Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Konzert wie keines zuvor

Wieder ein ganz besonderer Abend mit AnnenMayKa­ntereit in Augsburg – und wieder ein Fall von höherer Gewalt.

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Manchmal kann, um es mit dem Sänger Henning May zu sagen, gerade

das, was eigentlich „scheiße“ist, auf eine besondere Art „geil“werden. Dieser Donnerstag­abend jedenfalls hat dem besonderen Verhältnis der Band AnnenMayKa­ntereit zu Augsburg die zweite bewegende Verbindung hinzugefüg­t – wieder aus Unbilden entstanden.

Bei der ersten gemeinsame­n Besonderhe­it hatte ein Konzert der heiß erwarteten Jungs beim Modular-Festival 2015 im Wittelsbac­her Park nach nur drei Songs wegen schwerer Gewitter abgebroche­n werden müssen – was zu einer versproche­nen Wiederkehr und Fortsetzun­g zwei Jahre später führte, obwohl die inzwischen aufgestieg­ene Band schon zu teuer fürs Festival gewesen wäre. Diesmal musste die Band hundert Meter Luftlinie weiter in einem ausverkauf­ten Kongress am Park im Kern zum Duo geschrumpf­t auf die Bühne treten.

Denn ausgerechn­et bei dieser ersten Tour nach zwei Jahren CoronaPaus­e, die darum den Titel „Tut gut wieder hier zu sein“trägt, wurde Gitarrist Christian alias „Chrissi“in Augsburg positiv auf Covid getestet, fiel damit aus – blieben nur MayKantere­it ohne Annen. Sänger Henning, kürzlich auch schon 30 geworden, zeigte sich darum anfangs traurig, zerknirsch­t, unsicher und betonte, seit vollen elf Jahren kein Konzert mehr ohne Chrissi gespielt zu haben, also nie in der Geschichte der ja eben 2011 gegründete­n Band.

Aber weil zu den verblieben­en beiden auf Touren ohnehin noch vier Musikerinn­en kommen und weil alle verblieben­en zusammen eineinhalb Tage hindurch fieberhaft Songs umarrangie­rt und neu geprobt haben, retteten sie das Konzert in Augsburg doch, spielten es äußerlich also schon mal als ein Konzert wie keines zuvor. Weil so vieles dabei neu und anders glückte, die 1850 Fans in der Halle von Beginn an beglückt alles feierten, wurde es wieder ein besonderer Abend – mitten in den hinein May sich fragen musste: „Ist das nun scheiße? Oder doch auch irgendwie geil?“Und selber lachend konstatier­en musste, dass es eben irgendwie doppeldeut­ig, unentschie­den, verwirrend ist, und doch unterhalts­am und charmant. Und das ist die Gestimmthe­it, das Lebensgefü­hl, für das die Band steht, mit dem sie erst im studentisc­hen Milieu landete, inzwischen längst weit darüber hinaus wirkt.

Gerade mal vier Songs kürzer als bei den bisherigen Tourstatio­nen war der eineinhalb­stündige Auftritt in Augsburg. Von den zahlreiche­n Hits der Band fehlte nur „21, 22, 23“, das zu arrangiere­n das Sextett offenbar nicht mehr hinbekomme­n hat. Gestört hat es keinen, denn Ausnahmesi­tuationen schaffen ja ohnehin immer spezielle Verbundenh­eit – und mitzusinge­n gab’s von

Anfang an mit „Marie“bis zu „Pocahontas“freilich und „Vielleicht Vielleicht“und „Oft gefragt“ja eh reichlich, zu tanzen von „Jenny Jenny“über „Ausgehen“bis zur letzten Zugabe „Ich geh heut nicht mehr tanzen“wahrlich genug. Die NeuArrange­ments haben funktionie­rt, Hennig hat immer wieder die vier Mitmusiker­innen Julia, Sofia, Carla und Lisa am Bass, Blechblas- und Streichwer­k in ihren wichtigere­n Rollen herausgeho­ben – und zurecht.

Unproblema­tisch und gefeiert freilich seine eigenen Solo-PianoNumme­rn mit „Barfuß am Klavier“und „Tommi“– und ein bisschen wackelig, aber darum umso charmanter das auch allein mit Gitarre vorgetrage­ne „Weißhausst­raße“. So wurde es trotzdem und vielleicht durch die schmerzlic­he Absenz sogar mehr und bewusster das, was die Band mit Tourtitel und dazu passenden neuen Songs wie „Es tut so gut wieder hier zu sein“beabsichti­gte: eine innige Wiedersehe­nsfeier. Eindeutig mehr „geil“als „scheiße“, wenn eine bewegte Besucherin beim Verlassen der Halle ihren Freunden zuflüstert, als würde sie es gerade kapieren: „Das war einer meiner großen Träume, dieses Konzert – er ist wirklich geworden.“Tja, Augsburg und diese Band …

Wenn es mal passt, dann richtig. Denn wie viel Lebenszeit haben regelmäßig Konzertbes­uchende schon bei irgendwelc­hen Vorgruppen verbrannt? An diesem Abend aber, mit Cari Cari aus Wien, die ja auch schon bei Modular waren und im November zu einem eigenen Konzert wieder anreisen: instrument­elle Reduktion und ausufernde­r Wahnsinn Indie-Rock – hinreißend!

 ?? Foto: Bernd Rottmann ?? Sänger Henning May und eine seiner vier umwerfende­n Begleiteri­nnen im Kongress am Park.
Foto: Bernd Rottmann Sänger Henning May und eine seiner vier umwerfende­n Begleiteri­nnen im Kongress am Park.

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