Augsburger Allgemeine (Land West)
Habecks zarte Pflänzchen im Heiligen Land
Auslandsreise Der grüne Bundeswirtschaftsminister will den Nahen Osten ins Zentrum seiner Politik rücken. Und geht dabei weiter, als es sein Amt eigentlich zulässt. Doch bevor über Energie und Versöhnung verhandelt wird, könnte das Thema Hunger ihm einen
Jerusalem/Amman Die Karte lügt nicht. Robert Habeck hat sie vor sich. Er steht auf einer Anhöhe und blickt abwechselnd auf die Landkarte und in ein sonnenverbranntes Tal im Westjordanland. Ein sanfter Wind weht ihm durchs Haar, es ist nicht zu heiß. Habeck hat das Sakko ausgezogen und die Krawatte abgenommen. Ein Palästinenser erklärt ihm die Lage. Es könnte beinahe idyllisch sein, doch der Wind trägt den Gestank einer Müllkippe zu ihm. Dieses biblische Land vor ihm gehört den Palästinensern – zumindest auf dem Papier. Aber das Sagen hat die israelische Armee.
Auf der Karte finden sich 170 graue Sprenkel, die das Land der Palästinenser durchlöchern, das die Basis ihres Staates sein soll. Die
Sprenkel sind jüdische Siedlungen. Das Elend des Nahost-Konflikts in kondensierter Form.
„Es gibt eine besondere Verantwortung Deutschlands für die Region“, hatte Habeck nur wenige Minuten davor in die Kameras deutscher Fernsehsender gesagt. Seine Worte gelten natürlich zuerst Israel, in dessen tiefer Schuld die Deutschen stehen. Aber es soll auch den Palästinensern gelten, den Unterdrückten. Und auch dem ganzen Nahen Osten. Der Wirtschaftsminister hat sich eine Aufgabe ausgesucht, die viel mit seinem Ressort zu tun hat, aber weit darüber hinausreicht – in die Außenpolitik, für die eigentlich nicht er, sondern seine Grünen-Parteifreundin Annalena Baerbock zuständig ist. Dafür ist er für vier Tage dorthin gereist. Es ist die Ansage eines Vize-Kanzlers, der den Höhepunkt seiner Karriere noch nicht erreicht sieht. Das, was er sich vorgenommen hat, gehört aber zu dem Schwierigsten, was es an politischen Problemen auf der Welt gibt.
Seit einem Dreivierteljahrhundert versuchen sich mächtige Politiker daran, dem Heiligen Land den Frieden zu bringen. Eigentlich kann ein deutscher Politiker das gar nicht. Denn Habeck müsste neutral sein. Aber das geht gar nicht, weil die Nazis und ihre Kollaborateure sechs Millionen Juden umgebracht haben.
Gut drei Stunden vor dem Blick in das Westjordanland hat der 52-Jährige die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besucht. Er hat einen Kranz in den deutschen Farben niedergelegt, dabei eine Kippa auf dem Kopf. Auf dem Boden aus schwarzen Steinplatten stehen die Namen der Konzentrationslager.
In das Gästebuch schreibt er ein Gedicht des großen Dichters Paul Celan und trägt es danach vor. Es heißt „Nähe der Gräber“. „Und duldest du, Mutter, wie einst, ach, daheim, den leisen, den deutschen, den schmerzlichen Reim?“, lautet der letzte Vers. Habeck sagt danach mit brüchiger Stimme, es gebe Dinge, auf die man sich keinen Reim machen kann. Celans Gedichte, so erzählt es der Minister in kleiner Runde, sind für ihn der emotionale Zugang zum Unbegreiflichen. Celan stammte aus einer deutschsprachigen jüdischen Familie aus der Bukowina. Seine Mutter wurde in einem Arbeitslager während des Zweiten Weltkrieges erschossen. Die Bukowina liegt heute in der Ukraine. Und so gibt es für Habeck eine Verbindung zum neuen Krieg im Osten Europas.
Dieser Krieg wirkt sich auch auf die Menschen im Heiligen Land aus – genau wie auf die fragilen Staaten in ihrer Nachbarschaft. Auf Syrien, auf den Libanon, auf Jordanien, auf Ägypten. Der Nahe Osten könnte erschüttert werden, wenn Millionen Arme Hunger leiden müssen. Die Ukraine hat die Länder bisher mit Weizen beliefert. Weil durch den russischen Überfall keine goldenen Körner mehr von den Schwarzerdefeldern ankommen, ist der Preis nach oben geschossen. Zu hoch für viele.
Die israelischen Politiker fürchten sich davor, dass der Zorn der Straße die Diktatoren und Könige in der Nachbarschaft wegfegen könnte, mit denen man sich arrangiert hat. Der Bürgerkrieg in Syrien war nach zwei Dürrejahren ausgebrochen, in denen die Ernten mager blieben. „Die Frustration kann schnell in Gewalt umschlagen“, sagt Habeck. Der Leiter Yad Vashems hatte ihn mit ernster Stimme an die Verantwortung Deutschlands für Israel erinnert. Wenn der VizeKanzler es ernst meint, dann muss er jetzt handeln.
Habeck kann mit dafür sorgen, dass Deutschland mehr Geld für das Welternährungsprogramm lockermacht und die Vereinten Nationen davon Getreide kaufen. Und er kann seine grüne Partei davon überzeugen, die deutschen Bauern vielleicht dazu zu bringen, die Fruchtfolge auszusetzen und auf ihren Feldern Weizen, Weizen und Weizen anzubauen. Ein anderer Hebel ist, die Beimischung von Öko-Sprit in das Benzin zeitweise aufzugeben, damit mehr auf dem Teller landet – statt im Tank. Der unschöne Nebeneffekt wäre, dass sich die Klimabilanz verschlechtert, was wiederum für die Grünen besonders unschön ist. Im Vergleich zur Arbeit an den komplizierten Beziehungen im Nahen Osten ist das aber der leichte Teil der Übung.
Ein wichtiger Eckstein der Arbeit ist Jordanien. König Abdullah II. ist ein enger Partner Israels, während bei seinen Untertanen der Judenhass tief in den Herzen sitzt. Habecks Ministerium hat am Ufer des Toten Meeres eine internationale Energiewende-Konferenz in einem Luxushotel organisiert. Es ist die dritte Station seiner Reise. Der Kronprinz gibt sich die Ehre und eröffnet das Zusammenkommen von Politikern und Wirtschaftschefs. Bevor es losgeht, erklärt der jordanische Wasserminister dem deutschen Wirtschaftsminister, wie der Klimawandel das Königreich schon heute plagt. Die beiden Männer schauen auf das Blau des Wassers, in dem Habeck mit dem Aufgang der Sonne eine Runde gedreht hatte. Wegen des enormen Salzgehalts und Auftriebs kann man nicht richtig schwimmen, sondern muss paddeln, weil die Beine nicht unter Wasser bleiben.
Nun steht der deutsche Minister wieder im weißen Hemd an der Wasserkante, während sein Gesprächspartner in dunklem Anzug mit Krawatte erscheint. Vor ihnen geht es vielleicht zehn Meter hinab. Zehn Jahre zuvor wären sie an dieser Stelle noch im Wasser gestanden. Doch nun finden sich die beiden Männer und ihr Tross in der Hitze auf ockerfarbenem Sand. Auf ihrer Stirn bilden sich Schweißperlen. „Es wird immer weniger und weniger“, erklärt der Wasserminister und meint damit den Regen. Um 20 Prozent ist die Menge in den vergangenen Jahrzehnten gefallen, Brunnen trocknen aus. Durch die längeren Hitzewellen mit über 50 Grad verdunstet immer mehr Wasser. Die Fluten des Jordan werden schwächer, das Tote Meer könnte vertrocknen.
Diese existenzielle Bedrohung trifft nicht nur Jordanien, sondern alle Länder der arabischen Welt und natürlich auch Israel. Dieses Schicksal kann sie zusammenschweißen. Und genau darauf setzt der deutsche Vize-Kanzler. Dass der Kampf gegen den Klimawandel das Trennende überwindet und etwas Gemeinsames entsteht. „Wenn man es vernünftig durchdenkt, entsteht eine echte Win-Win-Situation“, meint Habeck.
Es gibt ein Beispiel, das seine Hoffnung beflügelt. Israel und Jordanien wollen gemeinsam Solarfelder bauen, die grünen Strom für eine Meerwasserentsalzungsanlage liefern. Die Technik für die Anlage soll von den Vereinigten Arabischen Emiraten kommen. Eine Absichtserklärung ist unterzeichnet, erste Vorplanungen laufen. Das Wasser soll in einigen Jahren zwischen Jordanien und Israel geteilt werden. Die israelische Armee sperrt sich bislang gegen den Ausbau von Solarfeldern, während Jordanien Platz genug hat. 80 Prozent seiner Fläche sind wüst.
Die Idee für dieses Projekt hatten die Aktivisten von EcoPeace, eine der wenigen Organisationen, in der Israelis, Palästinenser und Jordanier zusammenarbeiten. Eine der Chefinnen heißt Nada Majdalani. Sie ist Palästinenserin und nicht ganz so optimistisch wie Habeck, dass aus der Idee bald Wirklichkeit wird. „Das ist noch nicht so konkret“, sagt sie. Majdalani ist davon enttäuscht, dass ihre Leute bislang nicht Teil des Wasserprojekts sind. Für sie vergeben die Israelis damit eine Chance. Wenn die Palästinenser günstigen Strom bekommen und genügend Wasser und in Israel arbeiten dürfen, dann fühlen sie sich nicht mehr gedemütigt, lautet ihr Gedankengang. Halbwegs zufriedene Leute hassen nicht und greifen nicht zum Messer, um Juden abzustechen. „Das Schlagwort für Israel ist Sicherheit“, sagt Majdalani. „Und uns geht es nicht darum, mit den Israelis Hummus zu essen, sondern um fundamentale Rechte.“
Der Ansatz der Zusammenarbeit an konkreten Projekten ist die neue Philosophie der Mächtigen im Nahen Osten nach dem Scheitern der hochfliegenden Friedenspläne: Lass uns bloß die Politik, die Religion, die Last der Geschichte heraushalten. „Es geht nur ums Geschäft“, sagt Habeck nach vielen Gesprächen. Das Unpolitische soll den Raum schaffen für das Politische. Weil die Palästinenser aber bislang
Der Minister müsste neutral sein – aber das geht nicht
Der 52Jährige stiehlt dem Kanzler die Show
nicht beim unpolitischen Wasserprojekt dabei sind, wird es wieder politisch. Ihnen fehlt das Geld, um sich einzukaufen. Von ganz zarten Pflänzchen spricht der deutsche Wirtschaftsminister, der sich vorgenommen hat, dass sie wachsen und stark werden.
Gelingt das, kann das auch ihn stärken und aus dem Minister einen weltgewandten Anführer machen. Habeck stiehlt seit dem Kriegsausbruch dem Bundeskanzler die Show. Dessen Job hatte er gewollt, musste dann aber in seiner Partei Annalena Baerbock vorbeiziehen lassen. Kann der Vize-Kanzler seine jetzigen Beliebtheitswerte halten, wird er bei der nächsten Wahl zum echten Herausforderer um den Chefposten. Dann könnte er mit noch mehr Politik den Nahen Osten bespielen. Ob seine Saat aufgeht, hängt in den nächsten Monaten davon ab, ob es in den Staaten der Levante genügend zu essen gibt. Hungern die Menschen, könnte die lange Kette von Kriegen und Aufständen weitere Glieder bekommen. Und die nächste Friedensinitiative, die vorgibt, keine zu sein, wäre tot.