Augsburger Allgemeine (Land West)
Ukraine-Krieg exportiert den Hunger Gut Brot braucht Zeit
Warum die Folgen der Krise bis zum täglichen Brot reichen in Länder wie Ägypten reichen. Die Grundzutaten sind einfach: Mehl, Wasser und Salz. Eine Wissenschaft ist es aber, daraus eine Delikatesse zu machen.
Der Ukraine-Krieg verschlechtert die Welternährungslage, er schafft Hunger. Das liegt am Getreide, das knapper und so auch teurer wird, und dann auch am Brot. Zwei der großen Getreide-Exporteure auf der Welt fallen durch den Krieg nun mehr oder weniger aus. Das kann dann in einem Land wie Ägypten zum Beispiel, aber auch in anderen nordafrikanischen Ländern, zu fatalen Situationen führen, wie Tobias Heidland vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel sagt.
Der Professor hat anhand von mathematischen Modellen überprüft, wie sich der Krieg auf die nähere Zukunft auswirken könnte. „Das Angebot wird erst einmal deutlich knapper“, so Heidland. Wirtschaftliche Anpassungseffekte – etwa dass andere Länder ihre Produktion steigern und den Ausfall kompensieren sowie damit folgend weitere Veränderungen auf dem Agrarmarkt – werde es frühestens in einem Jahr, vielleicht aber auch noch später geben. „Die Bauern brauchen für solche Umstellungen einen Vorlauf“, sagt Heidland. Fruchtfolgen müssen beachtet werden, damit Böden nicht auslaugen. Sofort umzustellen sei oft nicht möglich.
Auch in Deutschland steigen die Lebensmittelpreise bereits spürbar. Sonnenblumenöl ist in manchen Regalen knapp geworden. Die Ukraine produziert weltweit mehr als ein Viertel der Sonnenblumenkerne. In Deutschland lösen steigende Preise aber keine Hungerkrise mehr aus. „Vor 150 Jahren, zur industriellen Revolution, wäre das noch der Fall gewesen“, sagt der Professor. Heute liegt der prozentuale Anteil des Einkommens, den jeder Haushalt für Lebensmittel und Getränke ausgibt, durchschnittlich nur noch bei 10,3 Prozent. Stiegen die Lebensmittelpreise um 10 Prozent, könnte das leichter aufgefangen werden, indem anderswo gespart wird. Ganz anders ist das zum Beispiel in einem Land wie Ägypten, sagt Heidland. Dort liegt der Anteil, den jeder Haushalt von seinem Einkommen durchschnittlich für Lebensmittel ausgibt, deutlich höher. Preiserhöhungen haben dann deutlich schwerwiegendere Auswirkungen, vor allem auf den ärmeren Teil der Bevölkerung.
Der Arabische Frühling hat gezeigt, wozu höhere Lebensmittelpreise führen können, erklärt der Forscher
In Ägypten gibt es Megacitys wie Kairo und eine große urbane Bevölkerung. Seinen Bedarf an Lebensmitteln könne, so Heidland, das Land nicht mehr selbst decken. Vor 2000 Jahren zählte Ägypten noch zu den Kornkammern des Römischen Reichs. Heute muss das Land selbst Getreide importieren. „In den zurückliegenden Jahrzehnten hat sich der Import von Getreide aus der Ukraine und aus Russland immer weiter erhöht“, sagt Heidland. Denn beide Länder sind nah, produzieren viel und sind über den Seeweg, also das Mittelmeer und das Schwarze Meer, gut zu erreichen. Aber nun kommt es durch den Krieg dort zu Ausfällen der Produktion. „In den Kriegsgebieten kann nicht mehr angebaut werden. Es wird auch davon berichtet, dass russische Truppen Felder vermint haben“, sagt Heidland. Dazu kann die Ukraine das Getreide nicht mehr auf dem Seeweg exportieren. Und die Ausweichroute per Zug nach Rumänien wird bombardiert. „Dazu hat Russland seine Exporte reduziert“, sagt Heidland. Von den internationalen Handelssanktionen sind Lebensmittel und Getreide zwar ausgenommen – „aber viele Reeder steuern die russischen Häfen nicht mehr an“.
Für ein Land wie Ägypten, aber auch in den anderen nordafrikanischen Ländern bedeutet das nichts Gutes. Die Regierung in Ägypten subventioniert für zwei Drittel der Bevölkerung die Brotpreise. Damit wird das Grundnahrungsmittel auch für den ärmeren Teil der Bevölkerung erschwinglich und: Die Regierung stellt sicher, dass es keinen Hunger gibt. „Das verschafft dem Staat dort Legitimität“, sagt Heidland und erinnert daran: „In Tunesien hat man beim Arabischen Frühling gesehen, welche gesellschaftliche Dynamik steigende Lebensmittelpreise entfalten können.“Die ägyptische Regierung stehe nun vor der Wahl, die subventionierten Preise stabil zu halten, was aber bedeutet, deutlich mehr Geld dafür auszugeben, gegenfinanziert durch mehr Staatsverschuldung. Oder aber die Regierung erhöht die Brotpreise. „Das könnte sich aber auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Regierung auswirken“, sagt Heidland. Zusammenfassend und düster sagt der Kieler Professor: „Der Ukraine-Krieg exportiert Hunger.“
gibt Brot und Brot. Brot, das man isst, ohne je an den Geschmack zu denken. Aus Gewohnheit, weil man Brot halt schon seit Menschengedenken zu allen möglichen Anlässen isst, morgens, mittags oder abends, zu Süßem, zu Saurem, zu Wurst und Käse. Und es gibt Brot, das lässt einen die Zeitung nicht weiterlesen, das zwingt einen förmlich, anzuhalten, sich auf seine Geschmacksnerven zu konzentrieren, mit- und nachzuschmecken. Das ist Brot, das man nicht vergisst, das sich einem einbrennt, von dem man wissen will, wer es gemacht hat und wie.
Die Grundzutaten sind ja an Einfachheit nicht zu überbieten: Man nehme Mehl, Wasser und Salz. Aber schon im nächsten Schritt – wie viel von welchem, was noch als spezielle Zutat, mit oder ohne zusätzliche Hefe, mit oder ohne Sauerteig, dann auch noch ein paar Brotgewürze – fängt das Einfache an, an Komplexität zu gewinnen. „Ich gehe da wissenschaftlich ran“, sagt Moritz Zeising, studierter Agrarökonom aus Allmannshofen, der der Liebe wegen nach Italien ging, dort in der Spitzengastronomie als Koch anheuerte und bemerkte, dass Backen das ist, was ihm am meisten Spaß machte. In Rom fand Zeising dann jemanden, der sein Wissen mit ihm teilte: Gabriele Bonci, bekannt für die beste Pizza auf die Hand in ganz
Rom. „Aber eigentlich ist Bonci ein Backgenie“, sagt Zeising.
Genau so jemand ist nötig, um mit Wasser, Mehl und Salz Dinge zu zaubern, die man nicht vergisst, also Brot, wie es Carls Hofbäckerei – stop. Das wäre zu früh. Noch ist ja gar nichts gebacken. Und die Brote, die Zeising in Carls Hofbäckerei auf Gut Schwaighof herstellt, benötigen viel Zeit, bis sie in den Ofen geschoben werden, sehr viel mehr Zeit als in vielen anderen Bäckereien. Das ist schon einmal Punkt eins von Zeisings Brotgeheimnissen: Zeit ist eine wesentliche Zutat für maximale Qualität.
Der perfekte Moment, um eine Pause einzulegen, das Brot ruhen zu lassen und Abstand zu gewinnen, sehr viel Abstand. Mit dem Brot geht es irgendwie immer auch ums Ganze. Wasser und Brot, so signalisieren wir in der Sprache die Grundzutaten für unser menschliches Leben. Darin spiegelt sich die Menschheitsgeschichte der letzten 12.000 Jahre wider, die auch mit dem Brot zusammenhängt. Das hat zum Beispiel der walisische Journalist und leidenschaftliche Freizeit-Brotbäcker Robert Penn in seinem Buch „Brot. Der Geschmack des Lebens“(Knesebeck Verlag) in klaren Worten zu Papier gebracht. Wer übers Brot nachdenkt, landet bei einer der größten Wendemarken des MenEs schen – dem Übergang vom Nomadenleben zur Sesshaftigkeit, dem Beginn des Ackerbaus, der Mutter aller gesellschaftlichen Revolutionen. Vor 12.000 Jahren fing das im fruchtbaren Halbmond an, einem Gebiet, das sich nördlich an die Arabische Halbinsel anschließt. Nomaden begannen dort Einkorn und Emmer, einjährige Süßgräser, nahe an ihren Lagerplätzen auszusäen. Daraus entwickelte sich im Verlauf von zwei Jahrtausenden die Urform menschlichen Ackerbaus. Das geerntete Getreide wurde zu Breien gekocht oder, schmackhafter, gemahlen und als Brot gebacken. All unsere Entwicklung bis zum heutigen Tag hätte ohne den Ackerbau, der Sesshaftigkeit, dem Brot nicht stattgefunden. Penn schreibt: „Weizen ist das herausragende Grundnahrungsmittel der Menschheit.“
Aber irgendwann in den letzten Jahren ist der Weizen hierzulande in gewissen Kreisen in Verruf geraten. Stichwort: Gluten, besser GlutenUnverträglichkeit. Stichwort: Paläo-, also Steinzeit-Ernährung, also zurück vor die neolithische Revolution des Ackerbaus. Stichwort: kohlenhydratarme Ernährung.
Vielleicht hat das Brot mancherorts auch deshalb einen schlechten Leumund, weil es in Großbäckereien weitestgehend durch Maschinen hergestellt wird, in Backstraßen, in denen die Ware möglichst schnell in den Ofen und zum Kunden muss. Zeit ist ja bekanntlich Geld – und Brot eine Massenware.
Damit wieder zurück zu Moritz Zeising, studierter Agrarökonom, Ex-Spitzenküchenkoch und jetzt Bäcker. Er geht an seine Brote in Carls Hofbäckerei nicht mit der ökonomischen Perspektive, ihm geht es um den bestmöglichen Geschmack. Auch für ihn spielt Zeit eine Riesenrolle, aber genau andersherum. Seine Brote bleiben möglichst lange in der Verarbeitung, bekommen viel Gelegenheit, um – umgangssprachlich könnte man jetzt sagen – „zu reifen“. Denn Brot lebt buchstäblich in seinem Herstellungsprozess. Zeising versucht, diese natürlichen Prozesse im Brot so lange zuzulassen, wie sie den Geschmack verbessern.
Und damit zu den Sauerteigen, die in alle Brote von Zeising kommen. Wer ein Mehl-Wasser-Gemisch an der frischen Luft stehen lässt, stößt etwas an. Milchsäureund Hefebakterien beginnen in dem Teig zu leben, deshalb müssen Sauerteige regelmäßig mit frischem Mehl gefüttert werden. Wer das macht, hat lange Freude an ihnen. Zeising arbeitet mit seinen Sauerteigen seit sechs Jahren. In einer Styroporschachtel werden sie bei Laune – sprich der richtigen Temperatur – gehalten. „Sauerteig, das ist angewandte Mikrobiologie“, so Zeising.
ist wieder diese Verbindung aus Spaß, Wissenschaft und (als drittes) Geschmack. Man muss wissen, was die Sauerteige bei welchen Temperaturen machen. Und: was man möchte. Zum Beispiel, dass erst die Milchsäure-Bakterien ihren Job erledigen, danach die Mikrohefen ihren anfangen. Erstere eher in einem Temperaturbereich von 24 bis 25 Grad, letztere mögen es wärmer, fahren bei 28 bis 30 Grad ihren Stoffwechsel richtig hoch. Zeising lässt beide zum Zug kommen, verschafft erst den Säuren, dann den Hefen optimale Bedingungen.
Dafür wird bei der Teigzubereitung ordentlich gerechnet. Auf einem Minirechner, der mitten auf dem großen Backtisch steht, hat Zeising seine Rezepte gespeichert, und zwar so, dass je nach eingegebener Gesamtmenge die Zutaten in den richtigen Verhältnissen angezeigt werden. Für die optimale Teigtemperatur muss Zeising dann messen, was gerade wie warm ist. Wenn er das weiß, wird ausgerechnet, wie warm das Wasser sein muss, das er am Schluss zufügt. Also: Der Sauerteig hat 28 Grad, das zusätzliche Mehl 20, wie warm muss dann das Wasser sein, dass am Ende des Vermengens alles wieder 28 Grad hat? Man sieht dem Smartphone von Zeising an, dass es für die Beantwortung dieser Frage beim Backprozess öfters zu Rate gezogen wird. Auf dem Zubereitungsplan stehen gerade französisches Landbrot (auf Weizen-Dinkel-Basis), Baguettes und das Miso-Kohl-Brot.
Mit letzterem klärt Zeising übrigens auf, dass es ihm und seinen mittlerweile drei Mitarbeitern nicht nur um Geschmack geht, sondern gleichzeitig auch um Kreislaufwirtschaft und um Zero-Waste, also keine alte Backwaren wegzuwerfen. Das Biogetreide, das Zeising verarbeitet, bezieht er von seinem Vater, der einen 100 Hektar großen Biolandwirtschaftsbetrieb führt. „Besonders dort ist, dass die Felder regenerativ bewirtschaftet werden“, erklärt Zeising. Zur Düngung der Felder wird ein besonderer, selbst hergestellter Kompost verwendet. Der studierte Agrarökonom weiß zudem genau, welche Getreidesorten er von seinem Vater möchte. Ihm sind die am liebsten, die viel Wasser binden können. „Je höher der Wasseranteil, desto länger haltbar das Brot.“Man sieht das den Teigen, die Zeising weiterverarbeitet, sofort an, denn man möchte mit ihnen selbst nichts zu tun haben. Sie schauen aus wie die Teige, die sich überall festkleben wollen.
Das sind die wahren Prüfungen für Hobbybäcker. Seit die Hefe in den frühen Pandemie-Tagen zu den Hamsterdingen gehörte, ahnen wir, dass es mittlerweile viele geben muss. Wer sich an die relativ flüssigen Teige herantraut und diese auch selbst zustande bringt und weiterverarbeiten kann, ist zu Hause im High-End-Bereich angekommen. In Internet-Foren und -Blogs rund um den Brot-Selbermachen-Hype findet man dafür alle nötigen Informationen.
In der Backstube von Moritz Zeising kann man dann zusätzlich beobachten, was passiert, wenn jemand, der Sterneküchen von innen kennengelernt hat, ans Brotmachen geht. Dann kommt da zum Beispiel ein Miso-Brot heraus. Miso? Das wird in der japanischen Küche meist als fermentiertes Soja verwendet. Zeising nutzt die Koji-Schimmelpilze, lateinisch Aspergillus oryzae, dazu, altes Brot zu fermentieren, dadurch haltbar zu machen, um es im Miso-Brot weiterzuverarbeiten. Eine weitere Zutat für dieses Brot ist der Apfeldicksaft. „Wir ernten die Äpfel früher, kurz bevor sie reif sind. Dann wird Saft daraus gemacht, den wir einkochen. Aus fünf Litern machen wir einen halben Liter“, sagt er. Nur eine Bäckerei kennt Zeising, die ebenfalls mit der Miso-Idee arbeitet: Hart heißt sie, sitzt in Kopenhagen und arbeitet mit dem Noma zusammen. Klingelt es? Ja, richtig, das Drei-Sterne-ResDa taurant, das von Feinschmeckern schon fünfmal zum besten der Welt gewählt wurde. Für Exzentriker des guten Geschmacks bietet Brot, das mit seinen Grundzutaten so einfach daherkommt, jede Menge Möglichkeiten zur Verfeinerung.
Bevor das Brot in den Ofen kommt, ist es aber noch einmal Zeit für ein bisschen Wissenschaft – das letzte Mal. „Die Kruste ist für den Geschmack extrem wichtig“, sagt Zeising. Dort bilden sich im Ofen wegen der Maillard-Reaktion die Röstaromen. Deshalb achtet Zeising bei seinen hellen Broten darauf, dass sie im Ofen ordentlich Farbe bekommen. Möglich wird dies nur, wenn die Stärke im Brot durch die lange Teigführung in kurze Glucose-Moleküle umgewandelt worden ist. Viel Zeit heißt auch viel Glucose, heißt leichter verdauliches und bekömmlicheres Brot, alles positive Nebeneffekte, die Zeising gern mitnimmt bei der Verfeinerung des Geschmacks. Und jetzt rein mit dem Brot in den Ofen.
Schaut man sich in der kleinen Bäckerei um, sieht man, was neben den Grundzutaten und der Zeit eine extrem wichtige Rolle spielt: die Temperatur. Es gibt zwei Kühlschränke, in denen Reaktionen verlangsamt oder unterbunden werden können. Es gibt einen großen Gärschrank, der zwischen 24 und 30 Grad eingestellt wird. Es gibt die Styroporbox mit den Sauerteigen, die leicht beheizt wird, und natürlich einen großen Ofen. Die Kunst ist es, bei all diesen Parametern den optimalen Bereich zu treffen.
Am Ende steht ein frisches Brot. Zeising empfiehlt, es erst einmal nur mit Butter und vielleicht auch etwas Salz zu essen. Die Kruste ist so stabil, dass alte Brotmesser sich daran vergeblich abmühen. Aber dann: Hier das dunkle Röstaroma, dort eine feine, immer deutlicher zu schmeckende Sauerteignote. Keine Zeit mehr, jetzt auch nur eine Zeile weiter zu schreiben. Dieses Brot verlangt alle Aufmerksamkeit.