Augsburger Allgemeine (Land West)
Stolperstein für den Großvater: Enkel bricht in Tränen aus
Geschichte Seit Mittwoch gibt es drei neue Erinnerungszeichen für NS-Opfer im Augsburger Straßenpflaster. Nachkomme Paul Kramer sagt: „Wir sind so stolz auf unseren Opa.“
Paul Kramer aus München kommen die Tränen, als am Mittwoch ein „Stolperstein“für seinen gleichnamigen Großvater im Augsburger Straßenpflaster verlegt wird. Sein Großvater, ein Zeuge Jehovas, war ein Opfer der Nationalsozialisten. Er wurde wegen seines Glaubens verfolgt und ermordet. Daran soll der kleine glänzende Gedenkstein mit Gravur erinnern. „Ich bin absolut gerührt, das so etwas in Augsburg möglich ist, wir sind so stolz auf unseren Opa“, sagt Kramer zu der Aktion. Es ist die elfte Verlegung von „Stolpersteinen“in der Stadt. Es geht um drei Menschen, die dem Nazi-Terror aus ganz unterschiedlichen Gründen zum Opfer fielen.
In einem Gebäude an der Gögginger Straße 46 – gegenüber dem heutigen Polizeipräsidium – war vor über 70 Jahren die letzte bekannte Wohnadresse des damaligen Bierbrauers und Zeugen Jehovas Paul Kramer. Dieser Glaubensrichtung gehört heute auch Peter Glowotz aus Mering an. Deshalb ist er Pate des neuen Stolpersteins. Glowotz will an die gezielte Verfolgung der „Ernsten Bibelforscher“, wie sie im Nationalsozialismus auch hießen, erinnern. Sensibilisiert sei er auch durch den Lebenslauf seines fast 102-jährigen Vaters, sagt er. Als politisch Verfolgter sei er im KZ Dachau eingesessen und habe viel darüber erzählt. „Seine Erinnerungen haben sich mir eingebrannt.“
Glowotz sagt am Mittwoch, die Nazis hätten die Zeugen Jehovas zu Staatsfeinden erklärt, weil sie wegen ihrer christlichen Überzeugung keinen Dienst an der Waffe leisten wollten und den Hitler-Gruß verweigerten. „Zahlreiche Aussagen von Zeitzeugen und Forschungsbeiträge von Historikern dokumentieren die kompromisslose Haltung der Zeugen während der Zeit des NSRegimes.“
Auch Paul Kramer wollte seinen Glauben leben und andere davon überzeugen. So vertrieb er etwa Bibeln zum Selbstkostenpreis. Erstmals wird er 1936 für sechs Monate inhaftiert. Vorübergehend verliert sich seine Spur, um 1943 wieder aufzutauchen. 1943 kommt er in U-Haft in München Stadelheim und verbüßt anschließend eine weitere
Haftstrafe. 1944 wird Kramer ins KZ Dachau überführt, wo er als Häftling Nr. 133 372 den sogenannten Lila Winkel trägt – das Kennzeichen der einsitzenden Zeugen Jehovas. In Dachau stirbt er am 18. Februar 1945 – wahrscheinlich an den Folgen der erlittenen Entbehrungen, so Glowotz.
Ein weiterer neuer „Stolperstein“in der Bahnhofsstraße 14 erinnert
jetzt an Ferdinand Kain. Er war beruflich im Textilgewerbe tätig, außerordentlich gebildet, intelligent, aber hochsensibel, heißt es im Online-Gedenkbuch der Erinnerungswerkstatt Augsburg. Ab 1931 bekommt er psychische Probleme. Er hat Wahnvorstellungen, wird immer wieder aggressiv und muss in Behandlung. Stationen auf seinem Leidensweg sind die Heil- und Pflegeanstalt
Kaufbeuren-Irsee, das städtische Krankenhaus Kaufbeuren und schließlich die Tötungsanstalt Grafeneck. Dort wird er im Rahmen des NS-„Euthanasie“-Programms am 5. September 1940 ermordet.
In der Pferseer Straße 22 liegt jetzt ein Gedenkstein für Josef Furchtner. Beruflich war er Schlosser und scheint bis 1933 die eine oder andere Straftat begangen zu haben, heißt es im Online-Gedenkbuch. Gegen Kleinkriminelle, Obdachlose, Wanderarbeiter, Alkoholiker, Bettler gehen die Nationalsozialisten von Anfang an erbarmungslos vor. Sie gelten als „Asoziale“und „Gewohnheitsverbrecher“und werden häufig weggeschlossen. Josef Furchtner kommt 1934 zunächst ins KZ Dachau, später ins KZ Sachsenhausen, KZ Flossenbürg, KZ Ravensbrück und schließlich ins KZ Dachau. Dort stirbt er am 26. November 1942. Der Leichenschauschein verzeichnet als Krankheit „Darmkatarrh“und als Todesursache „Versagen von Herz und Kreislauf“. Aller Wahrscheinlichkeit seien Todeszeitpunkt und Todesursache manipuliert, so Historiker.
In Augsburg liegen nun Stolpersteine für 42 Opfer des NS-Terrors, 13 weitere warten auf eine Genehmigung, so Thomas Hacker von der lokalen Initiative. Stolpersteine werden in vielen Ländern verlegt. Hinter der Aktion steht der deutsche Künstler Gunter Demnig. Er will damit das größte dezentrale Mahnmal der Welt schaffen.