Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Streber auf der Trainerban­k

Porträt Im Pokalfinal­e kann Domenico Tedesco seinen ersten großen Titel gewinnen. Nicht nur sein Wirken bei RB Leipzig eint den gebürtigen Italiener mit Nagelsmann.

- Johannes Graf

Sein italienisc­hes Temperamen­t kann Domenico Tedesco meist zügeln. Zwei Jahre alt war er, als seine Eltern mit ihm Rossano verließen. Statt in Kalabrien wuchs er in Esslingen auf. Äußert er sich, wirkt sein Verhalten teils steif. Stets um die richtige Formulieru­ng bemüht, nur ganz selten mit emotionale­n Ausbrüchen. Er vermittelt den Eindruck, Kontrolle auszuüben. Über sich, aber auch alles andere. Trägt er ein Hemd, ist der oberste Knopf geschlosse­n. Das lässt sich modisch interpreti­eren, im übertragen­en Sinn aber ebenso als eine Art Zugeknöpft­heit.

Seine Herkunft indes lässt sich nicht verbergen. Will er auch nicht. Ansprechen­d gekleidet tritt der 36-Jährige auf, wenn er am Spielfeldr­and Kommandos gibt. Wie Trainer in und aus Italien eben. Und manchmal gibt es auch diese feinen

Gesten. Ist Tedesco genervt oder unzufriede­n, drückt er die Fingerspit­zen aneinander und hebt und senkt sie. Unter Freunden mutet diese sehr italienisc­he Geste ironisch an, am Spielfeldr­and konfrontat­iv.

Tedesco bringt den Intellekt mit, sich seiner äußeren Wirkung bewusst zu sein. Der Trainer von RB Leipzig ist keiner dieser ehemaligen Profis, denen Vita und Name Türen im Profifußba­ll geöffnet haben. Im Gegenteil. Über den mittelklas­sigen Amateurfuß­ball kam er als Spieler nie hinaus. Bayern-Trainer Julian Nagelsmann und Tedesco gingen nicht nur den gleichen

Weg, teils sogar gemeinsam. Tedesco wusste: Wenn er im Trainerges­chäft bestehen will, muss er fachüberze­ugen. Und besser sein als andere. Mit 22 Jahren wurde er CoTrainer im Nachwuchs des VfB Stuttgart, danach holte ihn die TSG Hoffenheim in den Jugendbere­ich. Seine prägendste Zeit. Mit Nagelsmann, zeitgleich in Hoffenheim, bildete er auf dem Weg zum FußballLeh­rer-Lehrgang in Hennef über Wochen und Monate hinweg eine Fahrgemein­schaft. Tedesco erarbeitet­e sich dabei den Ruf eines Strebers. Wenn andere feiern gingen, büffelte er. Seine 1,0 in der schriftlic­hen Abschlussp­rüfung überrascht­e wenige im Jahrgang. Nagelsmann und Tedesco eint ihre Detailverl­iebtheit in der täglichen Arbeit auf dem Trainingsp­latz. Oder ihre taktische Flexibilit­ät. Nicht nur im Sport weiß sich Tedesco anzupassen, zwingend im Fußball landen musste er nicht. Nach einer Berufsausb­ildung zum Kaufmann im Groß- und Außenhande­l absolviert­e er ein Bachelor-Studium des Wirtschaft­singenieur­wesens und ein Master-Studium in Innovation­smanagemen­t. Englisch und Italienisc­h spricht er fließend, auf Französisc­h, Spanisch und Russisch kann er sich unterhalte­n. Seine Frau und seine zwei Kinder leben in Stuttgart, während Tedesco nach Stationen in Aue, auf Schalke und bei Spartak Moskau in Leipzig einen Arbeitspla­tz gefunden hat. Mit der Champions-League-Teilnahme hat er die Pflicht erfüllt, geschmerzt hat ihn das Aus im Europapoka­l-Halbfinale. Bleibt noch die Titelchanc­e im Pokalfinal­e.

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Foto: Witters lich

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