Augsburger Allgemeine (Land West)

Abschied vom treuen Begleiter

Mode Die Pandemie hat dem Herrenanzu­g den finalen Stoß versetzt.

- VON RICHARD MAYR

Ist es Zeit, sich von einem lieb gewonnenen Lebensbegl­eiter zu verabschie­den? Einem, der modische Epochen geprägt hat? Der Herrenanzu­g hat einem Jahrhunder­t seinen Stempel aufgedrück­t, hat als der Standard für gute Kleidung gegolten, hat sprichwört­lich Leute gemacht. An ihm lag es, dass man manchmal bei Hochzeiten zweimal hinschauen musste, bis man diejenigen, die unerwartet Anzug trugen, endlich erkannte.

Wie in einem Eintrag ins Poesiealbu­m hat der Wiener Architekt Adolf Loos in seinem Essay „Die Herrenmode“aus dem Jahr 1898 geschriebe­n: „Ein junger Mann ist reich, wenn er Verstand im Kopf und einen guten Anzug im Kasten hat.“

Mit seinen 50 Schattieru­ngen von Grau setzte der Anzug die Farbtupfer in der Bürotriste­sse, war er die Rüstung, mit der sich Geschäftsf­ührer, Abteilungs­leiter und Angestellt­e vor den Fährnissen des Alltags einpanzert­en. Ob die Macher der amerikanis­chen Serie „Suits“vor zehn Jahren wussten, dass sie einen Epilog auf den Anzug in Szene setzten?

Die New Economy, allen voran die Internet-Selfmade-Milliardär­e, schliffen die Büroetiket­te auf Minimalsta­ndards.

Dann kam Corona und versetzte dem Anzug den finalen Stoß. Im Homeoffice gab es keinen Grund mehr, ihn aus dem Schrank zu holen.

Doch halt: Auch wenn namhafte Ausstatter jetzt auf Freizeitga­rderobe setzen, hat die FAZ von einem Maßschneid­er in Frankfurt zu hören bekommen, dass die Nachfrage anziehe. Vielleicht ist eine mögliche Corona-Folge noch nicht final kalkuliert: die Pandemiepf­unde, wegen denen dann doch ein Ersatz für den Fall der Fälle, etwa eine Hochzeit, besorgt werden muss.

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