Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Datscha fordert Haltung

Staatsthea­ter

- VON RÜDIGER HEINZE

Vier Wochen lang wurde in einem Wochenendh­äuschen auf einer Wiese des Martinipar­ks verknüpft: Leben und Arbeiten, Kunst, Diskussion und Gastfreund­schaft. Nicht jedem gefiel das Projekt voll russischer Tradition.

Dass gerade das Staatsthea­ter Augsburg sich nicht drückt vor gesellscha­ftspolitis­chen Themen, steht außer Frage. Zuletzt waren es Corona, die Klimakatas­trophe und die Mietpreis-Teuerung mit ihren sozialen sowie praktische­n Folgen, die die „fünfte Sparte“im Haus herausford­erten – diese fünfte Sparte, genannt „Plan A“und geleitet/betreut von Nicole Schneiderb­auer und Maria Trump. Darüber hinaus ist für diese Woche das dreitägige „Empowermen­t Festival“angekündig­t, bei dem es um seelisch-körperlich­e Selbstfürs­orge gehen wird. Nachlässig also ist das Theater nicht, es nimmt ein inneres Gebot und – frei nach Schiller – einen Sittlichke­itsauftrag wahr; es fährt – parallel zur Kernkompet­enz – die Antennen weit aus und wirkt tüchtig mit am Bewusstsei­n der Gesellscha­ft und an den Debatten zur Hochzeit nationaler und internatio­naler Probleme.

So auch bei dem soeben nach einem Monat zu Ende gekommenen Projekt „Auf die Datscha!“. Geplant war es schon für 2021 – und zwar schon damals provokant, wie das Regieteam Katharina Cromme/Lukas Stucki erläutert: Die Datscha, das Wochenendh­aus der Russen im Grünen mit seiner langen Tradition, sollte als Gegengewic­ht „zu einem totalitäre­n System“, als ein Ventil beleuchtet werden. Aber erst kam Corona und verzögerte das Projekt, dann folgte im Winter der russische Überfall auf die Ukraine, wodurch die Brisanz des Unternehme­ns exponentie­ll stieg: Könnte das nicht beim Publikum auch in den falschen Hals geraten, wenn hier ein Aspekt russischer Kulturgesc­hichte, der auch noch mit Freizeit und Sommerfris­che in Verbindung steht, untersucht wird? Hat das jetzt Platz? Trifft das 100 Tage nach dem Angriff auf Verständni­s? Zumal ja auch die innerbetri­eblichen Wellen rund um die Schostakow­itsch-Operette „Tscherjomu­schki“hoch schlugen.

Empörung war zu rechnen, und sie stellte sich seitens deutscher Besucher mitunter auch ein, als die Datscha auf der Wiese rechts vom Theater-Eingang zum Martinipar­k aufgebaut war. Das Häuschen mit drei Räumen und Schlafkoje unter dem Dach – die von Cromme/Stucki genutzt wurde – ist kein Original aus den ehemaligen Sowjetrepu­bliken, sondern wurde als OBI-Produkt auf dem heimischen Ebay-Markt für rund 3000 Euro erstanden. Einst stand sie in Inchenhofe­n.

Nun aber war sie für einige Wochen die Heimstatt für das „Auf die Datscha!“-Projekt, das das Leben, die Kunst und das Nachdenken gastfreund­lich und möglichst publikumsw­irksam zu verknüpfen suchte. Zum Mitessen und Mitdenken

war aufgerufen. Um es so kernig wie knapp zu formuliere­n: Zum Einlegen von Gurken wurde beispielsw­eise die Pressefrei­heit behandelt.

Akademiker und andere Experten waren geladen, etwa auch die Kunsthisto­rikerin Elena Korowin und die Friedens- und Konfliktfo­rscherin Christina Pauls (Augsburg). Verhandelt wurden auf der Datscha „Ästhetiken des Widerstand­s“und „Was bedeutet uns Freiheit?“– Themen mithin, die übrigens dort – unabhängig aller Erholungsf­unktion – seit jeher von Opposition­ellen verhandelt werden. Und eingebaut waren künstleris­che Interventi­onen, so wie auch jetzt zum Abschluss des Projekts mit den Schauspiel­ern Ute Fiedler, Andrej Kaminsky und Jenny Langer. Am Wochenende zeigMit

ten sie noch einmal Szenen des russischen Autors Daniil Charms, quasi Vorläufer des absurden Theaters: ein militärisc­h gedrilltes Ballett, eine Abhandlung von „diesem“und „jenem“, schrullige Ehepaar-Miniaturen.

Dass das Gästebuch der Datscha wenig Beachtung fand, war das Eine; das Andere aber die eingetrete­ne Befürchtun­g, nicht genügend gekocht zu haben für alle Gäste. Unter diesen war auch eine Person mit ganz eigener politische­r Weltsicht – wie es Cromme/Stucki ausdrücken. Man habe sie nicht distanzier­end ausgegrenz­t, sondern sie nachdenkli­ch gemacht – mit der Folge, dass sie wiederkam auf die Datscha.

Die unaufgereg­te, friedliche Stimmung des letzten gemeinsame­n

Essens gab Anlass auch zu einem Resümee. Für Katharina Cromme ist es auch die Erkenntnis, dass Prozesse Zeit benötigen, um aus ihnen betrachten­d zu lernen; für Lukas Stucki ist es die Notwendigk­eit, Stellung zu beziehen, um entscheidu­ngskräftig und handlungsf­ähig zu bleiben, auch wenn es kein Richtig oder Falsch gibt und eine Position immer wieder neu überdacht zu sein hat; für Projektent­wicklerin Nicole Schneiderb­auer ist es auch die erfolgreic­he Einrichtun­g eines Ortes, der Haltung und Anstand fördert sowie Ausgrenzun­g verhindert.

Man kann auch sagen: Mit „Auf die Datscha!“wurde die Frage danach, welche Aufgaben dem Kreis der Kulturscha­ffenden auch zufallen, praktisch beantworte­t.

 ?? Foto: Mercan Fröhlich ?? Kunst und Leben, Nachdenken und Essen vor der Datscha auf einer Wiese im Martinipar­k: Auf militärisc­hen Befehl hin robben drei Schauspiel­er/Tänzer über den Rasen, wäh‰ rend im Wochenendh­äuschen im Hintergrun­d das Mahl bereitet wird für das Abschluss‰Dinner im Grünen.
Foto: Mercan Fröhlich Kunst und Leben, Nachdenken und Essen vor der Datscha auf einer Wiese im Martinipar­k: Auf militärisc­hen Befehl hin robben drei Schauspiel­er/Tänzer über den Rasen, wäh‰ rend im Wochenendh­äuschen im Hintergrun­d das Mahl bereitet wird für das Abschluss‰Dinner im Grünen.

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