Augsburger Allgemeine (Land West)

In Ursberg sagt man „Dobryy Ranok“und „Guten Morgen“

Integratio­n

- VON PETRA NELHÜBEL

Ursberg Zweisprach­iges Stimmengew­irr begrüßt den Besucher, als er am Unterricht­stag durch die Tür zum Vereinshei­m des Dominikus-Ringeisen-Werks (DRW) mitten in Ursberg tritt. Hier treffen sich zweimal pro Woche die aus der umkämpften Ukraine geflüchtet­en Gäste des DRW mit einer ganzen Reihe ehrenamtli­cher Helfer, um in einer bunt gemischten Gruppe die deutsche Sprache zu erlernen. Eine herzliche Begrüßung von beiden Seiten und ein fragender Blick der Kursleiter in die Runde: Wer ist da? Wer hat sein Kommen angekündig­t und wer ist vielleicht gar nicht mehr erschienen?

Das DRW in Ursberg ist eine Erstaufnah­meeinricht­ung. Das bedeutet, dass Geflüchtet­e von hier aus auf verfügbare­n Wohnraum im

Zwei Frauen haben Jobs in den Gärten angetreten

Landkreis Günzburg verteilt werden. So erfreulich das auf der einen Seite ist, so bedeutet es doch für die Geflüchtet­en ein erneutes schmerzhaf­tes Abschiedne­hmen von ersten Kontaktper­sonen und neu gewonnenen Bekanntsch­aften. Aber es gibt auch andere Gründe, dem Kurs fernzublei­ben. Olga zum Beispiel ist aufgrund von Kreislaufp­roblemen zur Beobachtun­g ins Krankenhau­s eingewiese­n worden, und Sergej hat bereits seine Arbeit in der Klostergär­tnerei Ursberg aufgenomme­n. Der zwölfjähri­ge Juri sitzt dagegen schon an seinem Platz und geht die Arbeitsblä­tter der letzten Stunde durch; mit ihm am Tisch Oma Natalie und Tante Viktoria. Die beiden 60 und 64 Jahre alten Frauen haben bereits Teilzeitar­beitsstell­en in den Gartenanla­gen des Mutterhaus­es der St. Josefskong­regation angetreten und sind sehr bestrebt, sich möglichst schnell in die deutsche Sprache einzulerne­n. Juris Cousin, der 14-jährige Alexander, ist heute

Im Vereinshei­m des Dominikus-Ringeisen-Werkes lernen aus der Ukraine geflüchtet­e Menschen die deutsche Sprache. Ein Besuch in einer Deutschstu­nde in Ursberg.

nicht dabei. Er ist lieber auf seinem Zimmer geblieben. Zu sehr plagen ihn das Heimweh und die Sehnsucht nach seinen Freunden.

Am Tisch nebenan haben sich inzwischen Irina und Tamara niedergela­ssen, und es sieht so aus, als würde es heute bei diesen fünf Teilnehmer­n bleiben. In vergangene­n Unterricht­sstunden waren es schon einmal 21 Teilnehmer. „Mir geht es gut“, antwortet Irina auf Hans Obesers Frage nach ihrem Befinden. Und so erfährt man auch, dass die

24-Jährige vier Brüder und eine Schwester hat, dass nur ihr Bruder Sergej mit ihr nach Deutschlan­d gekommen ist und die anderen Geschwiste­r bei den Eltern geblieben sind. Es macht nichts, dass die ehrenamtli­che Kursbeglei­terin Hildegard Burtscher mehrmals Satzstellu­ng und Präpositio­nen verbessern muss. Irina ist bestrebt, sich zu verbessern und glücklich, dass sie verstanden wird.

Hans Obeser hat inzwischen die heutigen Kursinhalt­e mittels Projekeben­falls

tor auf eine Leinwand geworfen: Wochentage, Farben, Zahlen und Uhrzeit sind die Themen des Tages – unverzicht­barer Wortschatz in fast jedem Alltagsges­präch. Im Chor wird nachgespro­chen, was der Kursleiter vorgibt: „Heute ist Donnerstag, morgen ist Freitag, übermorgen ist Samstag.“Alle schauen in ihr Kursheft, um sich der korrekten Reihenfolg­e der Wochentage zu vergewisse­rn. Dann gibt es etwas Stirnrunze­ln als Hans Obeser fortfährt: „Gestern war Mittwoch, vorgestern

war .... ?“Juri hat am schnellste­n gemerkt, dass es nun rückwärts geht. „Vorgestern ist Dienstag“, ruft er strahlend. „Vorgestern war Dienstag“, berichtigt ihn Paula Gärtner. Sie ist Lehrerin am Ringeisen-Gymnasium in Ursberg. Sie ist voll des Lobes über die sehr engagierte­n und strebsamen Schülerinn­en. Erst vor einigen Tagen habe sie Natalie und Viktoria getroffen, wo sie erzählten, gemeinsam drei Stunden Deutsch in der Freizeit gelernt zu haben. Hans Obeser gelingt an diesem Morgen immer wieder das Kunststück, die Aufmerksam­keit sowohl von Kursteilne­hmerinnen als auch von Lehrkräfte­n weg von der vertiefend­en Einzelarbe­it am Tisch und hin zu einem neuen Lehrinhalt für alle zu lenken. So auch jetzt, wo das Thema „Farben“auf dem Programm steht. Dazu gibt es Aufgaben im Heft. Blau, Gelb, Rot, Rosa, Orange oder Grün steht da in kleinen Kästchen gedruckt, und die Lernenden dürfen die Kästchen entspreche­nd ausmalen.

Schwierige­r wird es, als man – entspreche­nd der Anweisung – Wochentage in einer angegebene­n Farbe ausmalen soll. Die Köpfe scheinen zu rauchen, die Konzentrat­ion lässt nach und langsam kommt die Stunde zu einem Ende. Penibel und disziplini­ert verstauen Juri, Natalie und Viktoria ihre Unterricht­smateriali­en

Einige Aufgaben fallen noch nicht so leicht

und verabschie­den sich. Irina erzählt in bereits ganz passablen Sätzen, wie ihr die Arbeit mit den Bewohnerin­nen und Bewohnern des evakuierte­n Kinderheim­es gefällt. Auch Tamara verabschie­det sich von Maria Obeser, die ihr während der Stunde pädagogisc­h zur Seite gestanden hat. Tamara wirkt bedrückt. Etwas später sieht man sie bei einem Kaffee vor dem Bistro in Ursberg sitzen. Mühsam unterdrück­t sie die Tränen, als sie am Handy Bilder des nächtliche­n Lemberg, ihrer Heimatstad­t, zeigt. Lebendig, hell erleuchtet und mit einem prächtig glitzernde­n Weihnachts­baum. Da war noch kein Krieg. Tamara möchte nach Hause. Zu ihrem Mann und ihrem Sohn. Es geht nicht; zu unsicher ist die Lage und sie will ja auch arbeiten hier, um wenigstens Geld nach Hause schicken zu können. Dafür kommt sie jeden Montag und Donnerstag ins Ursberger Vereinshei­m und lernt Deutsch.

 ?? Foto: Markus Landherr ?? Seit Mitte März wird im Vereinshei­m in Ursberg Deutsch gelernt. Über die Besonderhe­iten der deutschen Sprache darf mit den Lehrkräfte­n Hildegard Burtscher (Dritte von links) und Paula Gärtner (rechts) auch mal herzlich gelacht werden.
Foto: Markus Landherr Seit Mitte März wird im Vereinshei­m in Ursberg Deutsch gelernt. Über die Besonderhe­iten der deutschen Sprache darf mit den Lehrkräfte­n Hildegard Burtscher (Dritte von links) und Paula Gärtner (rechts) auch mal herzlich gelacht werden.

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