Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie wir in Zukunft bezahlen
Handel
Der Ausfall der Bezahlterminals hat etwas Selbstverständliches wieder in den Blick gerückt. Warum das Bargeld wohl dennoch kein großes Comeback erlebt – und die Kasse im Supermarkt irgendwann ganz verschwinden könnte.
Köln Geld ist das wichtigste Schmiermittel der Wirtschaft. Fließt das Geld nicht, steht schnell alles still. Das konnte man erst jüngst in Teilen von Handel und Gastronomie beobachten, als die Bezahlterminals des Herstellers Verifone wegen eines Softwareproblems tagelang nicht verfügbar – und damit viele Kartenzahlungen unmöglich waren. Plötzlich war nur Bares wieder Wahres. Damit rückte aber auch ein alltäglicher Vorgang wieder in den Fokus: Wie wir unsere Rechnungen bezahlen, hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Und dieser Wandel nimmt weiter Fahrt auf.
Laut der jüngsten Paymentstudie des ECC Köln, einer Tochter des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens IFH Köln, hat das kontaktlose Bezahlen im Jahr 2021 das Bargeld als beliebtestes Zahlungsmittel im Handel abgelöst, wenngleich nur knapp. Der Trend wurde durch das Abflauen des Corona-Geschehens nicht gestoppt. Wer sich einmal an die bequeme Zahlungsweise gewöhnt hat, nutzt sie weiter. Derzeit dominieren dabei noch die Karten, in der Regel sind das Giro- oder Debitkarten, seltener Kreditkarten. Doch immer häufiger bezahlen die Kundinnen und Kunden auch mit ihrem Smartphone.
Mailin Schmelter, stellvertretende Bereichsleiterin Customer Insights am IFH Köln, geht davon aus, dass das Bezahlen per Smartphone künftig weiter an Bedeutung gewinnen wird. „Bereits jetzt sagen zehn Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher, dass das Smartphone das Portemonnaie fast vollständig ersetzt hat. Aber auch Online laufen digitale Wallets wie zum Beispiel PayPal der beliebten Rechnung den Rang ab.“Der Trend ist längst nicht auf den Handel beschränkt, auch in der Gastronomie greifen die Gäste immer öfter zum Smartphone, um die Rechnung zu begleichen.
Apple und Google haben mit ihren „Pay“-Angeboten einen Trend angestoßen. In einer Art digitaler Geldbörse kann man dort verschiedene Karten mit dem Gerät verknüpfen und die Zahlung dann auslösen, ohne die physische Karte in die Hand zu nehmen. Das funktioniert bei Onlineshops genauso gut wie im stationären Handel. Wie überhaupt die Unterschiede beim Bezahlen zwischen der physischen und der digitalen Welt immer kleiner werden. Der Siegeszug von PayPal etwa begann im Internet. Aber, so sagt IFH-Expertin Schmelter: „Es ist keine Seltenheit mehr, dass
man bei der kleinen Boutique um die Ecke genauso per PayPal zahlen kann wie im Onlineshop. Das bequeme Zahlen mit nur einem Klick statt mit Scheinen und Münzen wird sich von online auch immer mehr auf den stationären Handel ausweiten.“Geschwindigkeit und Bequemlichkeit sind zwei große Vorteile des digitalen Bezahlens. Verbraucherinnen und Verbraucher nehmen dies heutzutage aber auch als immer selbstverständlicher hin. Das stellt Händler und Gastronomen durchaus vor Herausforderungen. Aber es bietet auch Chancen.
Joachim Sedlmeir ist Gründer und Geschäftsführer des Augsburger Start-ups PayClou. Vor gut einem Jahr gestartet, versucht das junge Unternehmen derzeit, seine Bezahlplattform Stampay-Go breit zu etablieren. Sedlmeir will das Zah
für die Kundinnen und Kunden noch einfacher machen. In einem Restaurant oder Geschäft, das Bezahlen über seinen Dienst anbietet, bekommt man mit der Rechnung einen QR-Code geliefert, den man scannt und so die Bezahlung auslöst. Der Händler oder Gastronom braucht dafür kein eigenes Bezahlterminal,
das teuer ist und ausfallen kann. Er muss sich nur für den Dienst registrieren und bekommt dann eine Anwendung, mit der er den QR-Code erzeugt. Für den Dienst bezahlt der Händler wie bei einer herkömmlichen Kartenzahlung eine Transaktionsgebühr für jeden Zahlvorgang. Als Kunde kann man auf seinem Gerät den Bezahlweg auswählen, muss aber nicht extra alle Daten eingeben.
Doch das Augsburger Unternehmen ist nur eines von vielen, die den Markt für Bezahldienstleistungen derzeit umkrempeln wollen. Denn die Kosten für den Zahlungsverkehr sind noch immer relativ hoch. Bernd Richter arbeitet beim amerikanischen Fintech-Unternehmen FIS an der Unternehmensstrategie und neuen Produkten. Er erklärt die Aufbruchstimmung im Markt vor allem mit zwei Faktoren. Zum einen sind die technischen und rechtlichen Voraussetzungen nun geschaffen. Die EU hat den einheitlichen Zahlungsraum verwirklicht und Banken strenge Auflagen gemacht, damit Echtzeit-Zahlungen überall möglich werden. Zum anderen wird der Markt bislang von den beiden USlen amerikanischen Riesen Visa und Mastercard dominiert. Je nach Größe des Unternehmens könnten bei einer Kundenzahlung von 100 Euro je nach akzeptiertem Zahlungsmittel ein bis zwei Euro Kosten für den Händler anfallen. Mit den neuen Möglichkeiten, den Bezahlvorgang abzuwickeln, könnten Händler hoffen, mehr von diesem Kuchen im eigenen Haus zu halten, so Richter.
Bei den großen Konzernen im Handel sind darum eigene Apps mit Bezahlfunktion ein wichtiges Thema. Der Discounter Lidl ist in Deutschland vorangegangen. „Über die Lidl Plus App hat das Unternehmen sehr viel über seine Kunden gelernt – auch darüber, wie groß das individuelle Risiko eines Zahlungsausfalls ist. Erst danach kam mit Lidl Pay die Möglichkeit, direkt in der App zu bezahlen“, erklärt Richter die Strategie des Handelsriesen, der ganz auf das Lastschriftverfahren setzt. Auch für IFH-Expertin Schmelter sind die Kundendaten, die über eigene Apps und Systeme gesammelt werden können, der Hauptgrund für solche Initiativen. „Nicht zu vernachlässigen sind aber auch Kundenbindungseffekte, die hierüber erzielt werden können. Durch Rabattaktionen oder auch Treuepunkte werden Kundinnen und Kunden dazu ermuntert, dem Anbieter oder Händler treu zu bleiben“, ergänzt sie. Generell sei der Finanz- und Paymentmarkt aktuell sehr dynamisch. Neben Fintechs, die über Zahlungsmethoden und weitere Services nach und nach auch den klassischen Banken Konkurrenz machen, da sie auch Banklizenzen erhalten, sind auch andere Paymentdienstleister auf dem Vormarsch. Eine Händlerinitiative, die hier mithalten kann, existiert in Deutschland aber bislang nicht.
Die große Herausforderung für die neuen Bezahldienste ist es, schnell eine kritische Masse an Händlern und Gastronomen zu gewinnen. Damit das gelingt, locken viele Start-ups ihre Kunden mit der Möglichkeit, über die Zahlungen auch einen direkten Kanal zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern aufbauen zu können – über Treueprogramme oder exklusive Vergünstigungen, erklärt Richter.
Die Handelsketten denken noch weiter. Um den Kunden den Einkauf noch angenehmer zu machen, gilt der kassenlose Markt als Zukunftsmodell. Mit Handscannern oder einer App im Smartphone kann man seine Waren dort selbst erfassen und sofort bezahlen. Bezahlterminals braucht man dann keine mehr. Kassiererinnen allerdings auch nicht. Erste Experimente laufen.
Derzeit herrscht große Aufbruchstimmung