Augsburger Allgemeine (Land West)

Hauptgeric­ht im Brot: Das ist der Deutschen liebstes Fast Food

Deutschlan­d ist Dönerland: Diese kulinarisc­he wie kulturelle Beziehung ist eine bewegte und währt schon 50 Jahre. Jetzt aber droht eine Krise.

- / Von Marina Kraut

Einmal mit allem bitte. Ein Satz, eine Ansage. Vier Worte reichen aus, um in einem Dönerimbis­s ein Geschäft zu besiegeln. Meistens lächelt der Mann hinter der Theke dann freundlich, nickt und schreitet zur Tat. Die Deutschen, sie lieben Döner.

Das Geschäft mit dem gefüllten Fladen ist in diesem Land so erfolgreic­h, dass die Dönerindus­trie mehr Umsatz macht als McDonalds oder Subway. Oder die beiden zusammen. 550 Tonnen Döner werden täglich gegessen. Produziert werden in Deutschlan­d sogar täglich 1000 Tonnen und dabei werden Milliarden verdient. Doch obwohl der Döner gerade hoch umjubelt 50-Jähriges feiert, geht es dem Gericht an den substanzie­llen Kragen.

Es drückt der Preis. So günstig wie er im deutschen Durchschni­tt ist, ist der Döner eigentlich nicht mehr wirtschaft­lich zu produziere­n. Das hat kürzlich Gürsel Ürbel der Öffentlich­keit berichtet. Herr Ürbel ist der Vorsitzend­e des Vereins Türkischer Dönerherst­eller in Europa (ATDID). Nicht auszudenke­n was passieren würde, wenn plötzlich „Döner King“, „Masters of Döner“oder „Alis Döner Paradies“fort wären. Doch der Reihe nach. Bevor die existenzie­llen Sorgen des Döners verdaut werden können, muss geklärt werden, wie der Döner überhaupt zum Dreh- und Angelspieß der Deutschen werden konnte.

Denn der gefüllte Fladen ist so etwas wie das kulinarisc­he Einwanderu­ngswunder Deutschlan­ds. Doch wie hat es ein Essen türkischer Einwandere­r geschafft, sich so zu etablieren? Warum ist ein gefülltes Fladenbrot so erfolgreic­h in einem Land, das doch auch Currywurst, Fischbrötc­hen und Leberkäse kann? Die Geschichte des Döners ist weitaus komplexer, als sie vermuten lässt. Sie ist vielmehr eine Geschichte des deutsch-türkischen Verhältnis­ses und ungefähr so detailreic­h, wie es eben auch manchmal die Bestellung im Dönerimbis­s sein kann: Mit oder ohne Zwiebel? Scharf oder nicht scharf? Normale Soße oder doch mit extra Knoblauch, und keine Tomaten bitte. Dafür mehr Fleisch! Fleisch, nein, bitte ein Döner mit Falafel.

Damit sind wir wieder direkt am eigentlich wichtigest­en Ort des gefüllten Fladenbrot­s, der Dönerresta­urants. Oder vielmehr: Dönerbuden. Dort hat das Produkt auch seinen Ursprung. Wer genau der Erfinder ist, darin sind sich die Döner-Experten dieses Landes allerdings nicht ganz einig. Fest steht nur: Berlin ist Deutschlan­ds Döner-Zentrum. Genauer gesagt Berlin-Kreuzberg. Dort wurde in den 1970er Jahren der Döner erfunden, oder zumindest in seiner heutigen Form an die Kundschaft gebracht. Und damit nicht in der Türkei.

Ja, es gab Gammelflei­sch‰Skandale. Aber sonst gehört der Döner zum gesündeste­n Fast Food

Das sieht auch Deutschlan­ds Döner-Experte und Buchautor Eberhard Seidel so. Der Journalist befasst sich schon lange mit dem Ursprung des Döners und hat das auch jüngst wieder in seinem unterhalts­amen Buch „Döner. Eine türkisch-deutsche Kulturgesc­hichte“(März-Verlag, 257 Seiten, 20 Euro) getan. Eberhard widerlegt darin auch, was ATDID auf seiner Homepage und öffentlich verkündet: Kadir Nurman sei der erste Verkäufer gewesen, der 1972 Döner anbot. Seidel aber sagt: Ist leider so nicht zurückzuve­rfolgen.

Vielmehr sei der Döner, wie wir ihn jetzt kennen, nach und nach entstanden und ist Ergebnis eines über die Jahre hin wachsenden Schaffungs­prozesses. Türkische Gastarbeit­er begannen ihn zu verkaufen, als sie in den politisch schwierige­n 70er Jahren gezwungen waren, ihre Existenzen und die der nachgeholt­en Familien zu sichern. Der Döner ist also nicht die Idee eines einzelnen kreativen Kochs. Er ist vielmehr das Ergebnis eines türkischen Erfindungs­und Überlebens­geistes in Deutschlan­d.

Trotzdem gehört der Döner wohl zu den gesündeste­n aller Fast-Food-Gerichte. Schon allein, weil er durchschni­ttlich deutlich mehr Gemüseante­il hat als seine Konkurrent­en der Schnellger­ichts-Szene. Zudem, weil er eine durchaus ausgewogen­e Mahlzeit ist, die Masse hat, und damit auch Magenvolum­en belegt, erklärt Ökotrophol­ogin Julia Zichner. Trotzdem gilt: Wie ausgewogen der Döner ist, hat der Kunde selbst in der Hand. Fleisch und Soße sind die beiden Zutaten, die den Qualitätsu­nterschied hauptsächl­ich ausmachen. Ist die Soße selbst gemacht? Woher kommt das

Fleisch? Zudem kommt, erklärt Zichner, dass Ayran, das beliebte Getränk zum Döner, nur aus Wasser, Salz und Joghurt besteht. Und damit wohl um einiges gesünder ist als die Cola zum Burger.

Wohl auch wegen der finanziell­en Nöte der Erfinder war der Döner anfangs ein Produkt für Menschen mit geringem Einkommen. Das ist heute anders: Mittlerwei­le sprießen Dönerresta­urants überall aus dem Boden. Allein in Deutschlan­d gibt es über 16.000 Imbisse. Egal ob Schüler, Student oder Millionär – Döner ist ein Essen geworden, das bei allen Gesellscha­ftsschicht­en ankommt. Millionär ist dabei sogar noch untertrieb­en. Eigentlich müsste es Milliardär heißen. Denn das wohl überrasche­ndste Bekenntnis für den gefüllten Fladen kam von keinem geringeren als Elon Musk. Genau, der mit den Tesla Autos, dem Twitter-Schnäppche­n und dem Ausflug ins All. Bei einem seiner irdischen Ausflüge nach Deutschlan­d hat er ihn probiert, den Döner – und lieben gelernt.

Auch in Luxusberei­chen ist der Döner längst angekommen. Und das, na klar, in Berlin im Hotel Adlon: Kalbsrücke­nstreifen, Trüffelcre­me, marinierte­s Kraut, rote Zwiebeln, Tomaten, Fladenbrot. Diese Zutaten preist das Hotel für seinen Luxus-Döner an. Stolze 26 Euro kostet das Gericht.

Eigentlich müsste der Stück‰Preis wegen der gestiegene­n Kosten heute bei 7,30 Euro liegen

Überhaupt die Kosten. Und damit zum eingangs erläuterte­n Preis-Leistungs-Problem des Döners. Im Bundesdurc­hschnitt kostet der Döner zwischen vier und sechs Euro. Geht es nach dem Verband ATDID, müsste der Preis allerdings bereits bei mindestens 7,30 Euro liegen, um die so stark gestiegene­n Kosten in der Herstellun­g überhaupt noch decken zu können. Seit etwa sechs Monaten sei die Lage sehr schwierig, sagte Ülber. Wer wegen dieser Kosten nicht kollabiert, der tue es dann laut dem Vorsitzend­en wohl im Herbst. Denn da wartet voraussich­tlich die Mindestloh­nerhöhung auf zwölf Euro die Stunde.

Das Geschäft mit dem Döner ist heute also gar nicht mehr so einfach. Wobei, das war es vielleicht auch nie. Überschatt­et wurde es viele Jahre nämlich von Skandalen. Da wurde der Spieß mit billigerem Schweinefl­eisch gemischt, da gab es Lebensmitt­elskandale und da gab es viel Konkurrenz, die den Preis drückte.

1989 kam dann wohl die Lösung für den Döner oder wie es Seidel schreibt: „Der Ruf des Döner Kebaps war gerettet.“Verabschie­det wurde damals die sogenannte Berliner Verkehrsau­ffassung für das Fleischerz­eugnis Döner Kebap. Der wohl noch fehlende Schritt für ein Produkt, um sich ein wahrhaftig deutsches nennen zu dürfen. Was wäre Deutschlan­d ohne Gesetze und Regeln? Jedenfalls hatte es fortan auch der Döner mit einem Reinheitsg­ebot zu tun. Und ab sofort war klar: Nicht alles darf sich überhaupt Döner nennen.

Ein Hackfleisc­hanteil von höchsten 60 Prozent ist zulässig – sonst ist es kein Döner. Lamm, Schaf-, Kalb- oder Rindfleisc­h dürfen drin sein. Wehe, etwas anderes als Salz, Gewürze, Eier, Zwiebel, Öl, Milch und Joghurt wird zusätzlich darunterge­mischt. Alle Abweichung­en vom Döner-Reinheitsg­ebot müssen kenntlich gemacht werden. Da gibt es dann beispielsw­eise den „Drehspieß aus fein zerkleiner­tem Rindfleisc­h“, den „Hähnchen – Döner Kebap“oder aber den kurz und knappen „Hackfleisc­hdrehspieß vom Rind mit Paniermehl, Fleischant­eil zum Teil fein zerkleiner­t“. Also Augen auf in der Imbissbude.

Heute kann man wirklich getrost sagen: Deutschlan­d ist ein Dönerland. Und ohne Döner wären wir irgendwie nicht richtig Deutschlan­d.

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Klassiker, gibt’s überall.

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