Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Konzert wie keines zuvor
Wieder ein ganz besonderer Abend mit AnnenMayKantereit in Augsburg – und wieder ein Fall von höherer Gewalt.
das, was eigentlich „scheiße“ist, auf eine besondere Art „geil“werden. Dieser Donnerstagabend jedenfalls hat dem besonderen Verhältnis der Band AnnenMayKantereit zu Augsburg die zweite bewegende Verbindung hinzugefügt – wieder aus Unbilden entstanden.
Bei der ersten gemeinsamen Besonderheit hatte ein Konzert der heiß erwarteten Jungs beim Modular-Festival 2015 im Wittelsbacher Park nach nur drei Songs wegen schwerer Gewitter abgebrochen werden müssen – was zu einer versprochenen Wiederkehr und Fortsetzung zwei Jahre später führte, obwohl die inzwischen aufgestiegene Band schon zu teuer fürs Festival gewesen wäre. Diesmal musste die Band hundert Meter Luftlinie weiter in einem ausverkauften Kongress am Park im Kern zum Duo geschrumpft auf die Bühne treten.
Denn ausgerechnet bei dieser ersten Tour nach zwei Jahren CoronaPause, die darum den Titel „Tut gut wieder hier zu sein“trägt, wurde Gitarrist Christian alias „Chrissi“in Augsburg positiv auf Covid getestet, fiel damit aus – blieben nur MayKantereit ohne Annen. Sänger Henning, kürzlich auch schon 30 geworden, zeigte sich darum anfangs traurig, zerknirscht, unsicher und betonte, seit vollen elf Jahren kein Konzert mehr ohne Chrissi gespielt zu haben, also nie in der Geschichte der ja eben 2011 gegründeten Band.
Aber weil zu den verbliebenen beiden auf Touren ohnehin noch vier Musikerinnen kommen und weil alle verbliebenen zusammen eineinhalb Tage hindurch fieberhaft Songs umarrangiert und neu geprobt haben, retteten sie das Konzert in Augsburg doch, spielten es äußerlich also schon mal als ein Konzert wie keines zuvor. Weil so vieles dabei neu und anders glückte, die 1850 Fans in der Halle von Beginn an beglückt alles feierten, wurde es wieder ein besonderer Abend – mitten in den hinein May sich fragen musste: „Ist das nun scheiße? Oder doch auch irgendwie geil?“Und selber lachend konstatieren musste, dass es eben irgendwie doppeldeutig, unentschieden, verwirrend ist, und doch unterhaltsam und charmant. Und das ist die Gestimmtheit, das Lebensgefühl, für das die Band steht, mit dem sie erst im studentischen Milieu landete, inzwischen längst weit darüber hinaus wirkt.
Gerade mal vier Songs kürzer als bei den bisherigen Tourstationen war der eineinhalbstündige Auftritt in Augsburg. Von den zahlreichen Hits der Band fehlte nur „21, 22, 23“, das zu arrangieren das Sextett offenbar nicht mehr hinbekommen hat. Gestört hat es keinen, denn Ausnahmesituationen schaffen ja ohnehin immer spezielle Verbundenheit – und mitzusingen gab’s von
Anfang an mit „Marie“bis zu „Pocahontas“freilich und „Vielleicht Vielleicht“und „Oft gefragt“ja eh reichlich, zu tanzen von „Jenny Jenny“über „Ausgehen“bis zur letzten Zugabe „Ich geh heut nicht mehr tanzen“wahrlich genug. Die NeuArrangements haben funktioniert, Hennig hat immer wieder die vier Mitmusikerinnen Julia, Sofia, Carla und Lisa am Bass, Blechblas- und Streichwerk in ihren wichtigeren Rollen herausgehoben – und zurecht.
Unproblematisch und gefeiert freilich seine eigenen Solo-PianoNummern mit „Barfuß am Klavier“und „Tommi“– und ein bisschen wackelig, aber darum umso charmanter das auch allein mit Gitarre vorgetragene „Weißhausstraße“. So wurde es trotzdem und vielleicht durch die schmerzliche Absenz sogar mehr und bewusster das, was die Band mit Tourtitel und dazu passenden neuen Songs wie „Es tut so gut wieder hier zu sein“beabsichtigte: eine innige Wiedersehensfeier. Eindeutig mehr „geil“als „scheiße“, wenn eine bewegte Besucherin beim Verlassen der Halle ihren Freunden zuflüstert, als würde sie es gerade kapieren: „Das war einer meiner großen Träume, dieses Konzert – er ist wirklich geworden.“Tja, Augsburg und diese Band …
Wenn es mal passt, dann richtig. Denn wie viel Lebenszeit haben regelmäßig Konzertbesuchende schon bei irgendwelchen Vorgruppen verbrannt? An diesem Abend aber, mit Cari Cari aus Wien, die ja auch schon bei Modular waren und im November zu einem eigenen Konzert wieder anreisen: instrumentelle Reduktion und ausufernder Wahnsinn Indie-Rock – hinreißend!