Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie Ukrainer auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen
Wirtschaft Viele der ukrainischen Flüchtlinge wollen auf eigenen Beinen stehen und auch arbeiten. Dabei ist weniger die Qualifikation das Problem als die Bürokratie.
Tanja Demchenko lebt seit Mitte März in Augsburg. Sie ist mit ihren beiden Töchtern, 5 und 14, aus Czernowitz vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. Am liebsten würde sie so schnell wie möglich zurück in die Heimat – ins eigene Haus und zu ihrem Mann. Doch bis dahin muss sie ihr neues Leben in Augsburg organisieren. Sie möchte möglichst unabhängig sein und auf eigenen Beinen stehen. Deshalb hat sie sich schnell nach einem Arbeitsplatz umgesehen. Doch das ist nicht so einfach, wie man sich das trotz der großen Hilfsbereitschaft vorstellt.
„Ich möchte Leute kennenlernen, mich und meine Kinder integrieren und eigenes Geld verdienen, um unabhängig zu sein. Aber auch um mir selbst zu zeigen: Ich kann an einer solch schweren Aufgabe wachsen“, beschreibt Tanja Demchenko ihre Situation. Tatsächlich hat sie recht schnell einen 450-Euro-Job beim Medizintechnik-Unternehmen Ambu gefunden. Dort hilft sie im Lager, im Versand, beim Prototypenbau oder bei organisatorischen Aufgaben. „Frau Demchenko ist außerdem die gute Seele unserer Küchen“, erzählt ihr Chef Marc Henzler. Er und sein Unternehmen seien direkt auf den Ukrainischen Verein zugegangen und hätten Hilfe angeboten. Die Anstellung von Tanja Demchenko sei ein Ergebnis.
Laut Auskunft der Stadt Augsburg sind Schätzungen nach bislang rund 3000 Ukrainerinnen und Ukrainer in Augsburg angekommen. Von den gut 2500 erfassten Personen seien etwa 1600 im erwerbsfähigen Alter. Wie die Agentur für Arbeit mitteilt, hätten sich seit Beginn der Flüchtlingswelle rund 80 Menschen aus der Ukraine gemeldet, die eine Arbeit aufnehmen wollen. Sieben konnten bereits vermittelt werden. Auch seitens der Unternehmen und Betriebe herrscht Interesse. „Mehr als 80 Firmen aus unterschiedlichen Bereichen
Pflege, Gastronomie, IT oder Bau haben signalisiert, ukrainische Mitarbeiter aufzunehmen. Zum Teil sind für eine Arbeitsaufnahme keine oder nur geringe Deutschkenntnisse nötig“, sagt Roland Fürst von der Agentur für Arbeit Augsburg.
Eine Rolle dürfte hier neben der humanitären Hilfe auch der akute Fachkräftemangel spielen, der speziell die genannten Branchen umtreibt. Zuletzt berichteten Unternehmen immer wieder, wie schwer es sei, passendes Personal zu finden. Doch den Fachkräftemangel allein als Einstellungskriterium zu nehmen, will Roland Fürst nicht gelten lassen. „Wir sind derzeit erst einmal humanitär gefordert. Die Frauen und Kinder kommen nicht nach Augsburg, um unseren Arbeitskräftebedarf zu decken“, sagt er. Dennoch würden viele von ihnen arbeiten wollen.
Das bestätigt auch Tanja Hoggan
Kloubert, Sprecherin des Ukrainischen Vereins. Viele der Ukrainerinnen und Ukrainer seien gut ausgebildet. Auch die Agentur für Arbeit Augsburg bezeichnet das Bildungsniveau in der Ukraine als „überdurchschnittlich“. Man gehe deswegen von einem guten Qualifikationsniveau aus – anders als bei der Fluchtwelle 2015/16, als vor allem junge Männer nach Augsburg kamen, von denen viele keinen Berufsabschluss hatten. „Ziel sollte es sein, die Menschen passend zu ihrer Ausbildung und ihrer Qualifikation nachhaltig zu integrieren“, so Fürst. Ab 1. Juni wechseln Flüchtlinge aus der Ukraine zudem vom Asylbewerberleistungsgesetz in die Grundsicherung und werden von den Jobcentern betreut. Für Ende Mai sei eine sechsmonatige Bildungsmaßnahme bei einem Bildungsträger geplant, in der auch Deutschkenntnisse vermittelt werden. Denn das sei derzeit,
vor allem in anspruchsvolleren Berufen, eines der größten Hindernisse.
Das weiß auch Tanja Demchenko. Ein wenig Deutsch habe sie schon einmal in der Ukraine gelernt, aber davon seien nur mehr wenige Kenntnisse übrig. Das wolle sie ändern. „Andernfalls wird es mit einem festen Job schwer“, ordnet sie ein. Eigentlich ist Demchenko Lehrerin, aber hat nie in dem Beruf gearbeitet. Stattdessen führte sie zusammen mit ihrem Mann ein Spielzeuggeschäft und später einen Internetshop für Sportgeräte. Beim Medizintechnik-Unternehmen Ambu fühle sie sich wohl, wie es dort für sie weitergehen wird, weiß sie aber nicht. Auch ihr Chef tut sich mit Prognosen schwer: „Wir sind zunächst einmal für alles offen. Aber wir müssen abwarten, ob Frau Demchenko länger in Augsburg bleibt, wie sich ihre Deutschkenntwie nisse entwickeln und einiges mehr“, so Marc Henzler.
Dass Demchenko überhaupt so schnell einen Job gefunden hat, ist für Tanja Hoggan-Kloubert vom Ukrainischen Verein nicht selbstverständlich. Laut Agentur für Arbeit ist in der MassenzustromRichtlinie geregelt, dass bereits mit der vorläufigen Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht durch die Ausländerbehörde die Erlaubnis zum Arbeiten ausgesprochen wird. In der Praxis gibt es aber noch andere Hürden. „Es müssen Zeugnisse anerkannt und vor allem viele Formulare ausgefüllt werden, um gewisse Dinge ins Laufen zu bringen“, so Hoggan-Kloubert. Unter anderem brauche man eine SteuerID, ein Konto oder eine Krankenversicherung. Das eine bedinge oft das andere. Viele Menschen fühlten sich hier, auch wegen mangelnder Sprachkenntnisse, schnell überfordert. „Sie wollen Arbeit, aber sie finden sich in dieser Bürokratie kaum zurecht und geben auf“, so Hoggan-Kloubert. Arbeitgeber Marc Henzler sagt: „Die Bürokratie ist auch für unsere Personalabteilung eine gewisse Herausforderung, die ein besonderes Engagement der Mitarbeiter erfordert.“
Tanja Demchenko nennt dazu noch praktische Probleme: „Ich habe für meine fünfjährige Tochter keinen Kindergartenplatz bekommen. Die Absagen stapeln sich. Also arbeite ich am Nachmittag, wenn die ältere Tochter mit dem OnlineUnterricht mit der ukrainischen Schule fertig ist und auf ihre Schwester aufpassen kann.“Auch die Deutschkurse seien voll und es sei schwer, einen Platz zu bekommen. Entmutigen lassen will sich Tanja Demchenko aber nicht und arbeitet weiter fleißig am Aufbau ihres neuen Lebens. Als Ehrenamtliche engagiert sie sich auch im Infopoint in der Innenstadt und will ihren Landsleuten beim Neustart helfen – privat wie beruflich.