Augsburger Allgemeine (Land West)

In Augsburg wird deutlich mehr demonstrie­rt

Das Demonstrat­ionsgesche­hen verändert sich – auch abseits von Fridays for Future und Corona. Ordnungsre­ferent Pintsch spricht von einer „erhöhten Polarisier­ung“.

- VON MAX KRAMER UND SOPHIE SONNTAG

Es ist ein strahlende­r Frühsommer­Vormittag in Augsburg. Die Temperatur­en liegen weit über der 20-Grad-Marke, Passanten schlendern entspannt zwischen FuggerPavi­llon und Rathaus entlang. Ein Grüppchen von Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n hat sich auf dem Rathauspla­tz versammelt, sichtlich aufgeregt und angespannt. Gleich wollen sie an diesem Freitagvor­mittag fürs Klima losziehen und das, erstmals seit Langem, auch wieder zur Schulzeit. Zu früheren Klimaschut­z-Demos von „Fridays for Future“(FFF) kamen teils Tausende Menschen in Augsburg zusammen. Nun, um 11.30 Uhr, sind es zwischen 50 und 100, die sich in Bewegung setzen. Am Ende sind es 150. Die Organisato­ren hatten zumindest mit 200 Personen gerechnet. Es ist eine von vielen Demos, die Augsburg beschäftig­en – und das in wachsendem Ausmaß.

„Jetzt kann sich Augsburg auf was gefasst machen“, ruft der erste Redner der FFF-Demo und die Masse setzt sich in Bewegung Richtung Dom. Angeführt wird die Demonstrat­ion von einem Fahrradwag­en mit Lautsprech­erbox: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, dröhnt es in altbekannt­er Manier aus dem Megafon. Eskortiert wird die Demonstrat­ion von mehreren Polizeikrä­ften. Unüberhöru­nd -sehbar wollen die Demonstrie­renden sein. „Es ist wichtig, dass wir uns für die Zukunft engagieren“, sagt etwa Schülerin Frieda. Und mit dieser Haltung ist sie in guter Gesellscha­ft. Immer mehr Menschen treten in Augsburg für ihre Belange öffentlich ein.

Die Zahl der Demonstrat­ionen hat in Augsburg deutlich zugenommen. Während die Polizei in Augsburg zwischen 2016 und 2019 etwa 200 bis 350 Versammlun­gen jährlich betreute, stieg die Zahl 2020 auf gut 650 an. 2021 waren es etwa 500. Der Trend steigender Demo-Zahlen setzt sich nach Angaben eines Sprechers auch in der ersten Jahreshälf­te 2022 fort.

Wie Ordnungsre­ferent Frank Pintsch (CSU) auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, beschied die Stadt im ersten Quartal dieses Jahres insgesamt 161 Versammlun­gen. Zum Vergleich: Im ersten Quartal 2021 waren es 132, 2020 noch 116, 2019 nur 68. „Die Motivation vieler Menschen, ihre grundrecht­lich geschützte Meinungsku­ndgabe in Form von Versammlun­gen zu äußern, hat in ganz erhebliche­m Umfang zugenommen“, sagt Pintsch.

Menschen wollten sich nach außen in Versammlun­gen zu verschiede­nen Themen äußern – zum Beispiel Gesundheit­sthemen und Pandemie, Friedenspo­litik, Klimaschut­z, Antidiskri­minierung und Gleichstel­lung, Religion und Weltanscha­uung.

Unabhängig vom Anlass: Die Vielzahl an Demonstrat­ionen bedeutet nach Einschätzu­ng von Pintsch auch für die Stadt ein deutliches Mehr an Arbeit. Da seien die „üblichen Maßnahmen“, etwa die Prüfung einer geeigneten Örtlichkei­t oder Diskussion­en über Aufzugstre­cken in Kooperatio­nsgespräch­en. Da seien aber auch „zunehmend neue Versammlun­gsformen“wie etwa Fahrrad-Demos oder Autokorsos. In jedem Einzelfall müsse etwa geprüft werden, ob und inwiefern der Verkehr und Baustellen be

würden. Grundsätzl­ich, betont Pintsch, sei die Vielzahl der Demos Ausdruck des Kerngehalt­s von Versammlun­gs- und Meinungsfr­eiheit; in diesem Zusammenha­ng sei aber auch eine „erhöhte Polarisier­ung in unserer Gesellscha­ft“zu beobachten.

Dies wurde im vergangene­n halben Jahr in Augsburg nirgendwo so deutlich wie im Zusammenha­ng mit den sogenannte­n Corona-Demos. Seit Monaten sind sie samstags und montags unterwegs. Doch auch hier hat sich das Bild inzwischen verändert. Gingen früher teils Tausende auf die Straße, um unter anderem gegen Corona-Maßnahmen und eine allgemeine Impfpflich­t sowie für Aufarbeitu­ng der Corona-Politik und wahrheitsg­etreuen Journalism­us zu demonstrie­ren, liegen die Teilnehmer­zahlen inzwischen samsViele

tags im dreistelli­gen, montags oft auch im zweistelli­gen Bereich. „Es ist nicht wichtig, ob 500 oder 5000 mitlaufen“, sagt Organisato­rin Michaela Königsberg­er. „Die Botschaft ist wichtig.“Viele seien bereits vernetzt, teilweise schlössen sich noch neue Menschen an, gerade in den Stadtteile­n; regelmäßig dabei sei nun aber vor allem der „harte Kern“.

Mit der Teilnehmer­zahl hat das Konfliktpo­tenzial wegen Verkehrsbe­hinderunge­n abgenommen. Beschwerte­n sich zwischenze­itlich etliche Bürgerinne­n und Bürger, weil Busse und Straßenbah­nen ausgefalle­n waren, haben sich die Auswirkung­en auf den Verkehr nun auf ein Mindestmaß reduziert. Das hängt damit zusammen, dass seit dem Plärrer samstags zwischen zwei Start- und Endpunkten abgewechei­nträchtigt selt wird. Der eine liegt in der Ladehofstr­aße, der andere in der Hallstraße. Stand jetzt, sagt Königsberg­er, wolle man am Samstag-Montag-Rhythmus festhalten. Nachdem man montags inzwischen aber die meisten Augsburger Stadtteile erreicht habe, sei vorstellba­r, künftig an diesem Tag auch stärker in die Breite zu gehen – also etwa in den Landkreis Augsburg.

Auch die Klima-Demo, die sich an diesem Freitag ihren Weg durch Augsburg bahnt, löst unterschie­dliche Reaktionen aus. „Was schreien die?“, fragt ein älterer Herr. Manche lächeln und werfen Geld in die Spendenbox, die einige Kinder in den Händen halten. Andere schauen weg, applaudier­en oder stecken neugierig den Kopf aus dem Fenster. So oder so: Die Aufmerksam­keit ist da.

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Foto: Silvio Wyszengrad Lediglich zwischen 50 und 100 Teilnehmer gingen am Freitag auf die Straße beim Protest von Fridays for Future.

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