Augsburger Allgemeine (Land West)

„Die meisten Prinzen sind nur Frösche“

Schlagersä­ngerin Michelle meldet sich mit 50 zurück – und mit Wucht. Sie spricht über ihr Leben mit den Männern und ihren drei Töchtern, über ihre Ausbildung zur Ayurveda-Heilerin und neue Fotos im Playboy.

- Interview: Steffen Rüth WOLFGANG SCHÜTZ

Michelle, bei Ihnen ist gut was los. Erst die Teilnahme an „Let’s Dance“, dann haben Sie jetzt als Präsidenti­n der deutschen ESC-Jury die Punkte nach Europa vergeben, Konzerte spielen Sie auch wieder, und nun kommt auch noch Ihr neues Album. Sind Sie froh, dass wieder so viel Action ist?

Michelle: Natürlich. Ich genieße es, wieder Vollgas geben und die Menschen mit meiner Musik erfreuen zu können. Aber ich mochte auch die Zeit, in der es ruhiger war. Ich bin kein Mensch, der frustriert zu Hause sitzt und „Ach, Menno, doofe Pandemie“stöhnt. Ich habe mich dann eben so lange mit anderen Dingen beschäftig­t.

Mit welchen zum Beispiel?

Michelle: Ich habe mich noch mehr als sonst um meine drei Töchter gekümmert, und ich habe meinen Hunden viel Neues beigebrach­t. Ich fand die Zeit auch durchaus wertvoll und bereichern­d. Wir haben etwas Schönes daraus gemacht. Außerdem habe ich online eine Fortbildun­g zur Ayurveda-Heilerin gemacht.

Worum geht es bei dieser Ausbildung? Michelle: Um den Einklang zwischen guter Ernährung, Bewegung und mentalem Wohlbefind­en. Ich schätzte die ayurvedisc­he Küche sehr, und ganz grundsätzl­ich finde ich es sehr wichtig, dass ich den Körper, der mich seit fünfzig Jahren durch die Welt trägt, pflege und auch mal dafür belohne, was er alles leistet.

Die Zwischenbi­lanz kann sich in der Tat sehen lassen. Auf Ihrem Album haben Sie dreißig Songs aus dreißig Jahren Michelle versammelt, darunter sind auch zwölf neue Stücke. Wie fühlt es sich an, die Karriere noch mal so vor sich vorbeizieh­en zu sehen?

Michelle: Ungefähr so, als würde ich mir alte Fotos angucken. Da denkst du ja manchmal „Mensch, wie habe ich denn da ausgesehen?“So geht mir das auch bei meiner musikalisc­hen Entwicklun­g. Meine Stimme hat sich verändert, die Sounds, die ich benutzte, klingen anders als früher, und überhaupt bin ich reifer geworden und kann meine Lieder heute mit viel mehr Lebenserfa­hrung ausfüllen als damals. Auch deshalb hat es mir unfassbar viel Spaß gemacht, die alten Stücke zusammen mit dem Produzente­n Tim Peters neu und in einer sehr zeitgemäße­n Form aufzunehme­n. Die Songs sind in den neuen Versionen lebendiger und einfach noch stärker. „Wer Liebe lebt“zum Beispiel strahlt jetzt viel heller als im Original. Die neue Aufnahme ist ein richtiges Zauberwerk.

„Wer Liebe lebt“ist Ihr bekanntest­es Lied. 2001 sind Sie damit beim ESC in Kopenhagen auf den 8. Platz gekommen. Wie hat sich Ihr Blick auf den Song über die Jahre verändert? Michelle: „Wer Liebe lebt“trägt für mich die vielleicht wichtigste Botschaft überhaupt in sich. Wir brauchen diese Botschaft jetzt gerade mehr denn je, denn die Welt befindet sich in einem großen Umbruch. Viele Menschen sind momentan nicht so richtig bei sich, sie haben vielleicht Ängste, sind frustriert, erschöpft, fühlen sich alleine. Und ja, gerade sind die Zeiten tatsächlic­h für viele besonders schwer – in Europa herrscht Krieg, alles wird teurer, die Leute fühlen sich bedroht und von allen Seiten in die Zange genommen. Doch das Licht, das es trotz allem gibt und das die Menschen in sich selber finden müssen, um es weitergebe­n zu können, das ist nicht erloschen. „Wer Liebe lebt“soll den Menschen helfen, dieses Licht zu finden.

Sind Sie generell als Künstlerin eine Lichtverte­ilerin?

Michelle: Ja. Ich sehe mich als Botschafte­rin der Zuversicht. Meine Lebensaufg­abe ist es, die Menschen glücklich zu machen und aus dem Trübsal zu holen – und sei es auch nur für die Dauer eines Konzerts. Liebe und Energie zu geben, sind Dinge, die mich auch ganz persönlich glücklich machen.

Aber auch Sie laufen ja nicht ständig mit einem Lächeln auf den Lippen durch die Gegend, oder?

Michelle (lacht): Lustigerwe­ise versuche ich das tatsächlic­h. Man kann im Kleinen so viel verändern. Oft reicht es doch schon, die Menschen auf der Straße einfach anzulächel­n, und sie freuen sich und lächeln zurück. Die allermeist­en zumindest. Es gibt ja wirklich sogar Leute, die sich noch von einem Lächeln angegriffe­n fühlen. Denen kann auch ich dann nicht helfen (lacht).

Ihr eigenes Leben war ja auch ein bisschen eine Achterbahn­fahrt. Ist es da nicht manchmal schwierig, sich das Lächeln zu bewahren?

Michelle: Nein. Egal, wie mir das Leben auch mitspielte: Auf der Bühne ist mein Licht nie erloschen. Das ist die Gabe, die ich habe.

Hat Ihre Musik Ihnen in schwierige­n Zeiten Halt gegeben?

Michelle: Mein Anker waren immer meine Kinder. Mein Fundament sind meine drei Töchter, die mich bei jedem Sturm festhalten und tragen. Und umgekehrt natürlich auch.

Mit Ihrer 22-jährigen Tochter Marie, selbst einer aufstreben­den Kollegin, haben Sie das Duett „Vier Hände Zwei Herzen“. Ein Lied über die Liebe von Mutter und Tochter?

Michelle: Hundertpro­zentig. Den Song hat Marie geschriebe­n. Wir wollten keine Ballade nach dem Motto „Mein Kind kriegt Flügel und fliegt davon“machen, sondern eine richtig kraftvolle Mutter-Tochter-Nummer mit einer schönen Geschichte.

Auch mit Maries Vater Matthias Reim singen Sie zusammen. Wie heißt Euer Lied noch mal?

Michelle (lacht): „Idiot“. Ach, Matthias. Wir haben eine enge Verbindung, die habe ich übrigens zu allen

Vätern meiner Töchter. Wir sind eine Riesenpatc­hworkfamil­ie. Matthias ist ja gerade noch mal Vater geworden, ich wünsche ihm wirklich nur das Beste. Matthias ist halt, wie er ist, und das ist auch gut so. Jeder Mensch hat seine Ecken und Kanten, und man lernt im Leben unweigerli­ch voneinande­r. Wir haben zusammen ein Kind, und Marie wird ein Leben lang unser Bindeglied sein. Ich weiß ja auch aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn Eltern sich nicht gut verstehen: Das Kind fühlt sich immer verantwort­lich. Daher ist meine Überzeugun­g: Erwachsene Menschen müssen Trennungen auch wie Erwachsene vernünftig regeln können.

„Ich liebe dich, weil du ein Scheißkerl bist“, singen Sie in „Scheißkerl“, einem weiteren Michelle-Klassiker. Michelle: Tja, warum nur fühlt man sich immer wieder zu dieser Sorte Mann hingezogen? (lacht)

Ja, warum?

Michelle: Da kommt dann eben nicht die spirituell erleuchtet­e, weise Michelle zum Vorschein. Sondern der Mensch Tanja, der eben auf Scheißkerl­e steht, scheinbar auch aus Erfahrunge­n nur sehr bedingt klug wird und immer wieder auf diese Typen reinfällt.

Problem erkannt, Problem endlich gebannt?

Michelle: Erkannt ja, aber meine Lektion fürs Leben habe ich immer noch nicht gelernt. Ich fühle mich nach wie vor von dieser Art Mensch angezogen.

Wie erkennt man einen Scheißkerl denn rechtzeiti­g?

Michelle: Das ist ja genau das Problem: Gar nicht! Sonst würde man sich ja gar nicht erst verlieben und ließe den Scheißkerl Scheißkerl sein. Wenn du erst mal die rosarote Brille aufhast und verliebt bist, siehst du einfach nicht, wen du da vor dir hast. Irgendwann später erst nimmst du die Brille ab und realisiers­t, dass du besser das Weite suchen solltest.

Gibt es denn aktuell einen Kerl, welchen Charakters auch immer, in Ihrem Leben?

Michelle: Ich lebe schon seit sehr vielen Jahren alleine und bin glückliche­r Single. Ich bin nicht auf der Suche nach einem Mann. Aber wenn jemand auftauchen sollte, renne ich auch nicht weg. Ich glaube, aus dieser Mistkerlph­ase bin ich so oder so allmählich rausgewach­sen. Ich weiß inzwischen besser, was ich will und was ich nicht will. Und ganz ehrlich: Die meisten Prinzen sind eben doch nur Frösche.

Sie haben vor kurzem erneut Fotos für den „Playboy“gemacht. War Ihnen das, sechzehn Jahre nach Ihrer ersten Fotostreck­e in dem Magazin, ein Herzenswun­sch?

Michelle: Ich fand die Fotos seinerzeit richtig schön, mir hatte das Shooting sehr viel Spaß gemacht. Und da ich 50 geworden bin und der Playboy auch 50 wird und immer wieder bei mir angefragt hat, dachte ich: Das ist jetzt der perfekte Zeitpunkt. Wir alle sind schließlic­h nackt geboren, und ich finde Nacktsein das Normalste der Welt. Wenn man hinter sich steht, darf man sich gerne zeigen und muss sich nicht schämen – egal, wie man aussieht oder wie alt man ist.

Wären demnach chirurgisc­he Schönheits­optimierun­gen à la Madonna für Sie ein Tabu?

Michelle: Ich denke schon. Wahre Schönheit kommt von innen, und wir sind alle keine Barbiepupp­en. Ich sehe eine sehr große Gefahr speziell für jüngere Menschen, wenn sie im Internet ständig mit Vorbildern wie Kylie Jenner und Co. konfrontie­rt werden, die vermeintli­ch perfekt aussehen. Mich schreckt es auch, dass viele Mädchen extreme Filter benutzen, sich nur geschminkt präsentier­en oder Nasen und sonstige Körperteil­e technisch verändern.

 ?? Foto: Anelia Janeva Universal Music ?? Ihre Karriere
Sie hatte gute Zeiten, sie hatte schlechte Zeiten. Doch das Handtuch geschmisse­n hat die in Villingen‰Schwen‰ ningen geborene und seit langem in Köln heimische Mi‰ chelle, bürgerlich Tanja Hewer, nie. Jetzt bündelt die Schlagersä­ngerin, Mutter drei Töchter von drei Vätern und im Februar 50 geworden, auf dem Album „30 Jahre Michelle: Das war’s… noch nicht“18 frisch eingespiel‰ te Hits zusammen mit zwölf neuen Songs.
Foto: Anelia Janeva Universal Music Ihre Karriere Sie hatte gute Zeiten, sie hatte schlechte Zeiten. Doch das Handtuch geschmisse­n hat die in Villingen‰Schwen‰ ningen geborene und seit langem in Köln heimische Mi‰ chelle, bürgerlich Tanja Hewer, nie. Jetzt bündelt die Schlagersä­ngerin, Mutter drei Töchter von drei Vätern und im Februar 50 geworden, auf dem Album „30 Jahre Michelle: Das war’s… noch nicht“18 frisch eingespiel‰ te Hits zusammen mit zwölf neuen Songs.
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