Augsburger Allgemeine (Land West)
Das System Volkswagen und sein Preis
Hintergrund Plötzlich hat die VW-Tochter Audi nur noch eine Frau im Vorstand. Warum die für Personal zuständige Top-Managerin Sabine Maaßen gehen musste – und ihr am Ende auch der Gewerkschaftshintergrund nicht half.
Ingolstadt/Wolfsburg Anfang April schien die Welt für Sabine Maaßen noch in Ordnung zu sein. Die als Arbeitsdirektorin für Personalthemen im Audi-Vorstand zuständige TopManagerin wirkte in dem Unternehmen angekommen, nachdem sie am 1. April 2020 in das Führungsgremium als zweite Frau berufen wurde. Die 56-Jährige sprühte im Gespräch mit unserer Redaktion vor Ideen und schwärmte von der Audi-Kultur und dem Engagement der Beschäftigten, die sich für aus der Ukraine geflüchtete Menschen einsetzen. „Es sind viele kleine Initiativen, die zusammen Großes bewirken“, sagte Maaßen. Dabei vergaß sie auch die Köchinnen und Köche der Audi-Kantinen nicht, welche die in der Volkswagen-Welt legendäre Currywurst für die humanitäre Hilfe einsetzen. Pro Wurst wurde ein Aufschlag fällig, der vom Krieg Betroffenen zugutekam. Die zuvor dem Vorstand der Thyssenkrupp Steel Europe AG angehörende promovierte Juristin ließ Basisnähe durchblicken und bekannte: „Wir nehmen die Gefühle und Gedanken unserer Beschäftigten sehr ernst.“
Maaßen schien nach ihrem allseits gelobten Corona-Krisen-Management auch mit dem wichtigsten Projekt, dem Dreiklang aus „Personalabbau, Umbau und Aufbau“planmäßig voranzukommen. Bei dem Autobauer fallen im Zuge der Elektrifizierung und Digitalisierung bis zu 9500 Arbeitsplätze sozial verträglich weg, während im Gegenzug etwa 2000 Stellen in Zukunftsbereichen wie der Softwareentwicklung aufgebaut werden. Das alles von der Personalseite her zu begleiten und umzusetzen, ist ein Kraftakt. Das gilt besonders für die spezielle Volkswagen-Welt, zu der die Tochter Audi gehört. Denn Mitbestimmung wird dort dank hoher Gewerkschaftsmacht maximal groß geschrieben. Am besten stellt man sich das Wort im Wolfsburg-Ingolstädter Macht-Kosmos in Versalien mit drei Ausrufezeichen dahinter vor, also als „MITBESTIMMUNG!!!“.
Doch auch diese Klippe, welche beinahe Volkswagen-Chef Herbert Diess nach Provokationen gegenüber dem Betriebsrat den Job gekostet hätte, schien Maaßen zu umschiffen. Schließlich kommt sie aus dem machtbewussten Gewerkschaftsladen und arbeitete von 2005 an für den Vorstand der IG Metall. Dort leitete sie ab 2013 das Justiziariat. Und Thyssenkrupp ist auch so ein Konzern, in dem sich Mitbestimmung in großen Buchstaben mit Ausrufezeichen in die Unternehmenskultur eingegraben hat. Bei Männern schreibt man in solchen Fällen, sie hätten den nötigen Stallgeruch. Maaßen sagte im Interview
denn auch zu den Veränderungen im Personalbereich: „Uns ist die Neuaufstellung gut im Dialog mit dem Betriebsrat gelungen.“Umso überraschender kam jetzt ihr überraschendes Ausscheiden als Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektorin. In Audi-Kreisen heißt es, plötzlich sei alles sehr schnell gegangen. Bei derartigen Anlässen werden in Pressemitteilungen die wahren Gründe einer Trennung wortreich verschleiert. Daher lässt sich aus dem Statement von Diess nicht herauslesen, weshalb Maaßen schon nach rund zwei Jahren weichen musste. Der VW-Boss lobt sie viel
über den grünen Klee und bedankt sich für ihr „hervorragendes Covid-Krisenmanagement“. Trotz dieser Umstände habe sie die Transformation bei Audi „wesentlich“vorangetrieben, eine zumindest etwas verräterische Formulierung. Das Wort „wesentlich“hat nämlich ordentliches Steigerungspotenzial, über „erfolgreich“, „sehr erfolgreich“bis hin zu „exzellent“.
Dabei eröffnet die Stellungnahme des Audi-Gesamtbetriebsrats-Vorsitzenden Peter Mosch mehr Raum für Spekulationen. Denn der Audiund VW-Aufsichtsrat dankt „Frau Maaßen für ihre Arbeit“, ohne die
Qualität der Tätigkeit näher zu beurteilen. Der Gewerkschafter verzichtet auf ein „wesentlich“, was Diess der zum 20. Mai ausgeschiedenen Frau noch vergönnt.
Der Rest der Mosch-Äußerungen liest sich wie eine Forderung, Mitbestimmung nun wirklich groß, vielleicht sogar mit vier Ausrufezeichen zu schreiben: „Die gleichzeitige digitale, ökologische und elektrische Transformation fordert von den Audi-Beschäftigten großen Einsatz. Deshalb setzen wir als Arbeitnehmervertretung auf eine moderne und beteiligungsorientierte Personalarbeit.“Dann folgt der für solche Pressenotizen ungewöhnliche Mitbestimmungsappell: „Dies wollen wir weiter ausbauen.“In Ingolstadt verlautet, man müsse diese Zeilen genau lesen, um auf die Spur zu kommen, warum sich Audi von der Managerin trennt. Die Spur führt nach Ingolstadt und ausnahmsweise
Die Spur führt nach Ingolstadt
bei heißen Personalthemen mal nicht nach Wolfsburg, wo traditionell Vorstände schnell in Misskredit fallen und ausgetauscht werden.
Dem Vernehmen nach haben aus Sicht von Beschäftigten-Vertretern „Anspruch und Wirklichkeit bei Frau Maaßen, was die operative Umsetzung des Personal-Umbaus betrifft, nicht zusammengepasst“. Es habe im täglichen Geschäft gehakt. Weiter wird einem zugeflüstert, die Managerin sei nie so richtig bei Audi angekommen, ihr fehle die automobile Vergangenheit und die in der VW-Familie innig gelebte Mitbestimmung stelle halt hohe Anforderungen an Führungskräfte.
Da sich die Betroffene, was bei solchen hochkarätigen Trennungen üblich ist, nicht zu Wort meldet, prallen zwei Sichtweisen aufeinander: Die einer engagierten Managerin, die sich angekommen fühlt und die Dinge im Sinne des Unternehmens mit Herz vorantreibt und die von Beschäftigtenvertretern, die mit Teilen der Arbeit der ausgeschiedenen Personal-Chefin bei nicht näher genannten Projekten unzufrieden sind. Da in der VW-Welt immer beide Seiten, also das Arbeitgeberwie Arbeitnehmerlager glücklich sein müssen, rauft man sich am Ende zu Entscheidungen zusammen, auch wenn sie in der Öffentlichkeit für Irritationen sorgen.
Bei Audi sitzt schließlich mit der Vertriebs- und Marketing-Chefin Hildegard Wortmann, 55, nur noch eine Frau im siebenköpfigen Vorstand. Über die frühere BMW-Managerin lässt sich auf der Arbeitgeberwie Arbeitnehmerseite nur das Beste in Erfahrung bringen: Hinter vorgehaltener Hand fallen reihenmehr weise Superlative wie „hervorragend“. Selbstdarstellung und praktische Umsetzung seien bei ihr „zu hundert Prozent deckungsgleich“.
In Zeiten, in denen Headhunter intensiv nach geeigneten Kandidatinnen für Vorstände fahnden, wirkt es erstaunlich, dass Audi in der Führung eine Frau durch einen Mann ersetzt. Doch in Ingolstadt verweist man darauf, mit dem neuen Personal-Vorstand, dem Spanier Xavier Ros, stelle sich die Unternehmensspitze „noch internationaler“auf. Diversität, also Buntheit, ist heute wichtig in Unternehmen. Die AudiLogik könnte lauten: Der Verlust einer Vorstandsfrau gibt zwar ein dickes Minus in der Diversitätsbilanz. Doch ein Spanier bringt ein ordentliches Plus.
Ros, der zuletzt das Personalressort bei der spanischen VW-Tochter Seat gemanagt hat, verfügt über ausreichend Auto-Stallgeruch: Anders als Maaßen ist er in der Branche groß geworden. Der studierte Maschinenbauer startete seine Karriere 1994 bei Audi in der Produktionslogistik, ehe es ihn 1999 zu Seat und später zu Volkswagen zog. Ros kennt die sorgsam austarierte 50:50-VW-Mentalität zwischen Arbeitgeberund Arbeitnehmerseite.
Maaßen ist nicht die erste Spitzen-Managerin, die bei VW nicht an Bord bleiben durfte. Auch Hiltrud Werner, 56, die im Vorstand des Konzerns nach dem Diesel-Skandal für den Bereich „Integrität und Recht“zuständig war, musste gehen und mit Manfred Döss einem Mann weichen. Zum Abschied am 1. Februar wurde Werner gedankt. Im Konzern bestreitet keiner, dass sie einen großen Beitrag geleistet hat, VW nach dem moralischen Desaster so aufzustellen, dass sich derartige Betrügereien wohl nicht wiederholen. Trotzdem musste die Frau abtreten, auch wenn die Managerin ein reges Auto-Vorleben (BMW, Zulieferer ZF Friedrichshafen) vorweisen kann und in Gewerkschaftskreisen Anerkennung genießt.
Die machtbewusste Werner soll Insidern zufolge nicht mit dem Betriebsrat aneinandergeraten sein, sondern mit Diess. Um im nach wie vor männerdominierten VW-Konzern lange bestehen zu können, ist eine enorme Wendigkeit nach allen Seiten hin vorteilhaft. Ein IG-Metall-Vorleben schützt nicht davor, am Ende abgesägt zu werden: Mit Karlheinz Blessing, 65, musste ein Mann trotz ausgeprägter Gewerkschaftsund SPD-Historie als VWPersonalvorstand nach nicht allzu langer Zeit gehen. In einem aufschlussreichen Interview sagte er dazu: „Mir konnte niemand sagen, was an meiner Arbeit nicht stimmte! Natürlich habe ich mir auch Gegner geschaffen.“Dann meinte er noch: „Volkswagen frisst einen auf.“