Augsburger Allgemeine (Land West)
Schock nach der Schweigeminute
USA Bei der Washingtoner Demonstration für schärfere Waffenrechte löst ein Randalierer kurzzeitig Panik aus. Der Vorfall demonstriert die Verstörung der Gesellschaft durch die allgegenwärtige Gewalt. Ein Verbot von Sturmgewehren hat im Kongress dennoch ke
Washington Die Schweigeminute für die Opfer des Massakers von Uvalde war gerade beendet, als am Samstag auf der National Mall in Sichtweite des Weißen Hauses kurz Panik ausbrach. Ein Mann war über eine Absperrung in Richtung der Bühne gestürmt und hatte dabei wilde Parolen gebrüllt. Als einige Umstehende das Wort „Waffe“hörten, ergriffen sie eilig die Flucht und lösten damit eine Welle aus. Sekunden später rannten Hunderte zur Seite auf ein Gitter zu. Sie verloren Handys, Plakate und Habseligkeiten. Einige stürzten zu Boden. Andere wurden gegen den Zaun gepresst.
Glücklicherweise dauerte der Horror nur eine Minute. „Rennen Sie nicht! Es gibt keinen Grund!“, gab eine Rednerin über die Lautsprecheranlage schnell Entwarnung.
Der Randalierer wurde von der Polizei festgenommen und abgeführt. Über seine Motive gab es zunächst keine Informationen. Bewaffnet war er offenbar nicht. Der Schock aber verflog nicht so schnell. Jungen Frauen und Männern standen die Tränen in den Augen. Andere fielen sich in die Arme. Ältere Besucher verließen verängstigt die Demonstration. Eindrücklicher hätte man die Verstörung der amerikanischen Gesellschaft durch die allgegenwärtige Waffengewalt, die beim „March of Our Lives“eigentlich angeprangert werden sollte, nicht verdeutlichen können. „Unglücklicherweise hat sich jemand entschlossen, die Angst, die wir jeden Tag spüren, anzufachen“, sagte einer der Veranstalter: „Alles ist in Ordnung. Wir werden weiter kämpfen.“
In zahlreichen Städten der USA waren am Samstag Menschen gegen
die Waffengewalt auf die Straße gegangen. Bei der zentralen Kundgebung in Washington forderten prominente Redner den Kongress auf, endlich strengere Gesetze zu beschließen. „Genug ist genug“, sagte die Washingtoner Bürgermeisterin
Muriel Bowser. Das Parlament müsse endlich die Bürger und die Kinder schützen. Bei der Massenschießerei in der texanischen Kleinstadt Uvalde hatte am 24. Mai ein 18-Jähriger mit einem Sturmgewehr in einer Grundschule 19 Kinder
und zwei Lehrer erschossen. „Wenn unsere Regierung nichts tun kann, um zu verhindern, dass 19 Kinder in ihrer eigenen Schule getötet, abgeschlachtet und enthauptet werden, ist es an der Zeit, die Regierung zu wechseln“, sagte David Hogg, ein Überlebender des Massakers an der Schule in Parkland im Jahr 2018. Aufgrund des damals Erlebten hatten Hogg und andere Mitschüler die Bewegung „March of Our Lives“gegründet. Zum ersten großen Protestmarsch 2018 kamen rund 200.000 Menschen in die Hauptstadt. Am Samstag fanden sich bei regnerischem Wetter und Konkurrenz durch die Pride-Parade rund um das Washington Monument statt der von den Veranstaltern erwarteten 50.000 nur etwa 30.000 Demonstranten ein.
Im Kongress stehen die Chancen für eine spürbare Verschärfung des
Waffenrechts denkbar schlecht. Zwar hat das demokratisch dominierte Repräsentantenhaus die Heraufsetzung des Mindestalters für den Kauf halbautomatischer Sturmgewehre von 18 auf 21 Jahre und ein Verbot von Magazinen mit hoher Kapazität beschlossen. Doch selbst für ein „Red Flag“-Gesetz, das es der Polizei erlaubt, mit richterlicher Anordnung die Schusswaffen von psychisch gefährdeten Personen einzuziehen, stimmten nur fünf Republikaner. Im kleineren Senat bräuchten die Demokraten mindestes zehn Stimmen von Republikanern. Die Anhebung der Altersgrenze oder ein Verbot von halb automatischen Sturmgewehren gelten dort als chancenlos. Es ist nicht einmal klar, ob sich die Kammer auf eine verpflichtende polizeiliche Überprüfung von Waffenkäufern einigen kann.