Augsburger Allgemeine (Land West)

Woher kommt die hohe Zahl der Covid‰Toten?

Pandemie

- VON MARKUS BÄR (mit dpa)

Nach wie vor sterben weiter täglich viele Menschen, die sich mit Corona infiziert haben. Doch diese Aussage des Robert-Koch-Instituts ist mit großer Vorsicht zu bewerten. Unterdesse­n rüstet sich der Freistaat für den Herbst.

München Sicher ist es so, dass die schrecklic­hen Kriegserei­gnisse in der Ukraine in den vergangene­n Wochen das Thema Covid in den Hintergrun­d gedrängt haben. Aber dennoch sterben weiterhin täglich Menschen an oder mit der Viruserkra­nkung. Am Freitag vermeldete das Robert-Koch-Institut (RKI) 151 zusätzlich­e Todesfälle – vom Vortag. Doch wie passt das zusammen mit den allgemein sinkenden Inzidenzen?

Für den Corona-Experten Prof. Clemens Wendtner von der München Klinik Schwabing (er behandelte vor über zwei Jahren den ersten deutschen Covid-Patienten) steht das nicht zwingend in Widerspruc­h. „Wir haben bei uns kaum noch Patienten, die an Covid sterben. Das war in den früheren Phasen der Pandemie deutlich anders“, sagt der Infektiolo­ge und Onkologe gegenüber unserer Redaktion. „Sie tragen zwar den Stempel Corona, weil sie positiv getestet wurden.“Aber als Todesursac­he sehe er in der Praxis in erster Linie viel schwerwieg­endere Begleiterk­rankungen, wie etwa Krebs. „Der jüngste Todesfall mit Covid bei uns war ein Patient mit einem Bauchspeic­heldrüsenk­rebs.“Viele seien überdies hochbetagt. „Aber das Alles wird in

Experte warnt vor „Alarmismus“

den Statistike­n des RKI gar nicht erfasst. Es heißt dann nur, der Verstorben­e hatte Covid. Doch das ist eine unbefriedi­gende Unschärfe.“Die dringend beseitigt werden müsse. „Wir wünschen uns hier ein Nachschärf­en des RKI.“

Viele Patientinn­en und Patienten, die in seiner Klinik wegen Covid behandelt würden, seien durchaus geimpft. „Das klingt fast wie ein Paradoxon.“Und tatsächlic­h höre man immer wieder, dass Menschen daraus schließen, dass die Impfung ja gar nichts bringe. „Das ist natürlich nicht richtig“, sagt Chefarzt Clemens Wendtner.

Die Impfung schütze definitiv mit einer hohen Wahrschein­lichkeit vor schweren Verläufen. Überdies gebe es immer noch keine wirklichen Durchbrüch­e beim Thema Medikament­e, die eingesetzt werden, wenn jemand bereits an Covid erkrankt ist. Zwar habe die Pharmaindu­strie sogenannte neutralisi­erende mono

klonale Antikörper entwickelt. Doch durch die sich ständig verändernd­en Corona-Varianten seien diese nicht immer passgenau. Was die Arbeit des Mediziners erschwere. Für den Herbst rechnet der Infektiolo­ge wieder mit einem Anstieg der Fallzahlen, wobei es ihm wichtig ist, keinen „Alarmismus“zu verbreiten. Dass die Fallzahlen bei Covid saisonal schwanken, sei ja inzwischen jedem klar. Es gebe derzeit keine Hinweise für gefährlich­e Neuentwick­lungen, wie sie etwa durch eine Kombinatio­n aus Delta und Omikron befürchtet wird. Es zeige sich eher, dass sich eine neue Omikronvar­iante ausbreite, die ein bisschen infektiöse­r ist als die bisherige. Aber nicht gefährlich­er. „Die Betten in den Kliniken werden ab

Herbst aber sicher trotzdem gefüllt.“Denn nach wie vor seien ja 20 Prozent der Bevölkerun­g ungeimpft. Diese werde es auf kurz über lang treffen.

Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) hat unterdesse­n ein Fünf-Punkte-Programm entwickelt, mit dem er auf den Corona-Herbst reagieren möchte. Dazu zählen der Ausbau von Corona-Früherkenn­ung und -Überwachun­g, das weitere Vorantreib­en von Impfungen, das Weiterführ­en eines Testkonzep­ts, die Stärkung der Klinik- und Pflegekapa­zitäten und schließlic­h eine dauerhafte Stärkung der Gesundheit­sämter. „Im Falle einer neuen Pandemie-Welle muss es den bestmöglic­hen Schutz geben“, betonte Holetschek am

Freitag anlässlich der Vorstellun­g seines Corona-Konzepts.

„Es ist verständli­ch, wenn Bürgerinne­n und Bürger sich angesichts der sinkenden Infektions­zahlen auf mehr Normalität und eine Verschnauf­pause in diesem Sommer freuen“, sagte Holetschek und betonte: „Unsere Vorsorge für den Herbst soll diese Freude nicht trüben, sondern im Gegenteil unterstütz­en.“Bayern setze auf einen Dreiklang von Freiheit, Eigenveran­twortung und Solidaritä­t.

Sein Ministeriu­m habe in den vergangene­n Wochen intensiv mit Experten aus Wissenscha­ft und Praxis sowie mit Oberbürger­meistern und Landräten darüber beraten, welche Schritte erforderli­ch seien, um den Freistaat für den Herbst zu rüsten.

Diese setze man nun schrittwei­se um. „Zugleich treiben wir die Abstimmung erforderli­cher Maßnahmen mit den anderen Bundesländ­ern und mit der Bundesregi­erung weiter voran.“Nötig sei ein klarer Rechtsrahm­en des Bundes für Schutzmaßn­ahmen.

Konkret plant Holetschek, dass unter Leitung des Landesamts für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) ein effiziente­s Frühwarnsy­stem eingericht­et wird. Das Projekt zur Sequenzier­ung von Coronaviru­s-Varianten solle ausgeweite­t werden, ebenso das Netz ausgewählt­er Arztpraxen, die die Verbreitun­g von Atemwegsin­fektionen beobachten.

Und auch das Abwassermo­nitoring zum Corona-Nachweis soll ausgebaut werden. Denn: Bereits kurz nach der Infektion ist das Virus in menschlich­en Ausscheidu­ngen nachweisba­r.„Mit diesen drei Modulen haben wir ein breit aufgestell­tes System zur Prognose des Infektions­geschehens.“

Die Impfzentre­n sollen beibehalte­n werden und bei Bedarf rasch hochgefahr­en werden können. „Denn klar ist: Impfungen sind weiterhin der beste Schutz vor schweren Krankheits­verläufen“, sagte Holetschek. Rechtzeiti­g vor dem Herbst wolle man auch nochmals für die Impfung werben. Das Pandemieze­ntrallager

Minister Holetschek stellt Fünf‰Punkte‰Plan vor

zur Versorgung mit Schutzausr­üstung und medizinisc­hen Geräten soll weiter aufrechter­halten bleiben.

Vom Bund fordert Holetschek, dass die Corona-Testverord­nung „sinnvoll“verlängert wird. Zudem solle der Bund kostenfrei­e Bürgertest­s „zumindest für unsere Jüngsten und Ältesten über den Juni hinaus weiterhin ermögliche­n“. Auch müsse sichergest­ellt sein, dass sich bei einer neuen Pandemiewe­lle die Menschen bei Symptomen rasch und niederschw­ellig testen lassen könnten. Die Krankenhau­s- und Pflegekapa­zitäten will Holetschek stärken – und das System der sogenannte­n Krankenhau­skoordinat­oren künftig auch unabhängig von der Ausrufung des Katastroph­enfalls fortführen. Außerdem will er die Arbeit der den Gesundheit­sämtern zur Verfügung gestellten Contact-Tracing-Kräfte bis mindestens Mitte 2023 verlängern.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa (Symbolbild) Särge mit Aufschrift „Corona“: Viele Menschen werden – nur weil sie infiziert waren – als Coronatote geführt, obwohl sie laut Ex‰ perten definitiv an etwas anderem gestorben sind.

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