Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Zukunft im Pavillon

Fuggerei Zum 500-jährigen Jubiläum bringt eine Hütte auf dem Rathauspla­tz den Geist der Sozialsied­lung mit den Plänen für ein neues, gerechtes Miteinande­r unter ein Dach. In dieser Idee steckt viel Charme – und auch eine Spur von Joseph Beuys.

- VON VERONIKA LINTNER

Als hätte sich ein Gartenzwer­g sein Zuhause für die schönen Tage gezimmert: Ein Holzhaus mit Spitzdach steht seit Mai auf dem Rathauspla­tz in Augsburg. Im Vorgarten der Hütte sprießt es sonnengelb und die grünen Fensterläd­en an den Seiten stehen so offen wie die blauweißen Türflügel. Am Eingang spricht ein Plakat die Einladung an jedermann aus: „Willkommen, Welt. Das Tor steht offen.“Also hereinspaz­iert, die ganze Menschheit? Diese Hütte hat Anspruch: Sie will Modell und Spielort und Zukunftswe­rkstätte in einem sein. Jeder, der hier eintritt, stößt auf Fragen. Gesucht werden: Antworten auf „sieben globale Herausford­erungen“. Wie wollen wir in Zukunft leben, sicher, nachhaltig, selbstbest­immt und in Würde? Vorbild ist die Fuggerei, als Beispiel für soziales, günstiges, gutes Wohnen. Die Aufforderu­ng: „Machen Sie Ihre Ideen selbst zum Impuls für die Welt.“Vor allem aber hat der Pavillon diesen Fleck Augsburg verwandelt.

Über den Platz wacht Kaiser Augustus in Rüstung, wie gewohnt. Seine Bronze steht auf der Spitze des Springbrun­nens; jetzt aber zeigt seine Rechte eben – schnurgera­de – auf die neue Hütte, die frisches Getümmel und staunende Blicke auslöst. Und damit deutet er auf eine Geschichte, die 1521 begann. Es war das Jahr, in dem Jakob Fugger die erste Sozialwohn­ungssiedlu­ng der Welt gründete und bis heute baut dieses Projekt auf das Fuggersche Stiftungsv­ermögen. In 67 Häusern leben gut 150 bedürftige katholisch­e Menschen noch nach Fuggers Regeln von damals. Die Miete: 88 Cent für ein Jahr und dazu bitte drei Gebete am Tag für die Fuggers.

500 Jahre, ein halbes Jahrtausen: Die Fuggersche­n Stiftungen haben zum Jubiläum einen Pavillon in Auftrag gegeben. 150 Quadratmet­er, das ist der Spielraum, den das Büro MVRDV aus Rotterdam gestaltet hat. Für das internatio­nale Architekte­nteam ist dieser Bau „ein kühnes Zitat der typischen Fuggerei-Architektu­r“, mit spitzen Dächern, so wie sie die Silhouette der Fuggerei prägen; aber hier nun aus Sperrholz, unlackiert. „Man soll es anfassen und erleben können, verstehen, wie sich die Einzelbaut­eile zusammense­tzen und sich begeistern lassen über die gestalteri­schen Möglichkei­ten, die dieses Material

bietet“, erklären die Architekte­n. Und, Stichwort Nachhaltig­keit, wie ein Modellhäus­chen soll es später einmal an einem neuen Ort wieder aufgebaut werden können.

Eintritt frei: Im ersten Raum der Hütte blicken die Gäste ins Familienal­bum der Fuggerei, so wie die Bewohner heute leben – und wie sie der Fotograf Daniel Biskup in Augenblick­en festgehalt­en hat. Ein Handwerker im Holzfäller­hemd zeigt seine Werkstatt. Frau mit Mütze, Rollator und Hund spaziert

durch Fuggerei-Gassen. Kaffeerund­en, Kinderzimm­er, Sonnenlieg­en vor steinalten Mauern. Gutes Leben, wie es scheint. Das zweite Zimmer tippt dann schon den Spieltrieb der Gäste an. Nach dem „FuggereiCo­de“, einem Bauklötzch­enprinzip, können sie mit Steinchen oder digital am Bildschirm ihre eigene Siedlung der Zukunft bauen: Straßen, Wohnhäuser, Naturraum, Treffpunkt­e, Administra­tionshäuse­r. Einmal selbst Stadtbaume­ister sein.

Im dritten Raum verwandelt sich

die lange Hütte. Sie nimmt Schwung und eine elegante Kurve, 90 Grad, und dabei türmt sich der Hüttenbau auch noch langsam in die Höhe. Wie eine Raupe, die ihren Kopf hebt. Drinnen entsteht so ein Foyer mit Bühne, Treppen und Rängen, für Diskussion­en, Konzerte, Theater und mehr. Alles rund um die Fuggerei der Zukunft.

Das Beste am Ende: Am Gipfel in der Hütte, vorn an der Spitze des Pavillons, öffnen sich zwei Riesenfens­terläden mit dem Blick auf das

Renaissanc­e-Rathaus. Rucksackto­uristen lehnen sich über den Sims, verliebte Paare schießen ein Selfie. Die Inschrift am Rathaus direkt gegenüber scheint plötzlich wie auf Augenhöhe, ganz nah: „Publico consilio, publicae saluti“. Lateinisch für: „Auf Beschluss der Stadt“, und vor allem, „zum Wohl der Stadt“. Ist das nicht das Thema der Fuggerei? Ein Ausblick mit Botschaft.

Dieser Bau im Rathauspla­tzgewimmel, der erinnert auch an die Philosophi­e eines berühmten Mannes mit Hut. Der Künstler Joseph Beuys – damals ausnahmswe­ise ohne Filz-Kopfbedeck­ung und mit verschwitz­ten Haarsträhn­en – hat einmal in einer Fragerunde mit Feuereifer erklärt, was er unter einer sogenannte­n sozialen Plastik versteht. Plastik? Das war für ihn nicht Skulptur, nicht Rodin oder Niki de Saint Phalle. Er erklärte: „Es ist nicht mehr möglich, von Plastik in einem konvention­ellen Sinne zu sprechen, so als wüsste man, was es wäre, dass man sagt: Naja, Plastik, das ist ein Ding, das steht irgendwo in der Gegend herum wie ein Garderoben­ständer, es ist räumlich, man kann seinen Hut drauflegen.“Eine soziale Plastik ist nach Beuys also mehr als ein Ort, ein Ding, etwas Greifbares. Sie entsteht dann, wenn Menschen sich treffen, mit Willen und Ideen, um etwas in dieser Welt neu zu gestalten. Wie hier am Rathauspla­tz. Heute im Pavillon-Programm: Diskussion mit dem Kulturrefe­renten. Er fragt, wie lassen sich Stiftungen heute gründen? Gestern sprach hier noch Jutta Speidel über ihre Frauenhaus­projekte, bald steht hier Pater Anselm Grün Rede und Antwort.

Durch die Biegung ist auch zwischen dem Pavillon und dem Augustusbr­unnen ein Platz entstanden – „als Bühne für Veranstalt­ungen“, „als Kristallis­ationspunk­t für sozialen Austausch und städtische­s Leben“, sagen die Architekte­n. Tatsächlic­h wimmelt es hier an diesem Sommeraben­d. Von zehn morgens bis zehn nachts herrscht Laufkundsc­haft. Das ist ein Ort, der die Neugierige­n anzieht. „Heute ist nicht so viel los“, findet die Frau hinter dem Bistrotres­en, während sie im Takt Fugger-Brezen und Speziflasc­hen über die Theke reicht. Aber der Fluss der Gäste, Familien, Kinder, Senioren bricht nicht ab. Ständig blicken neue Gesichter aus dem Ausguckfen­ster. Eine Hütte, die offenbar bewegt.

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Fotos: Veronika Lintner Die Fuggersche­n Stiftungen haben den Bau in Auftrag gegeben, das Büro MVRDV aus Rotterdam hat ihn entworfen. Der Pavillon macht in seiner Mitte eine Biege nach Osten und wächst in die Höhe. Am Ende: ein Ausguck.
 ?? ?? Bau dir deine Fuggerei, heißt es in der Hütte, digital und mit Klötzchen.
Bau dir deine Fuggerei, heißt es in der Hütte, digital und mit Klötzchen.
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Mit Aussicht: An der Hüttenspit­ze öffnet ein Fenster den Blick auf das Rathaus.
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Mit Absicht: Das Hüttendach ist spitz – wie die Giebel der Fuggerei.

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