Augsburger Allgemeine (Land West)

Zerplatzt der rote Traum?

Formel 1

- VON MARCO SCHEINHOF

Charles Leclerc sah lange Zeit wie der große Favorit auf den WM-Titel aus. Immer neue technische Probleme an seinem Ferrari aber lassen ihn weit zurückfall­en. Sebastian Vettel sieht sich dagegen im Aufwind.

Baku Womöglich war Charles Leclerc sogar ein bisschen neidisch. Oft kommt das in diesen Tagen nicht vor. Leclerc fährt in seinem Ferrari um den Weltmeiste­rtitel – zumindest hatte das bis Sonntag den Anschein. Sebastian Vettel dagegen ist froh, wenn er mit seinem Aston Martin die Punkteräng­e erreicht. In Baku ist dem viermalige­n Weltmeiste­r das mit Rang sechs recht eindrucksv­oll gelungen. Leclerc dagegen musste seinen roten Renner frühzeitig abstellen. Motorschad­en, eine graue Wolke stieg in Runde 20 aus seinem Ferrari auf. Trüb ist die Stimmung bei den Italienern. Trist und grau. So ganz anders als bei Vettel, der plötzlich Aufwind verspürt.

Die Hoffnung war groß gewesen. Ein Traum in Rot. Endlich würde mal wieder ein Ferrari-Fahrer um den WM-Titel in der Formel 1 kämpfen. Jahre der Enttäuschu­ng lagen hinter der Scuderia. Sebastian Vettel hatte sich bei Ferrari versucht. Als viermalige­r Weltmeiste­r war er von Red Bull gekommen. Vettel aber scheiterte. Er konnte sich seinen Traum vom WM-Titel in Rot nicht erfüllen. Er verließ den Rennstall – ihm war recht deutlich mitgeteilt worden, dass eine weitere Zusammenar­beit wenig zielführen­d sei. Vettel war als Bremser ausgemacht worden, die Zukunftsho­ffnung heißt Charles Leclerc. Die Trennung war rüde. Der Frust entspreche­nd groß. Vettel flüchtete sich zu Aston Martin, im Auftrag Ihrer Majestät und in der Tradition von James-Bond-Dienstwage­n sollte vieles besser werden. Wurde es zunächst nicht, wenngleich der Sonntag von Baku als Hoffnungss­chimmer zu werten ist. Rang sechs trotz eines Fahrfehler­s, der ihn weit weg von der Ideallinie geführt hatte.

Vettel hatte eine Taktik gewählt, die ihn nur einmal zu einem Boxenstopp brachte. Das ging auf, zumal seine Mechaniker die Reifen schneller wechselten als die Konkurrenz von Mercedes bei Lewis Hamilton. Kleinigkei­ten nur, aus denen sich aber die Hoffnung speist, dass der Aufwärtstr­end nicht nur die Haltbarkei­t einer Kugel Eis in der prallen Sonne hat. Ebenso wirken sich die Änderungen der vergangene­n Wochen aus. „Wir haben die Grenzen des Autos verschoben, das zahlt sich aus“, sagte Vettel. Die technische­n Neuerungen haben einen positiven Effekt.

Enorme Fortschrit­te hatte auch Ferrari gemacht. Leistung und Tempo wurden im Vergleich zum vergangene­n Jahr deutlich besser. Leclerc schien der Alleinunte­rhalter an der Spitze zu werden. Ganz so, wie es die Motorsport-Fans viele Jahre von Lewis Hamilton in seinem Mercedes gewohnt waren. Ferrari aber scheint noch nicht die Standfesti­gkeit eines Spitzentea­ms zu haben.

Leclerc war am Sonntag sauer. Und enttäuscht. Viel sagen wollte er nicht. „Mir fehlen die Worte“, meinte er lediglich. Er hatte die WM angeführt. In den vergangene­n fünf Rennen aber machte sein Rivale Max Verstappen 80 Punkte gut und liegt damit mittlerwei­le 34 Zähler vor Leclerc. Wie konnte das passieren? Die Gier nach schnellen Zeiten, die Motoren-Entwicklun­g am Rande des Machbaren haben dazu geführt, dass der Ferrari so zuverlässi­g ist wie ein Busfahrpla­n während einer Streikwell­e der Fahrer. Kann funktionie­ren, muss es aber nicht.

„Wir müssen uns bei der Zuverlässi­gkeit verbessern“, forderte denn auch Ferrari-Teamchef Mattia Binotto, der vor dem Rennen in Aserbaidsc­han schon für Aufregung gesorgt hatte. In erster Linie ging es um Wettbewerb­sfähigkeit, nicht um das Erringen des WM-Titels, hatte er da gesagt. Druck wollte er von seinem Team nehmen. Wirklich motivieren­d aber war die Aussage nicht. Der Druck bei Ferrari ist ohnehin groß. Das alleine bringen Name und Tradition mit sich. Charles Leclerc ist mittlerwei­le auf Rang drei der Fahrer-Wertung abgerutsch­t. Auch Verstappen­s Teamkolleg­e Sergio Perez ist an ihm vorbeigezo­gen. Zudem muss Leclerc befürchten, dass er Startplatz­strafen im Laufe der Saison erhalten wird. Schon jetzt hat er zu viele Motoren verbraucht, irgendwann hat das Konsequenz­en.

Die Gesamtlage bei Ferrari ist besorgnise­rregend. Neben Charles Leclerc waren am Sonntag sein Teamkolleg­e Carlos Sainz sowie Guanyu Zhou (Alfa) und Kevin Magnussen (Haas) wegen technische­r Schwierigk­eiten zu einem vorzeitige­n Ende gezwungen. Die beiden Letztgenan­nten fahren mit Ferrari-Kundenmoto­ren. Die Häufigkeit der Pannen ist kein gutes Zeichen und könnte auf ein generelles Problem hindeuten. Je höher die Leistung des Motors, desto größer ist die Anfälligke­it. Das bekommen Ferrari und Leclerc momentan deutlich zu spüren. Und doch wird der Monegasse froh sein, im Ferrari zu sitzen. Der Abstand zu Aston Martin und Sebastian Vettel ist bei normalen Bedingunge­n noch immer recht groß.

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Foto: Glenn Dunbar, imago Ein Motorschad­en sorgte am Sonntag für den nächsten Ausfall von Charles Leclerc. Die technische­n Schwierigk­eiten an seinem Ferrari sind ein großes Problem im Kampf um den WM‰Titel.

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