Augsburger Allgemeine (Land West)
Als junge Frau Chefin eines Bauernhofs sein
Porträt Frauen gibt es auf fast jedem Bauernhof. Doch geführt werden die meisten Betriebe von Männern. Lena Zimmermann, 27, aus Gablingen, geht mutig voran. Ein Besuch.
Gablingen Vor neun Jahren musste Lena Zimmermann eine Entscheidung treffen. Soll sie den Hof ihrer Eltern übernehmen? Kann sie das? Will sie das? Damals war Zimmermann gerade 18 Jahre alt. Ein Schicksalsschlag, der Tod ihres Vaters, stellte sie, Mutter Gudrun und ihre drei Schwestern plötzlich vor große Herausforderungen. Lena, die Älteste, entschied: Sie wollte ihre Ausbildung zur Bankkauffrau abschließen und dann das Hoferbe antreten. „Bis dahin war Landwirtschaft wirklich nicht mein Ding“, sagt die 27-Jährige. Sie lacht. „Tja, das hat sich geändert.“
Auf dem Grundstück der Zimmermanns in Gablingen ist an diesem Freitag viel los. Es ist Mittagszeit, im Hofladen kaufen Kundinnen und Kunden für das Wochenende ein. Lena Zimmermann bereitet hinten, in der Metzgerei, gerade noch ein paar Schweinespieße mit Speck und Paprika vor. „Hier verbringe ich sehr viel Zeit. Ich helfe aber auch im Verkauf mit, kümmere mich um die Büroarbeit, die Tiere – überall, wo ich eben gebraucht werde“, sagt sie. 150 Schweine, 110 Rinder, eine Metzgerei, ein Hofladen, ein Catering-Service – das alles muss die 27-Jährige im Griff haben.
Lena Zimmermann ist eine von wenigen Chefinnen auf Bayerns Bauernhöfen. Nur knapp zehn Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe werden von Frauen geführt. Die Arbeit auf den Höfen war lange klar getrennt: in Land- und Hauswirtschaft, in männlich und weiblich. Zwar stehen heute immerhin rund 8000 Frauen an der Spitze bayerischer Höfe, doch die Zahl stagniert seit Jahren. Lena Zimmermann will mit gutem Beispiel vorangehen. „Ich habe mich nie gefragt, ob ich das als Frau schaffe. Ich habe mich nur gefragt, ob ich dieses Leben, das Leben mit der Landwirtschaft will“, sagt sie. Sie habe aber auch das beste Vorbild: Großmutter Maria.
Die 81-Jährige macht in der Küche gerade Fleischsalat, ihre Spezialität. Jeden Mittwoch und Freitag ist sie auf dem Hof in Gablingen, hilft, wo sie kann. Maria Zimmermann war 27, so alt wie ihre Enkeltochter heute, als sie den Familienhof übernommen hatte. „Man wächst an seinen Aufgaben“, erinnert sie sich zurück. „Ein Hof bringt viel Arbeit,
muss sich gut organisieren.“Sie sei froh, dass der ihrer Familie in guten Händen sei. Vor Enkelin Lena habe sie Respekt. „Nicht jeder junge Mensch will so viel Verantwortung. Und sie hat so eine Energie!“, sagt die 81-Jährige. Lena Zimmermann wirft lächelnd ein: „Nicht halb so viel wie Omi. Die muss man aus der Küche rausschmeißen, damit sie mal geht.“Ob ihre Großmutter sich auch manchmal einmische? „Gar nicht. Als Papa noch da war, kam das hin und wieder vor. Mich lässt sie einfach machen.“
Wenn die 27-Jährige über ihren 42 Hektar großen Hof führt, tritt sie selbstbewusst auf. Sie habe in den vergangenen Jahren viel über die Landwirtschaft, aber auch über sich selbst gelernt, sagt Zimmermann. Sie ist eine pragmatische Frau, eine Macherin – und hier die Chefin, kein Zweifel. Das haben auch die Rinder verstanden. Zimmermann hat die dunkelrote Schürze und das Küchenmesser gegen graue Arbeitskleidung und eine Mistgabel eingetauscht. „Die Arbeit mit den Tieren ist ein toller Ausgleich“, sagt sie, während sie etwas Futter verteilt. Jeder Tag auf dem Hof habe einen anderen Ablauf. Das habe sie schät
zen gelernt. „So abwechslungsreich wäre mein Alltag in der Bank nie geworden.“Eine Sache aber stört Zimmermann: Das Leben auf dem Bauernhof werde in Büchern und Filmen „immer so romantisch“dargestellt. „Alles ist schön. Ja, natürlich, mein Leben ist schön, aber eben auch ganz schön anstrengend.“
Zum Glück, sagt Zimmermann, habe sie Martin, ihren Mann. Der heute 28-Jährige tritt kurz nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters in ihr Leben. Er arbeitet als Elektroniker bei einem großen Augsburger Unternehmen, hat eigentlich – wie seine neue Freundin – andere Pläne für die Zukunft. Als sich das Paar schließlich entscheidet, den Hof weiterzuführen, und er kündigt, folgt der nächste Schicksalsschlag: Der junge Mann stürzt vom Heuboden in die Tiefe, bricht sich mehrere Wirbel. Vorübergehend ist ungewiss, ob er jemals wieder laufen kann. Lena Zimmermann ist anzusehen, wie schwer es ihr fällt, darüber zu sprechen. „Ich hatte unglaubliche Angst“, sagt sie. „Und ich bin so froh, dass Martin sich so gut erholt hat.“
Gerade hat Martin Zimmermann, der nach der Hochzeit 2020 den Naman
men seiner Frau angenommen hat, seine Metzgerprüfung bestanden und unterstützt seine Frau dabei, den Traditionsbetrieb weiter zu modernisieren. Das Paar hat viele Ideen, bietet einen Onlineshop, einen 24-Stunden-Verkaufsautomaten oder Dry Aged, trocken gereiftes Fleisch, an, das nicht jeder Metzger führt. Auf einem Instagram-Kanal informieren die Zimmermanns über Wochenangebote und geben Einblicke in ihren Hofalltag. „Die meisten Likes gibt’s für Kälbchen“, sagt Martin Zimmermann und lacht.
Die langen Arbeitstage, das frühe Aufstehen, die körperliche Arbeit – all das lässt sich Lena Zimmermann an diesem Freitag nicht anmerken. Auf die Frage, ob ihr das alles nicht manchmal zu viel sei, antwortet sie nur: „Ist es das nicht jedem manchmal?“Zimmermann ist eine zierliche Frau und spätestens jetzt, wo sie sich erneut für ihre Arbeit im Büro umzieht, sieht sie überhaupt ganz anders aus, als man sich eine Landwirtin so vorstellt: schwarzes Shirt, türkisfarbener Cardigan, eine dunkle Röhrenjeans, Sneaker. Die Haare trägt sie offen, um den Hals eine Kette mit einem Herzanhänger. Den Nachmittag wird Zimmermann
mit Abrechnungen verbringen. Für die Arbeit fernab von Stall, Feldern und Metzgerei haben sich die Zimmermanns ein Büro in ihrem eben erst fertiggestellten Haus eingerichtet. Es steht auf einem kleinen Hügel, mit Blick auf den Hof. Helle Räume, modernes Interieur – ein Traum von einem Einfamilienhaus, wie ihn viele junge Paare haben. „Neben der Arbeit auf dem Hof war der Hausbau natürlich maximaler Stress. Keine Ahnung, wie wir das geschafft haben“, sagt Zimmermann, während sie in den offenen Wohn-Ess-Bereich führt. Die 27-Jährige lacht, wie so oft und gerne: „Aber wer ernten will, muss eben säen, alte Bauernweisheit.“
Manchmal, ja, da wünsche sie sich schon mehr Freizeit. Und trotzdem: Ihr altes Leben, wie Zimmermann es nennt, vermisst die 27-Jährige nicht. Ihren Vater natürlich schon. Aber mit ihrer Entscheidung hadere sie nicht. „Manchmal braucht es Mut, um glücklich zu sein. Und ich bin sehr froh, dass ich vor neun Jahren so mutig war.“
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