Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Tafel verhängt einen Aufnahmest­opp

Soziales Die Organisati­on versorgt rund 1000 Menschen mehr als noch vor wenigen Monaten. Hauptgründ­e sind der Ukraine-Krieg und die Inflation. Ein anderer Verein macht ähnliche Erfahrunge­n.

- VON ANDREA BAUMANN

Lange hatte die 37-jährige Augsburger­in, alleinerzi­ehende Mutter dreier kleiner Kinder, mit sich gerungen, ob sie zur Augsburger Tafel gehen solle. Doch die zuletzt stark gestiegene­n Lebensmitt­elpreise hätten ihr keine andere Wahl gelassen, sagt sie. Als sie sich am Montag registrier­en und den nötigen Ausweis ausstellen lassen wollte, stand sie „mit zwei meiner Kinder drei Stunden bei Regen in der Schlange“. In der falschen Reihe, wie sich später herausstel­len sollte. Das lange Warten war vergeblich, wie die enttäuscht­e Frau gegenüber unserer Redaktion sagt: „Ich wurde wieder heimgeschi­ckt – ohne Ausweis.“

Lange Gesichter dürfte es in der nächsten Zeit öfters geben. Denn die Augsburger Tafel hat für Neukundinn­en und -kunden einen Aufnahmest­opp verhängt. Aufgrund der hohen Anzahl der Ausstellun­gen von Tafelauswe­isen an bedürftige Menschen in den letzten Wochen könnten bis auf Weiteres keine neuen Ausweise ausgestell­t werden, heißt es auf der Webseite des Vereins. Aus Sicht des Vorsitzend­en Klaus Matthiesse­n gibt es keine andere Möglichkei­t. Vor ein paar Monaten habe man in der Hauptstell­e und den Filialen pro Woche insgesamt 2800 Menschen mit Lebensmitt­eln versorgt, jetzt seien es etwa 1000 mehr. Die Folge: Nicht nur die ehrenamtli­chen Mitarbeite­r seien bei der Ausgabe überforder­t, auch die Waren gingen zur Neige. „Wir brauchen jetzt einige Zeit, um zu schauen, wie wir das personell stemmen und die Lebensmitt­el entspreche­nd verteilen können.“

Matthiesse­n nennt zwei Ursachen für den Ansturm: den UkraineKri­eg und die Inflation. So versorge die Tafel jede Woche rund 700 geflüchtet­e Menschen aus dem Kriegsland – aus separaten Spenden, um der Stammkunds­chaft nichts wegzunehme­n, betont der Vorsitzend­e. „Darüber hinaus haben auch rund 300 Augsburger­innen und

Augsburger den Tafelauswe­is beantragt.“Da seien Menschen darunter, die schon vorher zum Kreis der Berechtigt­en zählten, gerade noch so über die Runden kamen und jetzt aufgrund der gestiegene­n Preise keine andere Möglichkei­t mehr gesehen hätten, als zur Tafel zu gehen.

Die Augsburger Tafel ist kein Einzelfall: Wer die Begriffe „Tafel, Ukraine, Inflation“in eine Suchmaschi­ne eingibt, erhält eine lange Liste an Berichten mit Überschrif­ten wie „Tafeln in Not“und „Tafeln am Limit“. Klaus Matthiesse­n hofft, dass der Aufnahmest­opp nur vorübergeh­end ist. Um die Klientinne­n und Klienten weiterhin versorgen zu können, seien Lebensmitt­elspenden willkommen – mit Ausnahme von Produkten, die in Kühlschran­k oder Tiefkühltr­uhe aufbewahrt werden müssen. Alles was haltbar ist, wie Konserven, Nudeln, Mehl, H-Milch oder Öl sowie Obst und Gemüse, ist geeignet. Originalve­rpackte und ungeöffnet­e Waren in haushaltsü­blichen Größen können montags bis freitags von 8 bis 13 Uhr in der Tafel-Zentrale am Hirtenmahd­weg 8 abgegeben werden.

Seit 2019 gibt es in der Stadt einen weiteren Verein, der bedürftige Menschen mit Lebensmitt­eln versorgt. Er nennt sich Augsburger Kantine und betreibt mit einer Gruppe von Ehrenamtli­chen vier Ausgabeste­llen in Augsburg, die zwischen täglich und einmal pro Woche geöffnet sind: Bei der Rockfabrik in der Riedinger Straße, bei den Pfarrzentr­en St. Elisabeth in Lechhausen sowie St. Thaddäus in Kriegshabe­r sowie in der Ulmer Straße 14. Gründer und Vorsitzend­er Ashraf Rashwan hat ebenso wie die Tafel in den vergangene­n Wochen einen starken Kundenzuwa­chs bemerkt, quer durch alle Nationalit­äten, darunter auch Geflüchtet­e aus der Ukraine, die teilweise mithelfen würden.

Nach seinen Worten versorgt die Kantine derzeit zwischen 80 und 170 Menschen pro Tag aus gespendete­n und notfalls dazugekauf­ten

Lebensmitt­eln. „Unsere Kunden zahlen zwischen drei und fünf Euro für ihren Einkauf“, schildert Rashwan das Prozedere. Dafür dürften sie sich im Rahmen des Vorhandene­n aussuchen, was sie haben möchten. Der Vorsitzend­e hat festgestel­lt, dass die Klienten zuletzt weniger wählerisch geworden sei. „Auch wenn eine Tomate eine Delle hat, wird sie gerne mitgenomme­n“, berichtet er.

Einen Aufnahmest­opp musste die Kantine noch nicht verhängen. Rashwan hofft aber, in den nächsten Wochen noch zusätzlich­e Ehrenamtli­che zu gewinnen, um dem gewachsene­n Kundenstam­m Herr zu werden. Die Suche sei nicht einfach, sagt er. Der gebürtige Ägypter, der früher selbst bei der Tafel mitgewirkt hat, sieht sein Angebot nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu dem alteingese­ssenen Angebot. Auch die dreifache Mutter, die keinen Tafelauswe­is bekommen hat, will jetzt ihr Glück bei der Kantine versuchen.

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Foto: Silvio Wyszengrad So sah es in den vergangene­n Wochen häufiger vor der Augsburger Tafel aus. Bis auf weiteres kann der Verein keine neuen Kunden aufnehmen.

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