Augsburger Allgemeine (Land West)

Bürokratie bringt Ukrainer und Behörden ans Limit

Krieg Nach wie vor müssen sich Geflüchtet­e aus der Ukraine dreimal registrier­en lassen. Noch bekommen sie Geld vom Sozialamt, bald ist für die meisten das Jobcenter die Anlaufstel­le. Was das heißt.

- VON ANDREA BAUMANN

Lange vor der Öffnungsze­it bilden sich vor dem Infopoint für Geflüchtet­e in der Bahnhofstr­aße Schlangen. Die Ukrainerin­nen und Ukrainer, die dem Krieg in ihrer Heimat entflohen sind, benötigen Hilfe auf dem Weg durch den Behörden- und Bürokratie­dschungel. Unterstütz­ung, die in den Räumen nahe dem Königsplat­z Haupt- und Ehrenamtli­che leisten. Das – bundesweit einheitlic­he – komplizier­te Registrier­ungsverfah­ren und die Beantragun­g von Sozialleis­tungen stellen nicht nur die Ukrainer vor große Herausford­erungen, sondern auch die zuständige­n Behörden und Einrichtun­gen. „Wir kommen nicht nur an, sondern über unsere Grenzen“, heißt es hinter vorgehalte­ner Hand.

So stellt sich das Jobcenter Augsburg auf eine Flut an neuen Kunden ein: Denn die Behörde ist ab 1. Juni für die Auszahlung der Sozialleis­tungen an das Gros der Geflüchtet­en zuständig, bislang wird dies ausschließ­lich über das Amt für soziale Leistungen abgewickel­t.

Knapp drei Monate nach der russischen Invasion in der Ukraine halten sich nach Schätzunge­n der Stadt rund 3000 Geflüchtet­e aus dem Kriegsland in Augsburg auf. Die allermeist­en von ihnen dürften bereits einen Antrag auf finanziell­e Unterstütz­ung gestellt haben. Nach den Zahlen des Amts für soziale Leistungen bekommen derzeit rund 2500 Personen beziehungs­weise 1400 Bedarfsgem­einschafte­n Geld ausbedesse­n Höhe sich am Asylbewerb­erleistung­sgesetz orientiert. Hinzu kämen noch mehrere Hunderte offene, also unbearbeit­ete Anträge.

Für die überwiegen­de Mehrheit der Ukrainer (Rentner etwa bleiben beim Sozialamt) ändert sich ab 1. Juni die Auszahlung­sbehörde. Sie wechseln zum Jobcenter und beziehen künftig bei Bedarf Arbeitslos­engeld 2, im Volksmund auch Hartz IV genannt. Wichtig: Das Jobcenter bekommt zwar die Daten der Leistungsb­ezieher übermittel­t. Diese müssen aber dennoch beim Jobcenter einen weiteren Kurzantrag stellen. Dieser ist online zweisprach­ig auf der Homepage (www.jobcentera­ugsburg-stadt.de) zu finden.

Beide Behörden appelliere­n an die Leistungsb­ezieher, hierzuland­e rasch ein Konto einzuricht­en und die Bankverbin­dung mitzuteile­n. Das Jobcenter muss die Umstellung der Fälle nach eigenen Angaben mit dem vorhandene­n Personal bewältigen. Die Dauer der Antragsbea­rbeitung hänge von der Vollständi­gkeit der eingereich­ten Unterlagen ab, wird betont. Sollten bis zum 1. Juni nicht alle Fälle überführt worden sein, übernehme das Sozialamt übergangsw­eise noch die Auszahlung.

Der Leistungst­ransfer und das komplizier­te Registrier­ungsverfah­ren bei der Stadt und der Regierung von Schwaben führen dazu, dass der Mitte April eröffnete Infopoint am Kö einen regelrecht­en Ansturm erlebt. Es werde deutlich, wie wichtig dieser Anlaufpunk­t sei, sagt Bürger

meisterin Martina Wild. „Wir sind aktuell in Gesprächen, die Laufzeit zu verlängern. Denn der Bedarf ist offensicht­lich.“Das Büro für gesellscha­ftliche Integratio­n hat gemeinsam mit den Vereinen Tür an Tür und Deutsch-Ukrainisch­er Dialog die Hauptorgan­isation am Infopoint inne. Zusätzlich helfen zahlreiche Freiwillig­e bei den Antragstel­lungen. „Sie legen hier ein sehr großes Engagement an den Tag“, betont Wild. Nach ihren Worten wird auch der Landkreis Augsburg zwei Beschäftig­te für die Anlaufstel­le abzahlt,

stellen. Auch Geflüchtet­e, die schon seit einiger Zeit in Augsburg seien, unterstütz­ten dort Neuankomme­nde.

Diese brauchen nicht nur finanziell­e Hilfe, sondern auch ein Dach über dem Kopf. In der Notunterku­nft auf dem Fujitsu-Areal sind nach Angaben der Stadt – Stand 17. Mai – 155 Personen untergebra­cht, in anderen Unterkünft­en 625. Es gebe freie Kapazitäte­n, doch die Stadt sucht weiterhin Unterkünft­e. Vermieter von größeren Objekten können sich unter der Mail-Adresse

immobilien-ukraine@augsburg.de melden.

Auch wenn auf der Vermittlun­gsplattfor­m für private Unterkünft­e freie Betten beziehungs­weise Zimmer zu finden sind, gibt es zunehmend ein Problem. Immer mehr Gastfamili­en sehen sich nicht in der Lage, die Geflüchtet­en dauerhaft bei sich zu Hause aufzunehme­n. „Die Anfragen von Gastfamili­en, welche die Untergebra­chten nicht weiter beherberge­n können, sowie die Zahl von ehemals privat untergebra­chten Personen, die in der Notunterku­nft vorstellig werden und daraufhin durch die Stadt untergebra­cht werden, nehmen stetig zu“, heißt es aus der Verwaltung. Momentan kann die Stadt die Auswirkung­en des Ukraine-Kriegs auf den Augsburger Wohnungsma­rkt noch nicht abschätzen. Es ist aber davon auszugehen, dass sich durch die Neuankömml­inge die ohnehin angespannt­e Situation verschärft.

Dass die Stadt nicht genau weiß, wie viele Menschen aus der Ukraine hier untergekom­men sind, liegt auch daran, dass sich viele erst nach einer gewissen Zeit registrier­en lassen und das Verfahren obendrein mit drei Behördente­rminen sehr aufwendig ist. Für die erste sogenannte „Light-Registrier­ung“ist bei der Ausländerb­ehörde laut Stadt ein Termin innerhalb von 24 bis 48 Stunden zu bekommen. Für die ausländeru­nd melderecht­liche Sachbearbe­itung müsse ein weiterer Termin vereinbart werden, hier seien die Wartezeite­n etwas länger.

Dazwischen müssen die Menschen aus der Ukraine noch das Ankerzentr­um in Lechhausen für eine vollständi­ge Registrier­ung über eine PIK-Station aufsuchen. Hier beträgt die Wartezeit auf einen Termin nach Angaben der zuständige­n Regierung von Schwaben derzeit eine Woche. Bis zu 200 Personen könnten täglich registrier­t werden – seit Ende Februar insgesamt rund 7000 Geflüchtet­e. Wie viele davon in Augsburg geblieben und wie viele an andere Orte in Schwaben (oder darüber hinaus) weitergere­ist sind, weiß die Regierung nicht.

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Foto: Silvio Wyszengrad (Archivbild) Für das Gros der Geflüchtet­en aus der Ukraine ist künftig das Jobcenter in Oberhausen die Anlaufstel­le, wenn sie soziale Leistun‰ gen beziehen.

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