Augsburger Allgemeine (Land West)
Den Krieg überstanden, fürs Leben verloren
Premiere Das Staatstheater Augsburg spielt mit „Ugly Lies The Bone“ein Stück über eine Afghanistan-Heimkehrerin.
Augsburg Den Krieg am eigenen Leib erfahren zu haben, das ist hierzulande die Ausnahme. Veteranen der Bundeswehr können von ihrem Afghanistan-Einsätzen erzählen. Oder aber: Wir hören denjenigen zu, die vor Kämpfen nach Deutschland geflüchtet sind. Und es fällt schwer, die Traumata zu verstehen, die Menschen davongetragen haben. Wie sehr der Krieg Menschen verändern und zerstören kann, erzählt zum Beispiel Lindsay Ferrentinos Drama „Ugly Lies The Bone“.
Das Regie-Duo Nicole Schneiderbauer und David Ortmann hat das 90-minütige Drama für das Staatstheater Augsburg auf der Brechtbühne als deutschsprachige Erstaufführung in Szene gesetzt. Bei der Auswahl des Stoffes, der 2015 in New York uraufgeführt wurde, galt der Blick sicher noch dem schmählichen Ende des 20-jährigen deutschen Afghanistan-Einsatzes. Nun hat der Krieg durch den russischen Angriff auf die Ukraine eine neue Bedeutung und Nähe bekommen.
Eine Kriegsveteranin steht in Ferrentinos „Ugly Lies The Bone“im Mittelpunkt. Sie ist noch nicht lange zurückgekehrt, lebt mit ihrer Schwester im Haus der Mutter, ist schwer traumatisiert und schwerer verletzt durch Verbrennungen. Jess kehrt nicht als dieselbe zurück, die sie war. Schon damit klarzukommen, wäre Herausforderung genug für sie. Fast unmöglich wird die Rückkehr in die Normalität für sie allerdings in Momenten, in denen sie schmerzhaft erfährt, dass sich auch die Welt, die sie verlassen hat, verändert hat, dass dieses Florida in der Nähe der Weltraumstation nicht mehr dasselbe ist. Ihre Schwester Kacie (Katja Sieder als tapferes AllAmerican-Girl) hat einen Freund Kelvin, der vor lauter Selbstbewusstsein kaum noch in seine Cowboy-Schuhe passt (wunderbar Sebastian Müller-Stahl). Jess’ Ex Stevie (Julius Kuhn) hat eine andere geheiratet und weiß jetzt nicht, wie er mit Jess umgehen soll: Ist da noch Liebe in ihm oder nur Mitleid oder ein schlechtes Gewissen? Und Jess’ Mutter ist nicht mehr, das heißt, sie hat Alzheimer, lebt im Heim und erinnert sich nur noch an wenig.
Um mit ihrem Leben und den Schmerzen wieder klarzukommen, macht Jess eine Therapie. Ihr Operator (immer sachlich Florian Gerteis) behandelt sie mit einem Programm, dass ein Körpertraining in der virtuellen Welt vorsieht. Der spezielle Augsburger Inszenierungsdreh ist es, die Sitzungen als virtuelle Inszenierungspunkte mit ins Spiel zu holen. Das Publikum setzt sich drei Mal an dem Abend VR-Brillen auf und sieht dort die künstliche Jess, ihren Avatar, wie er ausgesucht wird, wie er sich bewegen soll, wie er sich in eine unangenehme Situation bringt. Das sind räumliche Grafiken mit Computerspiel-Optik und eine Welt aus Quadern, die mal eine Felswand ergeben und mal wie Geschosse umherschwirren (VR-Regie Alice Asper).
Gerade das bringt interessante Doppelungen ins Spiel: Denn Jess, die existenziell Verletzte, kann das Einfache des Alltags, das Blabla des Lebens, kaum ertragen, etwa, ob die Brokkoli für alle reichen oder nicht. Sie lebt immer noch im Modus von Leben und Tod, will deshalb auch Kacies Freund Kelvin, den sie mit ihrem Armee-Blick als Nichtsnutz einstuft, vertreiben. Ein einfaches Gespräch mit ihrem Ex kommt immer einem Ritt auf der Rasierklinge gleich, in dem jeden Moment alles kippen kann. Harmlos gibt es bei ihr nicht. Andersherum muss Jess, das sieht man in der VR-Welt, die einfachsten Dinge wieder lernen, was dann wiederum anderen kaum einleuchten will.
Bühne (Denise Leisentritt) und Regie unterstreichen, wie unmöglich Nähe geworden ist. Das Haus besteht aus zwei Hälften, die Figuren bleiben immer auf Abstand. Das „Welcome Home“über allem wirkt 90 Minuten lang wie reine Ironie. Dank der Schauspielerin Christina Jung versinkt man als Zuschauerin oder Zuschauer an diesem Abend nicht in reine Depression, ihre Jess kämpft gegen all diese mit großer innerer Stärke, sie strahlt in ihrem Unglück noch Souveränität aus. Aber wenn sie dann zu diesem quälenden Satz kommt, der im Hintergrund immer spürbar ist, nämlich, dass das alles einen Sinn gehabt haben muss, einen Sinn ergeben muss, spürt man das Nichts, in den die Menschen durch Kriege gerissen werden. Und für was, fragt man sich heute mit dem Blick auf die Ukraine? Zu Recht gebührt dann der stärkste Applaus auch ihr, Christina Jung, und ihrem Vermessen eines Kriegstraumas.