Augsburger Allgemeine (Land West)
Warum manche Ärzte Geflüchtete nicht behandeln
Ärger
Immer wieder berichten Helferinnen und Helfer, dass Mediziner eine Untersuchung von Menschen aus der Ukraine ablehnen. Eine Anwältin erklärt, woran das liegen könnte.
Wer Zahnschmerzen hat, geht zum Zahnarzt und bekommt dort eine adäquate Behandlung. Dieser Grundsatz gilt eigentlich auch für Flüchtlinge. Doch dass auch hier die Tücken im Detail liegen können, müssen Flüchtlinge aus der Ukraine immer wieder erleben. Immer wieder berichten Helfer von in ihren Augen unverständlichen Fällen, wo Ärzte scheinbar die Hilfe verweigern.
Beim morgendlichen Haferbrei hat die Krone einer Ukrainerin endgültig nachgegeben – zurück blieb ein Stahlstift, welcher der Frau aus dem Kiefer ragte. Kein Notfall, wie der Zahnarzt der ratlosen Patientin mitteilte, erzählt Natalija Blobel, die gerade viel Zeit damit verbringt, Flüchtlingen in solchen Fällen als Übersetzerin zur Seite zu stehen. Die Frau hatte zwar einen Arztbehandlungsschein, wie er in solchen Fällen von der Stadt ausgestellt wird – doch der gilt eben nur für Notfälle. „Wie kann es sein, dass eine herausgebrochene Krone kein Notfall ist?“, fragt sie sich. Und auch, warum der Behandlungsschein nicht wie ein deutscher Krankenschein anerkannt wird.
Susann-Mareen Theune-Vogelsang berichtet, dass eine Augsburger Zahnklinik die Behandlung einer an Schmerzen leidenden Ukrainerin ganz verweigert habe – weil die Frau weder eine Krankenversicherung noch eine Kostenübernahmeerklärung vorlegen konnte. Der Hinweis, dass die Frau mit akuten Zahnschmerzen erst drei Wochen nach Ankunft einen Registrierungstermin bekommen habe und die Klinik ihr Geld ja bekommen würde, interessierte dort niemanden, berichtet die Helferin erbost, die selbst Ärztin ist und das Verhalten ihrer Kollegen unmöglich findet.
Und eine an Aids erkrankte Pa
tientin aus der Ukraine, der die Medikamente auszugehen drohten, bekam in Augsburg von mehreren Ärzten Absagen – keiner konnte oder wollte ihr auf die Schnelle helfen. „Ich habe den hippokratischen Eid immer so gesehen, dass Ärzte Menschen in Not helfen, auch wenn das Geld erst ein paar Tage später kommt „, wundert sich die Helferin.
Schilderungen wie diese kennt die Augsburger Anwältin Patricia Trombi zur Genüge. Seit Beginn der Krise engagiert sie sich für ukrainische Flüchtlinge und hilft bei Bedarf auch mit ihren Rechtskenntnissen weiter. Weil sie auch an der Universität Augsburg Studentinnen und Studenten berät, kennt sie die Probleme, die Ausländer häufig mit den deutschen Vorschriften bekommen können.
Ein Problem sei, dass viele Helfer mit falschen Erwartungen an die Sache herangingen, glaubt die Anwältin. „Die Helferinnen und Helfer
sich für die Flüchtlinge ein und wollen natürlich, dass alles möglichst schnell und unbürokratisch erledigt wird“, ist ihre Erfahrung. Spätestens, wenn sie mit der Stadt oder dem Landkreis zu tun haben, prallen dann Welten aufeinander. Denn „schnell und unbürokratisch“seien Begriffe, die im deutschen Verwaltungshandeln nur bedingt vorgesehen seien.
„Die Hilfe für die Menschen aus der Ukraine ist gut angelaufen, aber sie ist kein Sprint, sondern ein Marathon“, versucht sie zu verdeutlichen. Wenn manches etwas länger dauert, würde bei vielen Helfern die Stimmung schnell kippen. Man dürfe nicht vergessen, dass für diese Flüchtlingslage bei der Stadt und den Landratsämtern keine Infrastruktur vorhanden war, nimmt die Anwältin die Behörden in Schutz. Wenn dann die Anmeldung, die Auszahlung von Übergangsgeld oder andere Leistungen etwas länger
dauerten, läge das nicht an unwilligen Beamten, sondern an der Struktur. „Ich habe in den vergangenen Wochen nur gute Erfahrungen gemacht – die Behörden tun, was sie können.“Und Gelder könnten die Behörden nie „unbürokratisch“auszahlen, weil sie über jeden Cent zum Nachweis verpflichtet seien.
Die Abrechnung von Behandlungsscheinen für Flüchtlinge sei ein bürokratischer Aufwand, den manche Arztpraxen mit ihrem Personal nicht stemmen können, weiß die Anwältin. Denn jede Behandlung muss einzeln mit dem Sozialamt abgerechnet werden. „Oft wissen die Mitarbeiterinnen in den Praxen nicht mal, wo sie diese Option in der Abrechnungssoftware finden“, so Trombi. Auch wenn eigentlich kein Notfall abgelehnt werden darf, gebe es dann eben auf Monate keinen freien Termin. Das sei nicht in Ordnung, aber verständlich. Mittlerweile gebe es im Stadtgebiet Arztsetzen
praxen, die sich auf die Flüchtlinge eingestellt haben und bei denen die Abwicklung gut funktioniere.
Dass man bei Fachärzten oft lange warten muss, gehe jedem Patienten so. Eine Sonderbehandlung für Flüchtlinge käme bei der Bevölkerung sicherlich auch nicht gut an, vermutet die Anwältin. Und unentgeltliche „Freundschaftsdienste“dürften die Ärzte schon wegen des Haftungsrechtes nicht anbieten.
Für die Patientinnen in Not haben sich letztendlich doch noch Lösungen gefunden. Für die herausgebrochene Krone fertigte ein Zahnarzt eine preiswerte Übergangslösung an, mit der die Frau wieder vernünftig essen kann. Und der an Aids erkrankten Frau vermittelte die Augsburger Aidshilfe einen Arzt, der ihrem Medikamentenproblem abhelfen kann, berichtet die Helferin. Woran man sieht – manchmal geht es dann doch schnell und unbürokratisch.