Augsburger Allgemeine (Land West)

„Pflege‰Mafia“: Mutter und Sohn verurteilt

Prozess Die Razzia bei Augsburger Pflegedien­sten hatte 2019 bundesweit für Aufsehen gesorgt. Die Justiz arbeitet den Komplex weiter auf. Was sich zwei Familienan­gehörige zuschulden haben kommen lassen.

- VON KLAUS UTZNI

Monatelang hatte die Soko Eule verdeckt ermittelt, Telefone abgehört, ehe sie am 23. Oktober 2019 mit aller Macht zuschlug: Rund 500 Polizisten durchsucht­en 170 Büros und Wohnungen, über ein Dutzend Beschuldig­te kamen in Haft. Der Verdacht: Acht Pflegedien­ste der Stadt sollen über Jahre hinweg systematis­ch die Kranken- und Pflegekass­en durch falsche Abrechnung­en um Millionen betrogen haben. Die Razzia sorgte unter dem Stichwort „Pflege-Mafia“bundesweit für Schlagzeil­en. Inzwischen hat die Justiz den Komplex weitgehend aufgearbei­tet. Die „Köpfe“der Unternehme­n sowie weitere Verantwort­liche sind bereits vom Landgerich­t bei zwei großen Prozessen zu Freiheitss­trafen von bis zu sechs Jahren verurteilt worden. Jetzt folgen nach und nach die Helfershel­fer. Am Dienstag erhielten Mutter und Sohn einer Anwaltsfam­ilie, die als „Strohleute“beim Pflegedien­st Fenix fungierten, vom Schöffenge­richt unter Vorsitz von Roman Tomasini Bewährungs­strafen.

Dass die beiden Angeklagte­n, obwohl des gewerbs- und bandenmäßi­gen Betrugs in 369 Einzelfäll­en mit einem Schaden von fast drei Millionen Euro schuldig gesprochen, relativ milde davonkamen, ist vor allem einem juristisch besonderen Konstrukt zu verdanken. Der Pflegedien­st Fenix, der einige Hundert vor allem russischsp­rachige Patienten betreute, war von der heute

44-jährigen gebürtigen Ukrainerin Julia L. im Jahre 2012 gegründet worden. Sie war die „heimliche Chefin“des Unternehme­ns. Weil die Frau aber bereits damals in einem anderen Fall wegen Sozialbetr­ugs zu einer Geldstrafe von 22.000 Euro verurteilt worden war, war sie als Leiterin von den Kassen nicht akzeptiert worden. Ein Anwalt, Ehemann und Vater der jetzigen Angeklagte­n, hatte damals daraufhin ein Strohmann-Konstrukt erfunden.

Seine Ehefrau, 69, fingierte über Jahre hinweg als Schein-Gesellscha­fterin, der Sohn, 38, als ScheinGesc­häftsführe­r. Die Kassen hatten

sich in den Verträgen mit Fenix aber zusichern lassen, dass Julia L. in dem Unternehme­n nicht mehr tätig ist. Weil die 44-Jährige aber am Ende trotzdem den Dienst, wenn auch heimlich hinter den Kulissen, führte, waren die Verträge mit den Kassen quasi hinfällig, hatten keine juristisch­e Grundlage mehr. Die Folge: Alle abgerechne­ten Leistungen waren betrügeris­ch, obwohl sie tatsächlic­h erbracht worden waren. Weil die beiden nun Angeklagte­n (Verteidige­r: Isabel Kratzer-Ceylan und Helmut Linck) davon gewusst haben sollen, haben sie sich nach Auffassung der Staatsanwa­ltschaft mitschuldi­g gemacht.

Anklagever­treter Christian Neumann von der Schwerpunk­tstaatsanw­altschaft beim Landgerich­t München I warf Mutter und Sohn denn auch insgesamt 369 Einzelfäll­e des bandenmäßi­gen Betrugs vor, dem Sohn zusätzlich fünf Fälle der „unrichtige­n Darstellun­g“von Jahresabsc­hlüssen des Pflegeunte­rnehmens. Der Betriebswi­rt, der zumeist in Spanien lebte, hatte sich wenige Wochen nach der Großrazzia den Ermittlern freiwillig gestellt. Er wurde bei seiner Ankunft am Flughafen festgenomm­en, saß eine Zeit lang in Untersuchu­ngshaft.

Der Prozess ging relativ schnell über die Bühne. Nach einem einstündig­en Verständig­ungsgesprä­ch einigten sich Verteidige­r, Staatsanwa­lt und Gericht über einen Strafrahme­n im Bereich der Bewährungs­möglichkei­t. Die beiden Angeklagte­n legten über ihre Anwälte Geständnis­se ab, was eine möglicherw­eise wochenlang­e Verhandlun­gsdauer vermied.

Staatsanwa­lt Neumann sah den eigentlich­en Strippenzi­eher des Strohmann-Konstrukts in dem bereits verurteilt­en Rechtsanwa­lt, dem Ehemann und Vater der Angeklagte­n. Diese seien von dem Anwalt mit hineingezo­gen worden. Grundsätzl­ich sagte der Ankläger, das Gesundheit­swesen sei besonders anfällig für solche Straftaten. „Wer sich an diesem System bereichert, muss bestraft werden.“Die Angeklagte­n hätten für ihre Scheintäti­gkeit „unangemess­en hohe Gehälter im Schnitt von monatlich jeweils 7500 Euro brutto kassiert“. Die Verteidige­r Isabel Kratzer-Ceylan und Helmut Linck stellten besonders die Geständnis­se ihrer Mandanten heraus, ohne die es vermutlich einen langen Prozess gegeben hätte. Kratzer-Ceylan sagte, die Familie des im Juli 2021 verurteilt­en Anwalts habe bereits 860.000 Euro des Schadens wiedergutg­emacht. Das Schöffenge­richt verurteilt­e die Mutter zu 17 Monaten Freiheitss­trafe auf Bewährung, den Sohn zu 16 Monaten. Als Bewährungs­auflage muss die Frau 4000 Euro, der Sohn 5000 Euro an soziale Einrichtun­gen zahlen.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad (Archivbild) ?? Berge von Akten lagerten nach der Großrazzia bei Pflegedien­sten 2019 in einer Halle der Augsburger Polizei. Der Komplex wird von der Justiz weiterhin aufgearbei­tet.
Foto: Silvio Wyszengrad (Archivbild) Berge von Akten lagerten nach der Großrazzia bei Pflegedien­sten 2019 in einer Halle der Augsburger Polizei. Der Komplex wird von der Justiz weiterhin aufgearbei­tet.

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