Augsburger Allgemeine (Land West)

Studenten helfen Geflüchtet­en

Bildung Ukrainisch- und russischsp­rachige Studierend­e der Hochschule unterstütz­en Schüler aus der Ukraine. Sie sind dabei mehr als bloße Übersetzer.

- VON LEONHARD PITZ

Als hätte sie nie etwas anderes gemacht, steht Alisa Okhrimento vor der Klasse. Die ukrainisch­en Jugendlich­en lernen gerade die deutschen Namen von Zahlen, an der Tafel steht in Kreide eine „1024“. In dem Trubel aus ukrainisch­en Stimmen und deutschen Zahlenfolg­en könnte man fast vergessen, dass Okhrimento eigentlich einen völlig anderen Beruf hat. Die 30-Jährige studiert Kommunikat­ionsdesign im sechsten Semester an der Hochschule, doch zu den Schülerinn­en und Schülern hat sie eine besondere Verbindung: Auch sie kommt aus der Ukraine. Nun ist sie Teil eines hochschulw­eiten Projekts, dass geflüchtet­e ukrainisch­e Schülerinn­en und Schüler unterstütz­t.

Professor Michael Krupp, Initiator des Projekts „HSA_unite“, hat bereits Erfahrung mit und Kontakt zu den Schulen durch ein anderes Projekt, bei dem Hochschüle­r helfen, Lernlücken durch die Pandemie zu schließen. „Als bekannt wurde, dass viele ukrainisch­e Schüler zu uns kommen, die kein Deutsch können, war klar, dass wir diese sprachlich­e

Lücke kleiner machen müssen.“Daraufhin habe man mit dem Internatio­nal Office der Hochschule nach Studenten gesucht, die ukrainisch­e oder russische Mutterspra­chler sind.

Sie sollen nun an den Schulen helfen, indem sie übersetzen oder Gespräche mit den Eltern begleiten. Das Ganze hat dabei auch einen wissenscha­ftlichen Auftrag. „Wir erforschen auch die Integratio­nsbedarfe an den Schulen. Immer wenn die Studenten an den Schulen sind, notieren sie ganz grob die Überschrif­t, um was es geht“, erklärt Krupp. Aus diesen anonymisie­rten Daten ergebe sich dann ein Gesamtbild.

Für Alisa Okhrimento ist die Motivation deutlich weniger wissenscha­ftlich. Als der Krieg in ihrem Herkunftsl­and ausbrach, habe sie sich „nützlich“machen wollen. „Die Situation war so schrecklic­h und man wusste nicht, was man machen soll, und dann dachte ich: Hier kann ich wenigstens helfen.“Die gleiche Motivation brachte auch Valentyn Rybin, der Internatio­nal Management an der Hochschule studiert, zum Projekt. Der 20-Jährige

hilft den ukrainisch­en Schülerinn­en und Schülern an der St.-GeorgSchul­e auch in Fächern wie Mathe. Vor allem aber übersetzt er. „Ich habe Erfahrung damit, weil ich die Sprache auch gelernt habe und daher weiß, welche Dinge sie nicht verstehen.“Für seine Kommiliton­in Kateryna Kyzym geht es zudem darum, „das Gefühl zu vermitteln, dass sie nicht alleine sind.“

An der Friedrich-Ebert-Schule sind sie froh, dass Alisa Okhrimento bei ihnen ist. Dort gibt es insgesamt zwei Klassen nur mit ukrainisch­en Schülerinn­en und Schülern. In einer davon unterricht­et Lehrerin Irena Schechreds­ki, die aus Bulgarien kommt und Russisch studiert hat. Es sei ein wirklicher „Luxus“, sagt sie, dass sie Okhrimento als Unterstütz­ung habe, denn: „Sie ist eine waschechte Ukrainerin, ihr vertrauen die Kinder mehr.“

Auch Schulleite­r Martin Hoser glaubt, dass die eigene Sprache Vertrauen weckt. „Es ist wichtig, dass jeder in seiner Sprache kommunizie­ren kann, wenn es Probleme gibt.“In der Kommunikat­ion mit den Eltern hilft die Studentin ebenfalls, formuliert­e etwa einen Brief an die Eltern. „Auch beim ersten Tag war sie mit dabei, da hatten wir auch die Eltern da. Sie hat das einfach übernommen, hat den Eltern das Schulhaus gezeigt und Fragen beantworte­t“, erzählt Schechreds­ki.

Wie ihre zehn Kommiliton­en ist Alisa Okhrimento jeweils acht Stunden die Woche mit dem Projekt beschäftig­t. Die Studierend­en sind dafür an der Hochschule als Hilfskräft­e angestellt. „Ich weiß, dass es zurzeit schwierig ist, als Student

einen Job zu finden“, sagt Krupp. Finanziert wird das Projekt von der Wohnbaugru­ppe Augsburg. Geschäftsf­ührer Mark Dominik Hoppe sagt, er freue sich, dass man Teil des Projekts sei. „Die Unterstütz­ung der geflüchtet­en Familien durch Studierend­e der Hochschule Augsburg ist ein schönes Beispiel dafür, wie unbürokrat­ische Hilfe aussehen kann.“Nach Angaben von Professor Krupp sei das Projekt aktuell bis zum Schuljahre­sende angelegt, bis dahin sei auch die Finanzieru­ng gesichert.

Krupp ist sich jedoch sicher, dass das nicht reichen wird: „Ich gehe schwer davon aus, dass der Bedarf weiter steigen wird, auch ohne dass zwingend noch mehr Kinder aus der Ukraine zu uns kommen.“Einige geflüchtet­e Kinder würden aktuell zu Hause per Fernunterr­icht beschult und die Eltern hätten sich wegen der 90-Tage-Regel noch nicht registrier­t, vermutet Krupp. Zudem kämen zum neuen Schuljahr auch weitere Kinder ins schulfähig­e Alter. „Auch die, die jetzt schon beschult werden, können Anfang des nächsten Jahres nicht gleich Deutsch.“

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Foto: Peter Fastl Die Studentin Alisa Okhrimento (30) un‰ terrichtet die ukrainisch­e Schülerin So‰ nya.

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