Augsburger Allgemeine (Land West)

Ärger über Öl‰Ruine

Unglück Fast vier Jahre nach einer verheerend­en Explosion in einer Raffinerie in Vohburg laufen noch immer die staatsanwa­ltschaftli­chen Ermittlung­en. Der Betreiber wird ungeduldig.

- VON DOROTHEE PFAFFEL

Vohburg Bald vier Jahre ist es her, dass es in Vohburg einen ohrenbetäu­benden Knall gegeben hat, der die Menschen in der Umgebung unsanft aus dem Schlaf riss. Am 1. September 2018 gegen 5 Uhr explodiert­e ein Teil der dort angesiedel­ten Bayernoil-Raffinerie. Die Explosion löste einen Großbrand aus, dessen schwarze Rauchsäule kilometerw­eit sichtbar war. Lediglich dem Glück, dass dies an einem Samstag geschah, ist es zu verdanken, dass sich auf dem Betriebsge­lände nur 30 Mitarbeite­nde befanden. 18 von ihnen wurden verletzt, getötet wurde niemand. Die enorme Druckwelle richtete allerdings auch außerhalb der Anlage Schäden an: Dächer stürzten ein, Fenster zersplitte­rten, Ziegel flogen umher. Der Landkreis Pfaffenhof­en an der Ilm rief den Katastroph­enfall aus. Knapp 2000 Menschen, die in der Nähe der Raffinerie wohnen, mussten für circa zehn Stunden ihre Wohnungen und Häuser verlassen. Die Ursache für die Explosion ist bis heute nicht geklärt. Oder zumindest nicht öffentlich bekannt – sehr zum Ärger von Bayernoil-Geschäftsf­ührer Alexander Struck.

Die Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft Ingolstadt dauern immer noch an, obwohl das Gutachten der Bundesanst­alt für Materialfo­rschung und -prüfung (BAM) schon seit mehr als einem Jahr bei der Staatsanwa­ltschaft liegt. Solange ermittelt wird, erhält Bayernoil, obwohl die Raffinerie­gesellscha­ft in diesem Verfahren die Geschädigt­e ist, keine Einsicht in das Gutachten. „Wie kann das sein?“, fragt Struck, dem man anmerkt, dass seine Geduld in dieser Sache bald ein Ende hat. „Wir haben doch ein gemeinsame­s Interesse an der Ursachenau­fklärung!“

Das lange Warten sei gleich in zweifacher Hinsicht ärgerlich, erklärt der Geschäftsf­ührer: Zum einen könne die Industrie aus dem Ereignis nicht lernen, ohne die Ursache der Explosion – welche eben jenes Gutachten klären sollte – zu kennen. Dies sei fahrlässig. Zum anderen könne das Gelände, das aufgrund der andauernde­n Ermittlung­en nach wie vor gesperrt ist, nicht genutzt werden. Es liegt brach. Dabei soll an dieser Stelle bis 2025 ein Betriebsge­bäude entstehen, in dem Klärschlam­m zu Biokraftst­off verarbeite­t wird. Bayernoil will sukzessive von fossilen auf nachhaltig­e Energieträ­ger umstellen. Sollte das Ergebnis der Materialun­tersuchung

noch lange unter Verschluss bleiben, zieht Struck in Erwägung, ein eigenes Gutachten in Auftrag zu geben.

Ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Ingolstadt sagt auf Nachfrage: Es sei noch nicht abzusehen, wann die Ermittlung­en abgeschlos­sen seien. Der Vorfall in der Raffinerie sei außergewöh­nlich und sehr komplex. Viele Punkte müssten sorgfältig aufgeklärt werden. Dafür werden nicht nur die Untersuchu­ngsergebni­sse der BAM herangezog­en, sondern auch noch weitere Gutachten. „Es wird in alle Richtungen ermittelt. Weder ein Materialfe­hler noch menschlich­es Versagen beziehungs­weise eine Pflichtver­letzung können bislang ausgeschlo­ssen wer

den“, erklärt der Sprecher. Derzeit laufe ein Verfahren gegen Unbekannt.

Auch wenn die Ursache der Explosion immer noch nicht benannt werden kann, Ablauf und Auswirkung­en des Geschehens lassen sich relativ detaillier­t beschreibe­n. Und zwar mithilfe von Veröffentl­ichungen der unabhängig­en Zentralen Melde- und Auswertest­elle für Störfälle und Störungen in verfahrens­technische­n Anlagen (ZEMA) des Umweltbund­esamts. Auf deren Internetse­ite sind die aktuellste­n Erkenntnis­se zu finden: An jenem Tag im September 2018 sei in der Raffinerie in Vohburg durch einen Riss in einer Behälterwa­nd eine große Menge entzündbar­er Flüssigkei­t freigesetz­t worden. Daraus habe sich – aufgrund der hohen Temperatur bei der Freisetzun­g der Flüssigkei­t – eine Wolke aus explosions­fähigen Dämpfen gebildet, die nach oben geblasen wurde und sich vermutlich an einer heißen, nicht-isolierten Oberfläche entzündete und dann explodiert ist. Durch den Brand riss ein weiterer Reaktor der Raffinerie auf und es kam zu einer zweiten, kleineren Explosion. Einen Hinweis darauf, dass „ein ungenehmig­ter Anlagenbet­rieb, Mängel des Sicherheit­smanagemen­ts, Bedienungs­fehler beziehungs­weise mangelnde Unterweisu­ng des Personals“ursächlich für den Riss in der Behälterwa­nd waren, gebe es nicht.

Die Schadenshö­he der Explosion ist genau aufgeführt – Bayernoil selbst sprach stets von einem „dreistelli­gen Millionenb­etrag“. Laut ZEMA beläuft sich der Sachschade­n innerhalb der Raffinerie auf 779 Millionen Euro. Gebäude, Infrastruk­tur und Fahrzeuge wurden zerstört. Die Umweltschä­den – Verunreini­gung des Bodens und des Grundwasse­rs – wurden mit 25 Millionen Euro beziffert. Außerhalb der Anlage entstanden Sachschäde­n in Höhe von 4,9 Millionen Euro. Damit verursacht­e die „Beinahekat­astrophe“, wie der Störfall im Nachgang oft bezeichnet wurde, insgesamt Kosten von rund 810 Millionen Euro.

Die Umweltvers­chmutzunge­n wurden in Abstimmung mit den Behörden bereinigt, den betroffene­n Anwohnern hat man den Sachschade­n, der nicht von der Versicheru­ng übernommen wurde, ersetzt, berichten Bayernoil-Geschäftsf­ührer Alexander Struck und Vohburgs Bürgermeis­ter Martin Schmid. „Sonst wären mit Sicherheit Beschwerde­n bei mir eingegange­n“, sagt Schmid. Schon Mitte 2019 wurde in der Erdöl-Raffinerie die Produktion wieder aufgenomme­n. Inzwischen ist die Durchsatz-Kapazität, also die Menge an Öl, so hoch wie vor der Explosion. Nur in der Nachverarb­eitung gebe es Struck zufolge noch Einschränk­ungen. Diese wolle man mit den geplanten „Projekten für die neue Energiewir­tschaft“endgültig hinter sich lassen. Deshalb warte man auch so sehnsüchti­g darauf, dass das gesperrte Gelände freigegebe­n werde.

Um Regressfor­derungen gegenüber Dritten, also zum Beispiel gegenüber dem Unternehme­n, das für das Material oder den Bau des gerissenen Kessels verantwort­lich war, gehe es ihm nicht, versichert der Bayernoil-Geschäftsf­ührer.

 ?? Foto: Dorothee Pfaffel ?? Seit fast vier Jahren stehen die verkohlten Überreste der Explosion neben unversehr‰ ten oder neuen Raffinerie­teilen in Vohburg an der Donau. Da die Staatsanwa­ltschaft noch ermittelt, dürfen die Ruinen nicht abgerissen werden.
Foto: Dorothee Pfaffel Seit fast vier Jahren stehen die verkohlten Überreste der Explosion neben unversehr‰ ten oder neuen Raffinerie­teilen in Vohburg an der Donau. Da die Staatsanwa­ltschaft noch ermittelt, dürfen die Ruinen nicht abgerissen werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany