Augsburger Allgemeine (Land West)
Todesfall an Schule: Wie wichtig Trauerarbeit ist
Hilfe Der tragische Tode einer Schülerin hat das Augsburger Gymnasium Maria Stern vergangene Woche erschüttert. Experten berichten, worauf es in einer solchen Extremsituation ankommt.
Hinter jedem ihrer Einsätze steckt ein trauriger Anlass, doch die Umstände sind jedes Mal andere. Wenn Gerda Harprath plötzlich zu einer Schule gerufen wird, hat es dort einen Todes- oder schweren Krisenfall innerhalb der Schulfamilie gegeben. So wie am Augsburger Gymnasium Maria Stern vergangene Woche. Dort hat die Schulgemeinschaft den Tod einer Mitschülerin zu verkraften. Für die Mitarbeiterin der Krisenseelsorge im Schulbereich (KiS) des Bistums Augsburg gilt es in solch entsetzlichen Ausnahmesituationen, das System Schule zu stabilisieren. Harprath erzählt, auf was es in den ersten Stunden dabei ankommt und vor welchen Herausforderungen eine Schule nach so einem schlimmen Erlebnis weiterhin steht.
Die Religionslehrerin, die am Gymnasium Mering unterrichtet, ist schon lange Teil des diözesanen KiS-Teams. Sie wurde am vorvergangenen Montag an die Augsburger Schule gerufen. Eine 14-jährige Schülerin hatte sich, um kurz nach 8 Uhr morgens, das Leben genommen. Peter Kosak, Direktor des Schulwerks der Diözese Augsburg, wurde von der Schule sehr zeitnah informiert und stellte den Kontakt mit der KiS her. „Damit sollte gewährleistet werden, dass jeder, der Hilfe in Anspruch nehmen wollte, sie auch bekam“, betont er. Schließlich stehe die Schulfamilie in solch einer Situation unter Schock. Hilfe von außen, so wie von Gerda Harprath, helfe, dass in die „ChaosPhase“Struktur gebracht werde.
Die 57-Jährige richtete sich an der Schule einen Einsatzraum mit einer Flipchart ein, versammelte alle Einsatzkräfte, um sich einen ersten Eindruck von der Lage zu verschaffen. „Man muss als erstes klären, wer am stärksten von dem Todesfall betroffen ist, wie in dem Fall die Klasse des verstorbenen Mädchens. Um die Kinder muss man sich sofort kümmern.“Es werde besprochen, wer darüber hinaus unter Schülern, Lehrern und Mitarbeitern der Schule tangiert ist, wer Betreuung brauche. Rund 15 Einsatzkräfte hätten sich an jenem Montag um die Schulfamilie gesorgt, darunter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams der Polizei, des BRK, von KiS und auch von der eigenen Schule. Denn jede Schule verfügt, wie Gerda Harprath berichtet, über ein eigenes Kriseninterventionsteam. Es besteht unter anderem aus Schulleitung, Schulpsychologen, Beratungslehrern und oftmals auch Religionslehrkräften. Neben all der Trauerarbeit gebe es
in kurzer Zeit viel zu organisieren. Entscheidungen müssten getroffen werden, wie die Elternschaft informiert, in welchen Klassen Unterricht stattfinde oder wo ein alternatives Programm angeboten werde. Können Schulaufgaben geschrieben werden oder nicht? Wie wird der Pausenverkauf organisiert? Auch so scheinbar banale Fragen zu klären, sei in solchen Fällen wichtig. „Man darf nicht vergessen, dass die Schule mit ihrer Struktur Sicherheit bietet, während in der Trauer die Struktur verloren geht“, sagt Harprath.
In der Klasse des Mädchens fand an jenem Tag freilich kein Unterricht mehr statt. Die Helfer beruhigten die Schülerinnen und Schüler. Harprath weiß, dass Kinder in so einer Extremlage unterschiedlich reagieren. „Das kann Lachen, Weinen oder ein Erstarren sein. Trauer ist ein sehr individueller Prozess. Alle Reaktionen sind normal. Wichtig ist, auf jedes Kind einzugehen
es in die Normalität zurückzuführen.“Die Krisenseelsorger kämen dafür mit einem „Koffer voller möglichen Maßnahmen“an ihren Einsatzort. Es gebe kein Schema F. „Bei Maria Stern bestand mit der hauseigenen Kapelle die Möglichkeit, allein oder miteinander zu beten“, berichtet die KiS-Mitarbeiterin. Für Einzelgespräche wurde ein Trauerraum eingerichtet, eine Einsatzkraft stand für Lehrerinnen und Lehrer im Lehrerzimmer zur Verfügung, es kam zu Gruppengesprächen. Der Todesfall hat auch viele Eltern in Sorge versetzt. Gespräche mit Eltern und Vertretern des Elternbeirats wurden geführt. „Wir wollen da sehr transparent sein“, sagt Kosak. Es gebe Flyer für Schüler und Schülerinnen und Eltern. Die Lehrkräfte würden ebenfalls genau beobachten, wie sich die Kinder verhalten.
Trauerfälle, wie diese beschäftigen und begleiten eine Schule lange
Zeit. Die Bewältigung ist ein Prozess. Harprath weiß, dass gerade Kinder und Jugendliche eine starke Symbolik brauchen, um ihre Trauer zu verarbeiten. Da würden Plakate gemalt, Briefchen geschrieben. Schulwerksdirektor Peter Kosak erzählt, dass die Klassenkameradinnen und -kameraden der verstorbenen 14-Jährigen einen Spaziergang an die Wertach unternahmen. „Ihre Mitschüler haben gute Wünsche auf Papier geschrieben, sie als Boote gefaltet und in die Wertach gleiten lassen.“Ein Gottesdienst wurde abgehalten. Ein sehr sensibles Thema sei die Brücke, die nur wenige Meter von der Schule Maria Stern entfernt ist. Hier kommen täglich viele Schülerinnen und Schüler vorbei. Es wurden Blumen abgelegt, Kerzen angezündet. Um für die trauernden Kinder und Jugendlichen dort ein möglicher Ansprechpartner zu sein, waren in den vergangenen Tagen Mitglieder des schulischen Krisenund
interventionsteams und der Polizei an der Brücke präsent – vor, nach und während der Schulzeit. Sowohl Schulwerksdirektor Peter Kosak als auch KiS-Mitarbeiterin Gerda Harprath sind sich einig: „Dieser Ort darf kein Pilgerort werden. Die Trauer muss in die Schule gezogen werden – zum Schutz der Kinder“. Deshalb würden Einsatzkräfte an der Brücke immer wieder abgelegte Gegenstände entfernen. An der Schule selbst gibt es eigene Gedenkorte, wie etwa am Weiher auf dem Gelände. Die Klasse des Mädchens hat Bilder gemalt und Texte verfasst. Die Erinnerungen an die 14-Jährige hängen vor der Kapelle.
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