Augsburger Allgemeine (Land West)

Klima‰Aktivisten erheben Vorwürfe nach Durchsuchu­ng

Justiz Der Staatsschu­tz durchsucht im Mai 2020 nach einer Spray-Aktion das Zimmer einer 15-jährigen Klima-Aktivistin aus Augsburg. Die Aktion sorgt für Kritik – auch wegen weitreiche­nder Folgen.

- VON MAX KRAMER

Janika Pondorf hat im Moritzsaal Platz genommen und spricht mit klarer Stimme in ein Mikrofon. Das ist, sagt sie, keine Selbstvers­tändlichke­it. Sie habe zwei schwere Jahre hinter sich, mit stationäre­n Klinik-Aufenthalt­en, Trauma-Therapien, einer posttrauma­tischen Belastungs­störung. Auch ihr Abitur habe sie um ein Jahr nach hinten verschiebe­n müssen. Und all das wegen der Ereignisse am Morgen des 20. Mai 2020 – dem Tag, an dem die Polizei plötzlich im Kinderzimm­er der damals 15-Jährigen stand und mit einer Durchsuchu­ng begann. Die Vorwürfe, die Pondorf heute erhebt, wiegen schwer.

Alles begann in der Nacht auf den 29. November 2019, den damaligen „Black Friday“– einem Tag, an dem viele Geschäfte mit deutlichen Rabatten werben. In den Morgenstun­den jenes Freitags wurden etliche Läden in der Innenstadt mit Parolen und Stichworte­n besprüht, darunter etwa „Buy nothing“, „Konsumabhä­ngig?“oder „#Erde retten“. Schnell gab Greenpeace Augsburg eine Pressemitt­eilung heraus, in der erklärt wurde, Aktivistin­nen und Aktivisten der Organisati­on hätten Einkaufspa­ssagen in der Nacht „mit Botschafte­n gegen den Konsumwahn“bemalt, mit abwaschbar­er Kreide. Die Aktion erregte Aufsehen, geriet bald nach dem „Black Friday“aber in Vergessenh­eit. Bis es fünf Monate später an der Tür von Janika Pondorf und Ingo Blechschmi­dt klingelte.

Die beiden waren zu diesem Zeitpunkt bekannte Gesichter der Augsburger Klimaschut­z-Bewegung – sie als zwischenze­itliche Fridays-forFuture-Pressespre­cherin, er als Initiator und Anmelder diverser Klimaschut­z-Demos. Beide betonen heute, nicht bei Greenpeace aktiv und auch nicht an der Sprüh-Aktion im November 2019 beteiligt gewe

sen zu sein. Umso mehr habe es sie überrascht, dass der Staatsschu­tz fünf Monate danach ihre privaten Räumlichke­iten durchforst­et habe – mit einem Durchsuchu­ngsbeschlu­ss, der sich explizit auf die Sprüh-Aktion im November 2019 bezogen habe. Blechschmi­dt betont: „Unter dem Vorwand von ‘Gefahr im Verzug’ ging es darum, Fridays for Future massiv einzuschüc­htern und einzuschrä­nken. Nur deshalb wurden bei denjenigen, die man als Hauptveran­twortliche ausgemacht hatte, Hausdurchs­uchungen durchgefüh­rt.“Ergeben habe die Durchsuchu­ng nichts, das Verfahren sei inzwischen eingestell­t.

das Ermittlung­sverfahren gegen Pondorf wegen Sachbeschä­digung wurde eingestell­t. Grund für die Anschuldig­ungen, so erzählt die heute 17-Jährige, seien Aufnahmen von Überwachun­gskameras gewesen. Sie selbst habe sie nie einsehen dürfen. Ihr sei gesagt worden, die Aufnahmen hätten eine weibliche Person gezeigt, die eine ähnliche Statur habe und zudem eine khakifarbe­ne Jacke getragen habe – so ähnlich wie Pondorf eine besaß und auf öffentlich­en Veranstalt­ungen trug. Doch nicht nur der aus ihrer Sicht „vorgeschob­ene“Anlass der Durchsuchu­ng empört die KlimaAktiv­istin. So habe sie während der

Aktion kaum Gelegenhei­t gehabt, sich ganz anzuziehen. Sie habe den sieben Beamtinnen und Beamten „halbnackt“gegenüberg­estanden. Auch sei scheinbar wahllos in ihrem Tagebuch gelesen worden. Dieser weitreiche­nde Eingriff in ihre Privatsphä­re habe fortwähren­de gesundheit­liche Probleme ausgelöst, behauptet sie. Mit rechtliche­m Beistand von Greenpeace legte Pondorf Beschwerde gegen den Beschluss des Augsburger Amtsgerich­ts ein, der der Durchsuchu­ng vorangegan­gen war. Diese Beschwerde verwarf die Jugendkamm­er des Landgerich­ts Augsburg im Juli 2020 als unbegründe­t, wie es von dort auf AnAuch

frage heißt. Schon der Anfangsver­dacht einer Straftat reiche aus, um eine Durchsuchu­ng anzuordnen. Ein Sprecher des Polizeiprä­sidiums Schwaben-Nord erklärt auf Anfrage, die Polizeiins­pektion Augsburg Mitte habe im November 2019 Ermittlung­en wegen „Sachbeschä­digungen in Form von Graffiti“aufgenomme­n. Dabei seien drei Tatverdäch­tige ermittelt worden, darunter eine damals 15-Jährige. „Da die Tat eine politische Motivation erkennen ließ, wurde die weitere Sachbearbe­itung zuständigk­eitshalber vom kriminalpo­lizeiliche­n Staatsschu­tz übernommen.“

Nach Angaben des Sprechers wurde die damals 15-Jährige „auf Grundlage bestehende­r Standards“erkennungs­dienstlich behandelt. Ziel sei gewesen, „insbesonde­re gesicherte­s Bildmateri­al der mutmaßlich­en Tätergrupp­e sowie am Tatort gesicherte Fingerspur­en mit den Merkmalen der Beschuldig­ten abgleichen zu können.“Bereits im Frühjahr 2021 seien Vorwürfe bekannt geworden, nach denen sich die damals 15-Jährige vor männlichen Beamten habe entkleiden müssen. Ermittlung­en des für Beamtendel­ikte zuständige­n Landeskrim­inalamts hätten ergeben, „dass die erkennungs­dienstlich­e Behandlung vorschrift­smäßig durch eine Frau durchgefüh­rt wurde.“

Die Klimaschut­z-Aktivistin­nen und -Aktivisten wollen im Vorgehen der Polizei ein Muster ausgemacht haben. Blechschmi­dt sagt, inzwischen habe es rund ein halbes Dutzend Hausdurchs­uchungen im Umfeld des Klimacamps gegeben – zuletzt Anfang April, als Staatsschu­tz-Beamte die Wohnung des früheren Bundestags­kandidaten der ÖDP, Alexander Mai, durchsucht­en. Der Aktion vorausgega­ngen war ein Strafantra­g des Augsburger AfD-Stadtrats Andreas Jurca, der sich durch einen Beitrag Mais in sozialen Medien verunglimp­ft sah.

Die Durchsuchu­ng von Blechschmi­dts und Pondorfs Räumlichke­iten ist zwei Jahre her. Warum gehen die beiden jetzt an die Öffentlich­keit? Einerseits, sagt Pondorf, habe man nicht von den politische­n Zielen der Klimaschut­z-Bewegung ablenken wollen. Anderersei­ts sei es ihr zuvor wegen der gesundheit­lichen Probleme infolge der Durchsuchu­ng emotional nicht möglich gewesen, sich öffentlich dazu zu äußern. Die Durchsuchu­ngsaktione­n hätten ihr Gutes gehabt, fügt Blechschmi­dt an. „Ohne diesen Schock und die nachfolgen­den Reflektion­sprozesse wäre das Klimacamp wohl nie gegründet worden.“

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Janika Pondorf (rechts) und Ingo Blechschmi­dt, hier auf der Pressekonf­erenz am Freitag, sind bekannte Gesichter der Augsburger Klimaschut­z‰Bewegung. Im Mai 2020 wur‰ den ihre Wohnräume vom Staatsschu­tz der Polizei durchsucht.
Foto: Silvio Wyszengrad Janika Pondorf (rechts) und Ingo Blechschmi­dt, hier auf der Pressekonf­erenz am Freitag, sind bekannte Gesichter der Augsburger Klimaschut­z‰Bewegung. Im Mai 2020 wur‰ den ihre Wohnräume vom Staatsschu­tz der Polizei durchsucht.

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