Augsburger Allgemeine (Land West)
In Augsburg wird deutlich mehr demonstriert
Das Demonstrationsgeschehen verändert sich – auch abseits von Fridays for Future und Corona. Ordnungsreferent Pintsch spricht von einer „erhöhten Polarisierung“.
Es ist ein strahlender FrühsommerVormittag in Augsburg. Die Temperaturen liegen weit über der 20-Grad-Marke, Passanten schlendern entspannt zwischen FuggerPavillon und Rathaus entlang. Ein Grüppchen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat sich auf dem Rathausplatz versammelt, sichtlich aufgeregt und angespannt. Gleich wollen sie an diesem Freitagvormittag fürs Klima losziehen und das, erstmals seit Langem, auch wieder zur Schulzeit. Zu früheren Klimaschutz-Demos von „Fridays for Future“(FFF) kamen teils Tausende Menschen in Augsburg zusammen. Nun, um 11.30 Uhr, sind es zwischen 50 und 100, die sich in Bewegung setzen. Am Ende sind es 150. Die Organisatoren hatten zumindest mit 200 Personen gerechnet. Es ist eine von vielen Demos, die Augsburg beschäftigen – und das in wachsendem Ausmaß.
„Jetzt kann sich Augsburg auf was gefasst machen“, ruft der erste Redner der FFF-Demo und die Masse setzt sich in Bewegung Richtung Dom. Angeführt wird die Demonstration von einem Fahrradwagen mit Lautsprecherbox: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, dröhnt es in altbekannter Manier aus dem Megafon. Eskortiert wird die Demonstration von mehreren Polizeikräften. Unüberhörund -sehbar wollen die Demonstrierenden sein. „Es ist wichtig, dass wir uns für die Zukunft engagieren“, sagt etwa Schülerin Frieda. Und mit dieser Haltung ist sie in guter Gesellschaft. Immer mehr Menschen treten in Augsburg für ihre Belange öffentlich ein.
Die Zahl der Demonstrationen hat in Augsburg deutlich zugenommen. Während die Polizei in Augsburg zwischen 2016 und 2019 etwa 200 bis 350 Versammlungen jährlich betreute, stieg die Zahl 2020 auf gut 650 an. 2021 waren es etwa 500. Der Trend steigender Demo-Zahlen setzt sich nach Angaben eines Sprechers auch in der ersten Jahreshälfte 2022 fort.
Wie Ordnungsreferent Frank Pintsch (CSU) auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, beschied die Stadt im ersten Quartal dieses Jahres insgesamt 161 Versammlungen. Zum Vergleich: Im ersten Quartal 2021 waren es 132, 2020 noch 116, 2019 nur 68. „Die Motivation vieler Menschen, ihre grundrechtlich geschützte Meinungskundgabe in Form von Versammlungen zu äußern, hat in ganz erheblichem Umfang zugenommen“, sagt Pintsch.
Menschen wollten sich nach außen in Versammlungen zu verschiedenen Themen äußern – zum Beispiel Gesundheitsthemen und Pandemie, Friedenspolitik, Klimaschutz, Antidiskriminierung und Gleichstellung, Religion und Weltanschauung.
Unabhängig vom Anlass: Die Vielzahl an Demonstrationen bedeutet nach Einschätzung von Pintsch auch für die Stadt ein deutliches Mehr an Arbeit. Da seien die „üblichen Maßnahmen“, etwa die Prüfung einer geeigneten Örtlichkeit oder Diskussionen über Aufzugstrecken in Kooperationsgesprächen. Da seien aber auch „zunehmend neue Versammlungsformen“wie etwa Fahrrad-Demos oder Autokorsos. In jedem Einzelfall müsse etwa geprüft werden, ob und inwiefern der Verkehr und Baustellen be
würden. Grundsätzlich, betont Pintsch, sei die Vielzahl der Demos Ausdruck des Kerngehalts von Versammlungs- und Meinungsfreiheit; in diesem Zusammenhang sei aber auch eine „erhöhte Polarisierung in unserer Gesellschaft“zu beobachten.
Dies wurde im vergangenen halben Jahr in Augsburg nirgendwo so deutlich wie im Zusammenhang mit den sogenannten Corona-Demos. Seit Monaten sind sie samstags und montags unterwegs. Doch auch hier hat sich das Bild inzwischen verändert. Gingen früher teils Tausende auf die Straße, um unter anderem gegen Corona-Maßnahmen und eine allgemeine Impfpflicht sowie für Aufarbeitung der Corona-Politik und wahrheitsgetreuen Journalismus zu demonstrieren, liegen die Teilnehmerzahlen inzwischen samsViele
tags im dreistelligen, montags oft auch im zweistelligen Bereich. „Es ist nicht wichtig, ob 500 oder 5000 mitlaufen“, sagt Organisatorin Michaela Königsberger. „Die Botschaft ist wichtig.“Viele seien bereits vernetzt, teilweise schlössen sich noch neue Menschen an, gerade in den Stadtteilen; regelmäßig dabei sei nun aber vor allem der „harte Kern“.
Mit der Teilnehmerzahl hat das Konfliktpotenzial wegen Verkehrsbehinderungen abgenommen. Beschwerten sich zwischenzeitlich etliche Bürgerinnen und Bürger, weil Busse und Straßenbahnen ausgefallen waren, haben sich die Auswirkungen auf den Verkehr nun auf ein Mindestmaß reduziert. Das hängt damit zusammen, dass seit dem Plärrer samstags zwischen zwei Start- und Endpunkten abgewecheinträchtigt selt wird. Der eine liegt in der Ladehofstraße, der andere in der Hallstraße. Stand jetzt, sagt Königsberger, wolle man am Samstag-Montag-Rhythmus festhalten. Nachdem man montags inzwischen aber die meisten Augsburger Stadtteile erreicht habe, sei vorstellbar, künftig an diesem Tag auch stärker in die Breite zu gehen – also etwa in den Landkreis Augsburg.
Auch die Klima-Demo, die sich an diesem Freitag ihren Weg durch Augsburg bahnt, löst unterschiedliche Reaktionen aus. „Was schreien die?“, fragt ein älterer Herr. Manche lächeln und werfen Geld in die Spendenbox, die einige Kinder in den Händen halten. Andere schauen weg, applaudieren oder stecken neugierig den Kopf aus dem Fenster. So oder so: Die Aufmerksamkeit ist da.