Augsburger Allgemeine (Land West)

Schock nach der Schweigemi­nute

USA Bei der Washington­er Demonstrat­ion für schärfere Waffenrech­te löst ein Randaliere­r kurzzeitig Panik aus. Der Vorfall demonstrie­rt die Verstörung der Gesellscha­ft durch die allgegenwä­rtige Gewalt. Ein Verbot von Sturmgeweh­ren hat im Kongress dennoch ke

- VON KARL DOEMENS

Washington Die Schweigemi­nute für die Opfer des Massakers von Uvalde war gerade beendet, als am Samstag auf der National Mall in Sichtweite des Weißen Hauses kurz Panik ausbrach. Ein Mann war über eine Absperrung in Richtung der Bühne gestürmt und hatte dabei wilde Parolen gebrüllt. Als einige Umstehende das Wort „Waffe“hörten, ergriffen sie eilig die Flucht und lösten damit eine Welle aus. Sekunden später rannten Hunderte zur Seite auf ein Gitter zu. Sie verloren Handys, Plakate und Habseligke­iten. Einige stürzten zu Boden. Andere wurden gegen den Zaun gepresst.

Glückliche­rweise dauerte der Horror nur eine Minute. „Rennen Sie nicht! Es gibt keinen Grund!“, gab eine Rednerin über die Lautsprech­eranlage schnell Entwarnung.

Der Randaliere­r wurde von der Polizei festgenomm­en und abgeführt. Über seine Motive gab es zunächst keine Informatio­nen. Bewaffnet war er offenbar nicht. Der Schock aber verflog nicht so schnell. Jungen Frauen und Männern standen die Tränen in den Augen. Andere fielen sich in die Arme. Ältere Besucher verließen verängstig­t die Demonstrat­ion. Eindrückli­cher hätte man die Verstörung der amerikanis­chen Gesellscha­ft durch die allgegenwä­rtige Waffengewa­lt, die beim „March of Our Lives“eigentlich angeprange­rt werden sollte, nicht verdeutlic­hen können. „Unglücklic­herweise hat sich jemand entschloss­en, die Angst, die wir jeden Tag spüren, anzufachen“, sagte einer der Veranstalt­er: „Alles ist in Ordnung. Wir werden weiter kämpfen.“

In zahlreiche­n Städten der USA waren am Samstag Menschen gegen

die Waffengewa­lt auf die Straße gegangen. Bei der zentralen Kundgebung in Washington forderten prominente Redner den Kongress auf, endlich strengere Gesetze zu beschließe­n. „Genug ist genug“, sagte die Washington­er Bürgermeis­terin

Muriel Bowser. Das Parlament müsse endlich die Bürger und die Kinder schützen. Bei der Massenschi­eßerei in der texanische­n Kleinstadt Uvalde hatte am 24. Mai ein 18-Jähriger mit einem Sturmgeweh­r in einer Grundschul­e 19 Kinder

und zwei Lehrer erschossen. „Wenn unsere Regierung nichts tun kann, um zu verhindern, dass 19 Kinder in ihrer eigenen Schule getötet, abgeschlac­htet und enthauptet werden, ist es an der Zeit, die Regierung zu wechseln“, sagte David Hogg, ein Überlebend­er des Massakers an der Schule in Parkland im Jahr 2018. Aufgrund des damals Erlebten hatten Hogg und andere Mitschüler die Bewegung „March of Our Lives“gegründet. Zum ersten großen Protestmar­sch 2018 kamen rund 200.000 Menschen in die Hauptstadt. Am Samstag fanden sich bei regnerisch­em Wetter und Konkurrenz durch die Pride-Parade rund um das Washington Monument statt der von den Veranstalt­ern erwarteten 50.000 nur etwa 30.000 Demonstran­ten ein.

Im Kongress stehen die Chancen für eine spürbare Verschärfu­ng des

Waffenrech­ts denkbar schlecht. Zwar hat das demokratis­ch dominierte Repräsenta­ntenhaus die Heraufsetz­ung des Mindestalt­ers für den Kauf halbautoma­tischer Sturmgeweh­re von 18 auf 21 Jahre und ein Verbot von Magazinen mit hoher Kapazität beschlosse­n. Doch selbst für ein „Red Flag“-Gesetz, das es der Polizei erlaubt, mit richterlic­her Anordnung die Schusswaff­en von psychisch gefährdete­n Personen einzuziehe­n, stimmten nur fünf Republikan­er. Im kleineren Senat bräuchten die Demokraten mindestes zehn Stimmen von Republikan­ern. Die Anhebung der Altersgren­ze oder ein Verbot von halb automatisc­hen Sturmgeweh­ren gelten dort als chancenlos. Es ist nicht einmal klar, ob sich die Kammer auf eine verpflicht­ende polizeilic­he Überprüfun­g von Waffenkäuf­ern einigen kann.

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Foto: Jose Luis Magana, AP/dpa „Schützt Kinder, nicht Waffen“, fordern Demonstran­ten in der US‰Hauptstadt Wa‰ shington.

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