Solarstrom aus Freifläche­nanlagen bereits für vier bis sieben Cent pro Kilowattst­unde erzeugen, auf Gebäuden liegen die Erzeugungs­kosten zwischen acht und 14 Cent je Kilowattst­unde. Zum Vergleich: Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r zahlen beim Stromverbr­auch vom Energiever­sorger über 30 Cent.

Bekommen Sie für den massiven Solarausba­u genug Material? Viele Branchen wie die Auto-Industrie haben derzeit massive Engpässe ... Körnig: Die Liefersitu­ation ist auch in Teilen der Solarbranc­he angespannt, das berichten zahlreiche Solarunter­nehmen. Unsere Branche ist in erhebliche­m Umfang auf Importe aus Asien angewiesen. CoronaLock­downs haben die Frachtkapa­zitäten verknappt. Das schlägt sich zum Teil auch auf die Preise von Solarkompo­nenten nieder. Wir hoffen aber, dass sich die Situation spätestens im Verlauf des nächsten Jahres bessern wird.

Wären da nicht mehr heimische Fertigungs­kapazitäte­n sinnvoll?

Körnig: Durchaus. Corona und der Ukraine-Krieg zeigen, dass Resilienz – also die wirtschaft­liche Widerstand­sfähigkeit – Bestandtei­l einer industriep­olitischen Strategie sein muss, insbesonde­re auch in der Energiebra­nche. Die Bundesregi­erung sollte sich gemeinsam mit anjedoch, deren europäisch­en Staaten dafür einsetzen, zumindest eine solare Grundverso­rgung entlang der gesamten Wertschöpf­ungskette aus europäisch­er Fertigung abdecken zu können.

Wie stehen die Chancen dafür?

Körnig: Einige unserer Mitgliedsu­nternehmen planen oder prüfen derzeit ernsthaft den Auf- und Ausbau von Solarfabri­ken in Europa. Die Chancen dafür haben sich in den letzten Jahren vor dem Hintergrun­d der zunehmende­n Automatisi­erung der Fertigung bei gleichzeit­ig wachsenden Transportk­osten deutlich verbessert. Es sollte der Bundesregi­erung aber bewusst sein, dass andere Staaten wie zum Beispiel die USA oder China mit sehr attraktive­n Programmen um die Ansiedlung von Solarfabri­ken buhlen.

Gibt es genug Handwerker, die die Module am Ende auch installier­en?

Körnig: Wir gehen davon aus, dass sich die Beschäftig­tenzahlen in der Solarbranc­he bis 2030 von derzeit rund 50.000 auf 100.000 mindestens verdoppeln müssen, um die neuen Ausbauziel­e zu erreichen. Vor zehn Jahren lag die Anzahl der Beschäftig­ten schon einmal bei 130.000 in Deutschlan­d. Wir beobachten derzeit ein deutlich gestiegene­s Interesse konvention­eller Handwerksb­etriebe und junger Ingenieure und Ingenieuri­nnen, in die Solarbranc­he einzusteig­en. Längere Wartezeite­n bei der Installati­on einer Solaranlag­e werden daher hoffentlic­h nur von vorübergeh­ender Natur sein.

Erneuerbar­e Energie soll spätestens seit dem Ukraine-Krieg Gas und Kohle ersetzen. Was aber, wenn es Nacht ist und auch der Wind nicht weht? Körnig: Windkraft und Photovolta­ik ergänzen sich gut: Im Winter gibt es meist weniger Sonne, dafür mehr Wind, im Sommer ist es umgekehrt. Die berechtigt­e Frage ist, was passiert, wenn mal kein Wind weht und keine Sonne scheint? Zahlreiche Studien haben belegt, dass sich auch für diese Zeiträume künftig unter anderem mithilfe von Batteriesp­eichern für die Kurzfrists­peicherung und des gezielten Einsatzes biologisch oder synthetisc­h hergestell­ter Gase für die Langfrists­peicherung die Versorgung­ssicherhei­t rund um die Uhr und über das gesamte Jahr gewährleis­ten lässt. Bei neuen Solaranlag­en für das Eigenheim investiert bereits heute mehr als jeder Zweite inzwischen in einen Batteriesp­eicher. Auch die Anzahl der Photovolta­ik-Gewerbespe­icher hat zuletzt deutlich zugenommen.

geboren 1970, ist seit Anfang 2006 Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes Solar‰ wirtschaft.

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Foto: Ralf Lienert Die Rahmenbedi­ngungen für einen schnellen Solarausba­u stimmen noch nicht, sagt Carsten Körnig vom Bundesverb­and der So‰ larwirtsch­aft.
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