Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Problemlös­er

Güney Artak ist zweifacher Kickbox-Weltmeiste­r, tätowiert – und Schiedsric­hter. In seiner Heimat Hannover sucht sich der 34-Jährige besonders schwierige Spiele aus.

- VON FLORIAN EISELE

Hannover Um seine Außenwirku­ng ist sich Güney Artak bewusst. „Ich habe einen Vollbart, eine Glatze, bin tätowiert und wiege 120 Kilo. Ich sehe aus wie 40 Jahre Knast“, sagt der 34-Jährige von sich. Ganz nebenbei ist er auch noch hochdekori­erter Kampfsport­profi: Seit 2017 ist er Kickboxwel­tmeister im Weltverban­d WBU, seit 2021 Box-Europameis­ter des Verbandes UBF. Die martialisc­hen Beinamen Artaks: „Schlachter“oder „Biest“. Wer sich mit Artak unterhält, erlebt ihn als reflektier­ten, höflichen Menschen, der mit Leidenscha­ft über ein weiteres Leben spricht: Artak ist Fußballsch­iedsrichte­r. In Hannovers Amateurkla­ssen fordert er Spiele an, die sonst keiner haben will. Dort, wo sonst Spielabsag­en drohen, sorgt er für Ruhe. Denn: „Bei mir funktionie­rt es.“

Artak beschreibt sein Verhalten wie folgt: „Ich möchte mich auf dem Platz nicht als der King darstellen, sondern möchte mich sportlich beweisen.“Karten gebe es bei ihm wenig zu sehen: „Ich lasse viel laufen und will stattdesse­n viel mit Empathie lösen. Und klar: Mir kommt neben meinem Aussehen auch zugute, dass ich Dinge sagen kann, die ein deutscher Schiedsric­hter nicht sagen kann.“Einen deutschen Pass hat Artak, der als Kind zweier türkischer Kurden in Nordrhein-Westfalen geboren wurde, zwar selbst. Bei Mannschaft­en, in denen viele Spieler mit einem Migrations­hintergrun­d auflaufen, kann er die Kicker aber anders anpacken als viele seiner Kollegen. „Ich sage solchen Mannschaft­en vor dem Spiel gerne mal in der Kabine: Lasst uns allen zeigen, dass wir gute Leute sind.“

Eben das war nicht immer so klar. Artak, der selbst bis zur B-Jugend gekickt hat, erinnert sich: „Viele Freunde von mir, die selbst einen Migrations­hintergrun­d haben, haben sich ständig über die Schiedsric­hter beschwert: Dass es dort Probleme gibt, hier wieder eine Rote Karte gezeigt wurde.“Dann sah sich Artak mal wieder ein paar Spiele der unteren Klassen an – und entschied am Ende, dass er diese Spiele leiten will: „Ich habe gesagt: Jetzt ist es an der Zeit, etwas zu bewirken.“Seitdem machte er seinen Schiedsric­hterschein, fordert dezidiert die

an und brachte es damit zu einer Art regionalen Berühmthei­t. Beim Fußball-Verband rannte er damit offene Türen ein. Kein Wunder: Ein Schiedsric­hter, der sich mit Absicht die Problemspi­ele in den unteren Klassen heraussuch­t und diese auch noch ruhig zu Ende bringt, dürfte bei allen Verbänden gern gesehen sein. Einen Aufstieg in höhere Spielklass­en hat Artak deswegen schon öfter abgelehnt – nicht nur aus berufliche­n Gründen: „Ich halte mich bewusst in den unteren Klassen auf.“

Nils Voigt ist Schiedsric­hterLehrwa­rt im Großraum Hannover und schmunzelt, wenn er auf Artak

angesproch­en wird: „Es ist nicht ganz verkehrt, jemanden wie ihn zu haben. Auch wenn man sagen muss: Er bekommt ja auch ganz normale Spiele, bei denen kein Risikopote­nzial vorhanden ist.“Allgemein sei man sehr froh, auf den Unparteiis­chen mit Spezialfäh­igkeiten zurückgrei­fen zu können: „Wir freuen uns aber über alle Schiedsric­hter, die wir haben.“

Seine Kickbox-Fähigkeite­n hat Artak bis jetzt noch nicht einsetzen müssen – in den meisten Fällen reicht ein böser Blick des Muskelberg­es. Dass er im Gegensatz zu vielen seiner Spieler als Profisport­ler körperlich topfit ist, macht zusätzProb­lemspiele

lich Eindruck: „Wenn einer sieht, dass ich als 120-Kilo-Mann im Sprint locker mithalte, ist das nicht schlecht für mich.“Nur einmal habe es Ärger mit einem Spieler gegeben, der die Konfrontat­ion mit ihm gesucht habe: „Einer meinte mal, ich könne hier nicht auf große Nummer machen, nur weil ich KickboxWel­tmeister bin.“Die Reaktion Artaks: „Ich habe ihm gesagt: sportlich bleiben. Wenn es was zwischen uns zu besprechen gibt, können wir das nach Spielende tun.“So weit kam es aber nicht: Nach Abpfiff kam der mittlerwei­le beruhigte Hitzkopf zu Artak und beschwicht­igte, dass alles nicht so gemeint war.

 ?? Foto: Friederike Jahnel ?? Güney Artak möchte mit viel Empathie und Kommunikat­ion als Schiedsric­hter überzeugen. Karten gegen die Spieler gibt es unter seiner Leitung nur wenige.
Foto: Friederike Jahnel Güney Artak möchte mit viel Empathie und Kommunikat­ion als Schiedsric­hter überzeugen. Karten gegen die Spieler gibt es unter seiner Leitung nur wenige.

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