Augsburger Allgemeine (Land West)

Risiko Körpergröß­e

Ratgeber Die einen sind groß, die anderen klein. Für welche Erkrankung­en das sehr relevant zu sein scheint.

- Alice Lanzke, dpa

Ob groß oder klein: Die Körpergröß­e eines Menschen erhöht das Risiko für bestimmte Krankheite­n. Das berichten US-Forscher im Fachblatt PLOS Genetics. Dabei spielen nicht nur die Gene eine Rolle, sondern auch sozioökono­mische Faktoren und vor allem die Umwelt, wie ein deutscher Experte betont.

Die Menschen werden immer größer: Betrug die Durchschni­ttsgröße deutscher Männer 1896 noch gut 1,67 Meter, waren es 2017 fast 1,80 Meter. Bei den Frauen kletterte der Wert im gleichen Zeitraum von 1,56 auf 1,66 Meter – eine Entwicklun­g, die sich nahezu weltweit zeigt. Gleichzeit­ig wird immer deutlicher, dass es einen Zusammenha­ng zwischen der Körpergröß­e und bestimmten Erkrankung­en gibt. So ergab eine deutsche Untersuchu­ng 2019, dass kleine Menschen ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes haben, während eine schwedisch­e Analyse 2017 ein höheres Thromboser­isiko für große Menschen belegte. Diese erkranken zudem MetaAnalys­en zufolge etwas häufiger an Krebs.

Unklar ist allerdings, ob die Körpergröß­e selbst das eigentlich­e Risiko darstellt oder aber Faktoren, die sich auf diese auswirken. Daher untersucht­e nun ein Team um den Mediziner Sridharan Raghavan von der University of Colorado Zusammenhä­nge zwischen verschiede­nen Krankheite­n und der tatsächlic­hen Körpergröß­e einer Person sowie der aufgrund ihrer Genetik vorhergesa­gten Körpergröß­e.

Anhand einer Datenbank, die genetische und gesundheit­liche Informatio­nen enthält, analysiert­e das Team die Informatio­nen zu mehr als 250.000 Erwachsene­n auf mehr als 1000 Krankheite­n und Merkmale. Die Auswertung bestätigt zum einen, dass große Menschen ein höheres Risiko für Vorhofflim­mern und Krampfader­n haben und ein geringeres Risiko für koronare Herzkrankh­eiten, Bluthochdr­uck und hohes Cholesteri­n.

Zudem ergab die Studie neue Zusammenhä­nge: Demnach haben große Menschen ein erhöhtes Risiko für periphere Neuropathi­e, die durch Nervenschä­den an den Extremität­en verursacht wird, sowie für Haut- und Knocheninf­ektionen wie Bein- und Fußgeschwü­re. Insgesamt gebe es Hinweise darauf, dass die Körpergröß­e von Erwachsene­n über hundert klinische Merkmale beeinfluss­en könne, wird Raghavan in einer Mitteilung zitiert. Darunter seien mehrere Erkrankung­en, die mit geringerer Lebenserwa­rtung und schlechter­er Lebensqual­ität verbunden seien. Dass die Körpergröß­e ein Risikofakt­or für mehrere häufige Erkrankung­en bei Erwachsene­n sei, müsse allerdings in weiteren Studien bestätigt werden.

Für Norbert Stefan, Professor für klinisch-experiment­elle Diabetolog­ie am Universitä­tsklinikum Tübingen, ist das Ergebnis keine Überraschu­ng:

Seit Jahren sei bekannt, dass zahlreiche Gene bestimmten, wie groß oder klein ein Mensch werde. Eben jene Gene seien aber nicht nur mit der Körpergröß­e, sondern auch mit anderen Vorgängen im Körper verbunden und damit direkt oder indirekt mit bestimmten Krankheits­risiken.

„Dennoch sollte die Genetik nicht überbewert­et werden“, betont der Mediziner, auch sozioökono­mische Faktoren könnten eine Rolle spielen: Große Menschen hätten Studien zufolge häufig einen höheren sozialen Status. Der gehe damit einher, dass sie weniger stark von bestimmten Volkskrank­heiten betroffen seien.

Noch stärker würden sich wahrschein­lich Umweltfakt­oren auswirken, so Stefan mit Blick auf China, wo die Körpergröß­e seit Jahren zunehme: „Ein Grund dafür ist, dass die Menschen dort immer mehr Milch- und Molkeprodu­kte konsumiere­n, welche die Gene IGF-1 und IGF-2 aktivieren und das schon im Mutterleib.“Diese Gene würden das Körperwach­stum treiben und – einmal aktiviert – lebenslang aktiv bleiben. IGF-1 fördere das Zellwachst­um, was das erhöhte Risiko großer Menschen für bestimmte Krebsarten erkläre.

Eine stärkere IGF-1-Aktivierun­g sorge aber auch dafür, dass Fette in den Organen besser verbrannt würden. Daher zeige sich bei großen Menschen seltener eine Fettleber, sagt Stefan unter Verweis auf eigene Untersuchu­ngen. Da sie gleichzeit­ig aufgrund ihrer längeren Gliedmaßen über eine stärkere Hebelwirku­ng

verfügten und so bei jeder Bewegung mehr Energie verbrennen, sei ihr Risiko für Typ-2-Diabetes und Herzinfark­t geringer.

Allerdings bedeuteten lange Extremität­en auch lange Beinvenen – das Blut müsse so mit einen längeren Weg zum Herzen gepumpt werden, was das Risiko für Thrombosen erhöhe. Entspreche­nd sollten sich insbesonde­re große Menschen bei Langstreck­enflügen oder langen Autofahrte­n regelmäßig bewegen, genug trinken und im Flieger Stützstrüm­pfe tragen.

Bei kleinen Menschen sei hingegen das Risiko für Typ-2-Diabetes und Herzinfark­t größer – und zwar unabhängig von der jeweiligen Körperfett­masse: „Nehmen diese Menschen zu, ist ihr Risiko deutlich ausgeprägt­er als bei großen Menschen, die dicker werden“, unterstrei­cht der Diabetolog­e: „Je kleiner, desto bewegliche­r sollte man also sein.“

Die Körpergröß­e sei im klinischen Alltag ein stark unterschät­ztes Thema, das mehr Aufmerksam­keit verdiene, sagt Stefan: „Deswegen sind Arbeiten wie die aktuelle Studie so wichtig.“Obwohl es schon einige solche Veröffentl­ichungen gebe, werde aus der Körpergröß­e in der Praxis nur in den seltensten Fällen eine medizinisc­he Schlussfol­gerung gezogen: „Da die Menschen aber immer größer werden, ist das ein Problem, denn diese Zusammenhä­nge werden weiter an Bedeutung gewinnen.“

 ?? Foto: Marcel Kusch, dpa (Symbolbild) ?? Große Menschen sollten sich bei Langstreck­enflügen in den Urlaub regelmäßig bewe‰ gen, da sie ein höheres Thromboser­isiko haben.
Foto: Marcel Kusch, dpa (Symbolbild) Große Menschen sollten sich bei Langstreck­enflügen in den Urlaub regelmäßig bewe‰ gen, da sie ein höheres Thromboser­isiko haben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany