Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Zukunft im Pavillon
Fuggerei Zum 500-jährigen Jubiläum bringt eine Hütte auf dem Rathausplatz den Geist der Sozialsiedlung mit den Plänen für ein neues, gerechtes Miteinander unter ein Dach. In dieser Idee steckt viel Charme – und auch eine Spur von Joseph Beuys.
Als hätte sich ein Gartenzwerg sein Zuhause für die schönen Tage gezimmert: Ein Holzhaus mit Spitzdach steht seit Mai auf dem Rathausplatz in Augsburg. Im Vorgarten der Hütte sprießt es sonnengelb und die grünen Fensterläden an den Seiten stehen so offen wie die blauweißen Türflügel. Am Eingang spricht ein Plakat die Einladung an jedermann aus: „Willkommen, Welt. Das Tor steht offen.“Also hereinspaziert, die ganze Menschheit? Diese Hütte hat Anspruch: Sie will Modell und Spielort und Zukunftswerkstätte in einem sein. Jeder, der hier eintritt, stößt auf Fragen. Gesucht werden: Antworten auf „sieben globale Herausforderungen“. Wie wollen wir in Zukunft leben, sicher, nachhaltig, selbstbestimmt und in Würde? Vorbild ist die Fuggerei, als Beispiel für soziales, günstiges, gutes Wohnen. Die Aufforderung: „Machen Sie Ihre Ideen selbst zum Impuls für die Welt.“Vor allem aber hat der Pavillon diesen Fleck Augsburg verwandelt.
Über den Platz wacht Kaiser Augustus in Rüstung, wie gewohnt. Seine Bronze steht auf der Spitze des Springbrunnens; jetzt aber zeigt seine Rechte eben – schnurgerade – auf die neue Hütte, die frisches Getümmel und staunende Blicke auslöst. Und damit deutet er auf eine Geschichte, die 1521 begann. Es war das Jahr, in dem Jakob Fugger die erste Sozialwohnungssiedlung der Welt gründete und bis heute baut dieses Projekt auf das Fuggersche Stiftungsvermögen. In 67 Häusern leben gut 150 bedürftige katholische Menschen noch nach Fuggers Regeln von damals. Die Miete: 88 Cent für ein Jahr und dazu bitte drei Gebete am Tag für die Fuggers.
500 Jahre, ein halbes Jahrtausen: Die Fuggerschen Stiftungen haben zum Jubiläum einen Pavillon in Auftrag gegeben. 150 Quadratmeter, das ist der Spielraum, den das Büro MVRDV aus Rotterdam gestaltet hat. Für das internationale Architektenteam ist dieser Bau „ein kühnes Zitat der typischen Fuggerei-Architektur“, mit spitzen Dächern, so wie sie die Silhouette der Fuggerei prägen; aber hier nun aus Sperrholz, unlackiert. „Man soll es anfassen und erleben können, verstehen, wie sich die Einzelbauteile zusammensetzen und sich begeistern lassen über die gestalterischen Möglichkeiten, die dieses Material
bietet“, erklären die Architekten. Und, Stichwort Nachhaltigkeit, wie ein Modellhäuschen soll es später einmal an einem neuen Ort wieder aufgebaut werden können.
Eintritt frei: Im ersten Raum der Hütte blicken die Gäste ins Familienalbum der Fuggerei, so wie die Bewohner heute leben – und wie sie der Fotograf Daniel Biskup in Augenblicken festgehalten hat. Ein Handwerker im Holzfällerhemd zeigt seine Werkstatt. Frau mit Mütze, Rollator und Hund spaziert
durch Fuggerei-Gassen. Kaffeerunden, Kinderzimmer, Sonnenliegen vor steinalten Mauern. Gutes Leben, wie es scheint. Das zweite Zimmer tippt dann schon den Spieltrieb der Gäste an. Nach dem „FuggereiCode“, einem Bauklötzchenprinzip, können sie mit Steinchen oder digital am Bildschirm ihre eigene Siedlung der Zukunft bauen: Straßen, Wohnhäuser, Naturraum, Treffpunkte, Administrationshäuser. Einmal selbst Stadtbaumeister sein.
Im dritten Raum verwandelt sich
die lange Hütte. Sie nimmt Schwung und eine elegante Kurve, 90 Grad, und dabei türmt sich der Hüttenbau auch noch langsam in die Höhe. Wie eine Raupe, die ihren Kopf hebt. Drinnen entsteht so ein Foyer mit Bühne, Treppen und Rängen, für Diskussionen, Konzerte, Theater und mehr. Alles rund um die Fuggerei der Zukunft.
Das Beste am Ende: Am Gipfel in der Hütte, vorn an der Spitze des Pavillons, öffnen sich zwei Riesenfensterläden mit dem Blick auf das
Renaissance-Rathaus. Rucksacktouristen lehnen sich über den Sims, verliebte Paare schießen ein Selfie. Die Inschrift am Rathaus direkt gegenüber scheint plötzlich wie auf Augenhöhe, ganz nah: „Publico consilio, publicae saluti“. Lateinisch für: „Auf Beschluss der Stadt“, und vor allem, „zum Wohl der Stadt“. Ist das nicht das Thema der Fuggerei? Ein Ausblick mit Botschaft.
Dieser Bau im Rathausplatzgewimmel, der erinnert auch an die Philosophie eines berühmten Mannes mit Hut. Der Künstler Joseph Beuys – damals ausnahmsweise ohne Filz-Kopfbedeckung und mit verschwitzten Haarsträhnen – hat einmal in einer Fragerunde mit Feuereifer erklärt, was er unter einer sogenannten sozialen Plastik versteht. Plastik? Das war für ihn nicht Skulptur, nicht Rodin oder Niki de Saint Phalle. Er erklärte: „Es ist nicht mehr möglich, von Plastik in einem konventionellen Sinne zu sprechen, so als wüsste man, was es wäre, dass man sagt: Naja, Plastik, das ist ein Ding, das steht irgendwo in der Gegend herum wie ein Garderobenständer, es ist räumlich, man kann seinen Hut drauflegen.“Eine soziale Plastik ist nach Beuys also mehr als ein Ort, ein Ding, etwas Greifbares. Sie entsteht dann, wenn Menschen sich treffen, mit Willen und Ideen, um etwas in dieser Welt neu zu gestalten. Wie hier am Rathausplatz. Heute im Pavillon-Programm: Diskussion mit dem Kulturreferenten. Er fragt, wie lassen sich Stiftungen heute gründen? Gestern sprach hier noch Jutta Speidel über ihre Frauenhausprojekte, bald steht hier Pater Anselm Grün Rede und Antwort.
Durch die Biegung ist auch zwischen dem Pavillon und dem Augustusbrunnen ein Platz entstanden – „als Bühne für Veranstaltungen“, „als Kristallisationspunkt für sozialen Austausch und städtisches Leben“, sagen die Architekten. Tatsächlich wimmelt es hier an diesem Sommerabend. Von zehn morgens bis zehn nachts herrscht Laufkundschaft. Das ist ein Ort, der die Neugierigen anzieht. „Heute ist nicht so viel los“, findet die Frau hinter dem Bistrotresen, während sie im Takt Fugger-Brezen und Speziflaschen über die Theke reicht. Aber der Fluss der Gäste, Familien, Kinder, Senioren bricht nicht ab. Ständig blicken neue Gesichter aus dem Ausguckfenster. Eine Hütte, die offenbar bewegt.