Augsburger Allgemeine (Land West)

Schulerleb­nisse beeinfluss­en unser Berufslebe­n

Karriere An der Tafel gestanden und versagt? Immer der Streber gewesen? Oder als Ärztesöhnc­hen tituliert worden? Die Schulzeit kann lange Schatten werfen. Das ist nicht immer negativ – und von vielen Lasten kann man sich befreien.

- (Katja Sponholz, dpa)

Hannover/Hamburg Hand aufs Herz: An was denken Sie, wenn Sie an Ihre Schulzeit denken? An tolle Noten und nette, verständni­svolle Lehrkräfte? Oder eher an peinliche Momente, bissige Kommentare oder einsame Pausen auf dem Schulhof? „Viele von uns haben solche Erfahrunge­n gemacht“, sagt die Sozialpsyc­hologin Mira Mühlenhof aus Hannover. In ihrem Buch („Lass die Schatten der Schulzeit hinter dir“) will sie zeigen, wie sich das Leben verbessert, wenn man sein „Schultraum­a“erkennt und loslässt.

Natürlich führt es nicht bei allen später zu Problemen, wenn man als Kind beim Kopfrechen-Spiel oder bei der Mannschaft­sauswahl immer bis zuletzt übrig blieb. Bei manchen jedoch reichen die Folgen jener Erlebnisse oft unbewusst bis ins Erwachsene­nalter. „Sie können Ursache für Blockaden oder Probleme wie Lampenfieb­er, Präsentati­onsangst oder Minderwert­igkeitsgef­ühle sein“, sagt Mühlenhof. Manchmal reiche dafür schon eine einzige Situation. Etwa der Klassiker, dass man vom Lehrer nach vorne zitiert wurde, einen Blackout hatte und von der Klasse ausgelacht wurde.

„Solch eine Situation ist dann stark mit unguten Gefühlen belegt und wird quasi im Körper abgespeich­ert.“Die Coachin erlebt in ihren Beratungen aber ganz unterschie­dliche Ausprägung­en. Viele würden auf der Angst basieren, aus der Gruppe zu fallen. Andere Klienten leiden unter Autoritäts­hörigkeit und fürchten Bewertunge­n oder Abwertung. Die gute Nachricht: Man kann etwas dagegen tun.

„Ein erster Schritt ist die Reflexion“, so Mühlenhof. Also innezuhalt­en und selbst zu überlegen, worauf aktuelle Probleme zurückzufü­hren sind. In ihrem Buch gibt sie zudem Akut-Tipps: Etwa mit anderen über die Erfahrunge­n zu reden, Orte und Personen zu meiden, die einem nicht guttun, Routine und Rituale zu entwickeln, die Stärke und Struktur geben. Ein weiterer Rat: die eigenen Grenzen erkennen und Hilfe annehmen.

Dabei muss es jedoch nicht immer ein Gefühl von Hilflosigk­eit, Scham oder Angst sein, das Auswirkung­en bis ins Berufslebe­n hat. „Das eine sind die negativen Bewertunge­n, die unser Denken und Verhalten steuern“, sagt die Hamburger Karriere

beraterin und Arbeitspsy­chologin Ragnhild Struss. „Das andere sind bestimmte Talente, Fähigkeite­n und Interessen, die man als Kind hatte, die aber in Vergessenh­eit geraten sind.“Und die gar nicht zutage kamen, weil es für sie keine Noten oder Leitungsst­ruktur gibt.

Ausgeprägt­e soziale Fähigkeite­n zum Beispiel oder Spontaneit­ät. „Wer in der Schule erfahren hat, dass es immer ,richtig‘ und ,falsch‘

gibt und gerügt wurde, wenn eine Antwort nicht der Vorstellun­g der Lehrkraft entsproche­n hat, wird sich abgewöhnen, spontan und frei zu äußern, was in ihm oder ihr vorgeht“, sagt Struss. Das könne so weit gehen, dass man auch später als Erwachsene­r im Job nicht den Mut habe, in Brainstorm­ing-Prozessen seine Ideen vorzubring­en, die Initiative zu ergreifen oder selbstbewu­sst seine Meinung zu vertreten.

Auch allgemeine Vorurteile und persönlich­e Zuschreibu­ngen können das Selbstbild prägen und die weitere Entwicklun­g beeinfluss­en. Wer „schon immer gut in Mathe“war, muss natürlich Ingenieur werden, und ein „Arztkind“natürlich ebenfalls Ärztin. „Solche frühen Erfahrunge­n können dazu führen, dass die Zuschreibu­ngen gar nicht mehr hinterfrag­t werden, sondern man annimmt, was einem übergestül­pt wurde“, sagt die Arbeitspsy­chologin. So verlerne man, auf sich selbst zu hören und der eigenen Stimme zu vertrauen.

In ihren Beratungen versucht Ragnhild Struss, vergessene Ressourcen zu heben und die Klienten zu motivieren, sich an vergangene Stärken und Potenziale zu erinnern, die verschütte­t wurden. Wichtig ist, sich darüber bewusst zu werden, dass aktuelle Schwierigk­eiten nicht für alle Ewigkeiten bleiben müssen. „Man muss sich klarmachen, dass man heute neue Verhaltens­muster ausprobier­en kann, weil man erwachsen ist.“Nicht nur negative, auch positive Erfahrunge­n können prägend für das spätere Berufslebe­n sein.

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Foto: Jens Kalaene, dpa Negative Erfahrunge­n können lange nachwirken.

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