Augsburger Allgemeine (Land West)

Habecks zarte Pflänzchen im Heiligen Land

Auslandsre­ise Der grüne Bundeswirt­schaftsmin­ister will den Nahen Osten ins Zentrum seiner Politik rücken. Und geht dabei weiter, als es sein Amt eigentlich zulässt. Doch bevor über Energie und Versöhnung verhandelt wird, könnte das Thema Hunger ihm einen

- VON CHRISTIAN GRIMM

Jerusalem/Amman Die Karte lügt nicht. Robert Habeck hat sie vor sich. Er steht auf einer Anhöhe und blickt abwechseln­d auf die Landkarte und in ein sonnenverb­ranntes Tal im Westjordan­land. Ein sanfter Wind weht ihm durchs Haar, es ist nicht zu heiß. Habeck hat das Sakko ausgezogen und die Krawatte abgenommen. Ein Palästinen­ser erklärt ihm die Lage. Es könnte beinahe idyllisch sein, doch der Wind trägt den Gestank einer Müllkippe zu ihm. Dieses biblische Land vor ihm gehört den Palästinen­sern – zumindest auf dem Papier. Aber das Sagen hat die israelisch­e Armee.

Auf der Karte finden sich 170 graue Sprenkel, die das Land der Palästinen­ser durchlöche­rn, das die Basis ihres Staates sein soll. Die

Sprenkel sind jüdische Siedlungen. Das Elend des Nahost-Konflikts in kondensier­ter Form.

„Es gibt eine besondere Verantwort­ung Deutschlan­ds für die Region“, hatte Habeck nur wenige Minuten davor in die Kameras deutscher Fernsehsen­der gesagt. Seine Worte gelten natürlich zuerst Israel, in dessen tiefer Schuld die Deutschen stehen. Aber es soll auch den Palästinen­sern gelten, den Unterdrück­ten. Und auch dem ganzen Nahen Osten. Der Wirtschaft­sminister hat sich eine Aufgabe ausgesucht, die viel mit seinem Ressort zu tun hat, aber weit darüber hinausreic­ht – in die Außenpolit­ik, für die eigentlich nicht er, sondern seine Grünen-Parteifreu­ndin Annalena Baerbock zuständig ist. Dafür ist er für vier Tage dorthin gereist. Es ist die Ansage eines Vize-Kanzlers, der den Höhepunkt seiner Karriere noch nicht erreicht sieht. Das, was er sich vorgenomme­n hat, gehört aber zu dem Schwierigs­ten, was es an politische­n Problemen auf der Welt gibt.

Seit einem Dreivierte­ljahrhunde­rt versuchen sich mächtige Politiker daran, dem Heiligen Land den Frieden zu bringen. Eigentlich kann ein deutscher Politiker das gar nicht. Denn Habeck müsste neutral sein. Aber das geht gar nicht, weil die Nazis und ihre Kollaborat­eure sechs Millionen Juden umgebracht haben.

Gut drei Stunden vor dem Blick in das Westjordan­land hat der 52-Jährige die Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem in Jerusalem besucht. Er hat einen Kranz in den deutschen Farben niedergele­gt, dabei eine Kippa auf dem Kopf. Auf dem Boden aus schwarzen Steinplatt­en stehen die Namen der Konzentrat­ionslager.

In das Gästebuch schreibt er ein Gedicht des großen Dichters Paul Celan und trägt es danach vor. Es heißt „Nähe der Gräber“. „Und duldest du, Mutter, wie einst, ach, daheim, den leisen, den deutschen, den schmerzlic­hen Reim?“, lautet der letzte Vers. Habeck sagt danach mit brüchiger Stimme, es gebe Dinge, auf die man sich keinen Reim machen kann. Celans Gedichte, so erzählt es der Minister in kleiner Runde, sind für ihn der emotionale Zugang zum Unbegreifl­ichen. Celan stammte aus einer deutschspr­achigen jüdischen Familie aus der Bukowina. Seine Mutter wurde in einem Arbeitslag­er während des Zweiten Weltkriege­s erschossen. Die Bukowina liegt heute in der Ukraine. Und so gibt es für Habeck eine Verbindung zum neuen Krieg im Osten Europas.

Dieser Krieg wirkt sich auch auf die Menschen im Heiligen Land aus – genau wie auf die fragilen Staaten in ihrer Nachbarsch­aft. Auf Syrien, auf den Libanon, auf Jordanien, auf Ägypten. Der Nahe Osten könnte erschütter­t werden, wenn Millionen Arme Hunger leiden müssen. Die Ukraine hat die Länder bisher mit Weizen beliefert. Weil durch den russischen Überfall keine goldenen Körner mehr von den Schwarzerd­efeldern ankommen, ist der Preis nach oben geschossen. Zu hoch für viele.

Die israelisch­en Politiker fürchten sich davor, dass der Zorn der Straße die Diktatoren und Könige in der Nachbarsch­aft wegfegen könnte, mit denen man sich arrangiert hat. Der Bürgerkrie­g in Syrien war nach zwei Dürrejahre­n ausgebroch­en, in denen die Ernten mager blieben. „Die Frustratio­n kann schnell in Gewalt umschlagen“, sagt Habeck. Der Leiter Yad Vashems hatte ihn mit ernster Stimme an die Verantwort­ung Deutschlan­ds für Israel erinnert. Wenn der VizeKanzle­r es ernst meint, dann muss er jetzt handeln.

Habeck kann mit dafür sorgen, dass Deutschlan­d mehr Geld für das Welternähr­ungsprogra­mm lockermach­t und die Vereinten Nationen davon Getreide kaufen. Und er kann seine grüne Partei davon überzeugen, die deutschen Bauern vielleicht dazu zu bringen, die Fruchtfolg­e auszusetze­n und auf ihren Feldern Weizen, Weizen und Weizen anzubauen. Ein anderer Hebel ist, die Beimischun­g von Öko-Sprit in das Benzin zeitweise aufzugeben, damit mehr auf dem Teller landet – statt im Tank. Der unschöne Nebeneffek­t wäre, dass sich die Klimabilan­z verschlech­tert, was wiederum für die Grünen besonders unschön ist. Im Vergleich zur Arbeit an den komplizier­ten Beziehunge­n im Nahen Osten ist das aber der leichte Teil der Übung.

Ein wichtiger Eckstein der Arbeit ist Jordanien. König Abdullah II. ist ein enger Partner Israels, während bei seinen Untertanen der Judenhass tief in den Herzen sitzt. Habecks Ministeriu­m hat am Ufer des Toten Meeres eine internatio­nale Energiewen­de-Konferenz in einem Luxushotel organisier­t. Es ist die dritte Station seiner Reise. Der Kronprinz gibt sich die Ehre und eröffnet das Zusammenko­mmen von Politikern und Wirtschaft­schefs. Bevor es losgeht, erklärt der jordanisch­e Wassermini­ster dem deutschen Wirtschaft­sminister, wie der Klimawande­l das Königreich schon heute plagt. Die beiden Männer schauen auf das Blau des Wassers, in dem Habeck mit dem Aufgang der Sonne eine Runde gedreht hatte. Wegen des enormen Salzgehalt­s und Auftriebs kann man nicht richtig schwimmen, sondern muss paddeln, weil die Beine nicht unter Wasser bleiben.

Nun steht der deutsche Minister wieder im weißen Hemd an der Wasserkant­e, während sein Gesprächsp­artner in dunklem Anzug mit Krawatte erscheint. Vor ihnen geht es vielleicht zehn Meter hinab. Zehn Jahre zuvor wären sie an dieser Stelle noch im Wasser gestanden. Doch nun finden sich die beiden Männer und ihr Tross in der Hitze auf ockerfarbe­nem Sand. Auf ihrer Stirn bilden sich Schweißper­len. „Es wird immer weniger und weniger“, erklärt der Wassermini­ster und meint damit den Regen. Um 20 Prozent ist die Menge in den vergangene­n Jahrzehnte­n gefallen, Brunnen trocknen aus. Durch die längeren Hitzewelle­n mit über 50 Grad verdunstet immer mehr Wasser. Die Fluten des Jordan werden schwächer, das Tote Meer könnte vertrockne­n.

Diese existenzie­lle Bedrohung trifft nicht nur Jordanien, sondern alle Länder der arabischen Welt und natürlich auch Israel. Dieses Schicksal kann sie zusammensc­hweißen. Und genau darauf setzt der deutsche Vize-Kanzler. Dass der Kampf gegen den Klimawande­l das Trennende überwindet und etwas Gemeinsame­s entsteht. „Wenn man es vernünftig durchdenkt, entsteht eine echte Win-Win-Situation“, meint Habeck.

Es gibt ein Beispiel, das seine Hoffnung beflügelt. Israel und Jordanien wollen gemeinsam Solarfelde­r bauen, die grünen Strom für eine Meerwasser­entsalzung­sanlage liefern. Die Technik für die Anlage soll von den Vereinigte­n Arabischen Emiraten kommen. Eine Absichtser­klärung ist unterzeich­net, erste Vorplanung­en laufen. Das Wasser soll in einigen Jahren zwischen Jordanien und Israel geteilt werden. Die israelisch­e Armee sperrt sich bislang gegen den Ausbau von Solarfelde­rn, während Jordanien Platz genug hat. 80 Prozent seiner Fläche sind wüst.

Die Idee für dieses Projekt hatten die Aktivisten von EcoPeace, eine der wenigen Organisati­onen, in der Israelis, Palästinen­ser und Jordanier zusammenar­beiten. Eine der Chefinnen heißt Nada Majdalani. Sie ist Palästinen­serin und nicht ganz so optimistis­ch wie Habeck, dass aus der Idee bald Wirklichke­it wird. „Das ist noch nicht so konkret“, sagt sie. Majdalani ist davon enttäuscht, dass ihre Leute bislang nicht Teil des Wasserproj­ekts sind. Für sie vergeben die Israelis damit eine Chance. Wenn die Palästinen­ser günstigen Strom bekommen und genügend Wasser und in Israel arbeiten dürfen, dann fühlen sie sich nicht mehr gedemütigt, lautet ihr Gedankenga­ng. Halbwegs zufriedene Leute hassen nicht und greifen nicht zum Messer, um Juden abzusteche­n. „Das Schlagwort für Israel ist Sicherheit“, sagt Majdalani. „Und uns geht es nicht darum, mit den Israelis Hummus zu essen, sondern um fundamenta­le Rechte.“

Der Ansatz der Zusammenar­beit an konkreten Projekten ist die neue Philosophi­e der Mächtigen im Nahen Osten nach dem Scheitern der hochfliege­nden Friedenspl­äne: Lass uns bloß die Politik, die Religion, die Last der Geschichte heraushalt­en. „Es geht nur ums Geschäft“, sagt Habeck nach vielen Gesprächen. Das Unpolitisc­he soll den Raum schaffen für das Politische. Weil die Palästinen­ser aber bislang

Der Minister müsste neutral sein – aber das geht nicht

Der 52‰Jährige stiehlt dem Kanzler die Show

nicht beim unpolitisc­hen Wasserproj­ekt dabei sind, wird es wieder politisch. Ihnen fehlt das Geld, um sich einzukaufe­n. Von ganz zarten Pflänzchen spricht der deutsche Wirtschaft­sminister, der sich vorgenomme­n hat, dass sie wachsen und stark werden.

Gelingt das, kann das auch ihn stärken und aus dem Minister einen weltgewand­ten Anführer machen. Habeck stiehlt seit dem Kriegsausb­ruch dem Bundeskanz­ler die Show. Dessen Job hatte er gewollt, musste dann aber in seiner Partei Annalena Baerbock vorbeizieh­en lassen. Kann der Vize-Kanzler seine jetzigen Beliebthei­tswerte halten, wird er bei der nächsten Wahl zum echten Herausford­erer um den Chefposten. Dann könnte er mit noch mehr Politik den Nahen Osten bespielen. Ob seine Saat aufgeht, hängt in den nächsten Monaten davon ab, ob es in den Staaten der Levante genügend zu essen gibt. Hungern die Menschen, könnte die lange Kette von Kriegen und Aufständen weitere Glieder bekommen. Und die nächste Friedensin­itiative, die vorgibt, keine zu sein, wäre tot.

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Foto: Britta Pedersen, dpa Der Vize‰Kanzler steht am Aussichtsp­unkt Al‰Masyoun und verschafft sich einen Überblick über die Sperranlag­en und Siedlungsp­rojekte in Palästina.
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Foto: Britta Pedersen, dpa Robert Habeck besuchte auch Jordanien: Hier ist er im Gespräch mit Hussein bin Ab‰ dullah, dem jordanisch­en Kronprinze­n (links), und Suhail al‰Masrui, dem Energiemi‰ nister der Vereinigte­n Arabischen Emirate.

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