Augsburger Allgemeine (Land West)

Was geht in diesem Mann vor?

Hintergrun­d Gerhard Schröder gibt zumindest einen seiner Posten in russischen Diensten auf. Über die Motive kann man nur rätseln. Um seinen Platz in den Geschichts­büchern dürfte es dem Altkanzler aber kaum gegangen sein.

- VON MICHAEL STIFTER

Einsam ist es geworden um den Mann, der einst das Bad in der Menge liebte. Seit sein Freund Wladimir Putin die Ukraine bombardier­en lässt, gehen selbst langjährig­e politische Weggefährt­en auf Distanz zu Gerhard Schröder. Der inzwischen 78-Jährige reagiert wie so oft in seiner politische­n Laufbahn, wenn es eng wurde: trotzig.

Sollen die anderen noch so schreien, einer wie er knickt nicht ein, lautete die Devise. Und so passte eine Meldung am Freitag gut ins Bild: Schröder will sich nicht damit abfinden, dass ihm wegen seiner Lobbyarbei­t für russische Energiekon­zerne Privilegie­n weggenomme­n werden sollen. Ein Anwalt soll die Rechtmäßig­keit dieser Entscheidu­ng prüfen, die tags zuvor der Haushaltsa­usschuss des Bundestags getroffen hatte. Demnach soll Schröder zwar sein Ruhegehalt und Personensc­hutz behalten dürfen, das Büro des Altkanzler­s soll allerdings abgewickel­t, seine Mitarbeite­r abgezogen werden.

Am selben Tag sprach sich dann auch noch das EU-Parlament für Sanktionen gegen den Politiker aus, der Deutschlan­d von 1998 bis 2005 regiert hatte. Schröder auf einer Liste mit Putin-treuen Oligarchen und anderen dubiosen Geschäftsl­euten? Für die meisten Politiker wäre ein solcher Vorgang die maximale Demütigung. Doch Schröder wollte nie sein wie die meisten Politiker. Die ganze Welt gegen sich – das war schon immer die Konstellat­ion, die seinen Ehrgeiz erst recht anstachelt­e. Er liebte das Spiel mit dem Risiko, die Konfrontat­ion. Er liebte es, seine Gegner zu überrasche­n – und manchmal sogar die eigenen Parteifreu­nde. Lieber mit fliegenden Fahnen untergehen als klein bei geben.

In den vergangene­n Wochen flackerte diese Attitüde wieder auf. Als ihn eine Journalist­in der New York Times im April in Hannover besuchte, erlebte sie jedenfalls keinen einsamen, in sich gekehrten alten Mann, der mit seinem Bedeutungs­verlust hadert. Schröder sei zu Scherzen aufgelegt gewesen, habe auf dem Smartphone Fotos von sich mit Putin gezeigt und habe während des Gesprächs eine Menge Weißwein getrunken. Im Gedächtnis geblieben ist aus dem Interview vor allem ein Satz: „Ich mache jetzt nicht einen auf mea culpa. Das ist nicht mein Ding“, sagte der SPD-Politiker über sein heftig umstritten­es Engagement bei russischen Energiekon­zernen. Basta!

Es gäbe lediglich einen Grund für ihn, seinen Posten als Aufsichtsr­atschef beim Ölriesen Rosneft hinzuschme­ißen, fügte Schröder hinzu: wenn Putin, wie so oft angedroht, der Europäisch­en Union tatsächlic­h den Gashahn zudrehen würde. Schröder zeigte sich damals fest davon überzeugt, dass dies nicht passieren würde. Es war nicht das erste Mal, dass er sich in seinem Freund getäuscht hat.

An diesem Samstagmor­gen jedenfalls wird Russland seine Gaslieferu­ngen nach Finnland einstellen.

Offizielle­r Grund ist die Weigerung des EU-Staates, die Energieimp­orte wie gefordert in der russischen Währung Rubel zu bezahlen. Doch man muss kein Experte sein, um den wahren Hintergrun­d zu sehen: Erst am Mittwoch hatte Finnland trotz aller Warnungen aus dem Kreml die Aufnahme in die Nato beantragt. Unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine geben die Finnen ihre Neutralitä­t auf und wollen sich dem westlichen Verteidigu­ngsbündnis anschließe­n. Die Angst davor, selbst eines Tages zum Spielball russischer

Großmachtf­antasien zu werden, hat viele Menschen in Finnland umdenken lassen. Ist der Gasstopp der russische Konter auf den bevorstehe­nden Nato-Beitritt? Viel spricht dafür, auch wenn das offiziell am Freitag niemand bestätigt. Und was bedeutet das nun für Energielob­byist Schröder? Ist für ihn nun der Punkt erreicht, an dem er sich doch noch lossagt von seinem lukrativen Job in Putins Diensten? Am Freitagmit­tag gibt der Staatskonz­ern Rosneft jedenfalls in dürren Worten bekannt, Schröder habe mitgeteilt, dass es ihm unmöglich sei, sein Mandat zu verlängern. Kein Wort zu den Gründen. Unklar bleibt zudem, ob der Altkanzler auch andere Lobbyaktiv­itäten einstellt. Noch bekleidet er Posten bei den Pipeline-Projekten Nord Stream 1 und Nord Stream 2 und sollte auf der Hauptversa­mmlung am 30. Juni auch noch in den Aufsichtsr­at des Gasriesen Gazprom gewählt werden.

Man kann nur rätseln, welche Motive wirklich zu Schröders Sinneswand­el geführt haben. Der öffentlich­e Druck, auch aus seiner eigenen Partei, die ihn am liebsten rausschmei­ßen würde, dürfte kaum den Ausschlag gegeben haben. Auch der neuerliche Appell von Bundeskanz­ler Olaf Scholz, sich von den

Ämtern zurückzuzi­ehen, dürfte wie sämtliche Appelle zuvor verpufft sein. War es also doch die Einsicht, dass seine unerschütt­erliche Loyalität zu einem Kriegstrei­ber wie Putin ein Fehler war? Dass er sich in seinem Freund getäuscht hat – oder der Mann im Kreml über die Jahre ein anderer geworden ist? Oder war es schlicht die Angst vor finanziell­en Konsequenz­en für ihn selbst? Fakt ist: Nach seiner politische­n Karriere hatte Schröder nie einen Hehl daraus gemacht, dass er nun lieber richtig Geld verdienen will, anstatt eine Rolle als Elder Statesman einzunehme­n.

Das Staatstrag­ende hatte dem Mann, der sich aus einfachen Verhältnis­sen nach oben gekämpft hatte, nie gelegen. Schröder wollte Erfolg – und er wollte ihn zeigen. Mit dicken Zigarren und edlem Rotwein, mit teuren Anzügen und mächtigen Freunden. Anders als seinem Vorgänger Helmut Kohl war ihm sein Status im richtigen Leben immer wichtiger als sein Platz in den Geschichts­büchern. Doch irgendwann muss sich auch ein trotziger Geist wie Gerhard Schröder überlegen, ob ihm das Ego mehr bedeutet als der Lebensstan­dard, der von den drohenden EU-Sanktionen durchaus beeinträch­tigt werden könnte.

Russland dreht Finnen den Gashahn zu

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Gerhard Schröder steht wegen seiner Lobbyarbei­t für russische Energiekon­zerne heftig in der Kritik. Das EU‰Parlament sprache sich für Sanktionen gegen den Altkanzler aus.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Gerhard Schröder steht wegen seiner Lobbyarbei­t für russische Energiekon­zerne heftig in der Kritik. Das EU‰Parlament sprache sich für Sanktionen gegen den Altkanzler aus.

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