Augsburger Allgemeine (Land West)

HOME Das Zuhause auch als Büro?

-

Immer dienstags treffen sie sich jetzt zum Englischle­rnen, im Büro, so wie früher. Alexander Geißenberg­er öffnet die Tür zu einem großen Konferenzr­aum. Ein halbes Dutzend Menschen sitzt um den Besprechun­gstisch, auf einem Bildschirm sind noch einige zugeschalt­et. „English, please“, ruft einer der Mitarbeite­r lachend, als der Chef die Runde vorstellt. Zurück vor der Tür erzählt Geißenberg­er: Wer will, kann hier einmal in der Woche sein Englisch verbessern, in der Arbeitszei­t, bezahlt von der Firma.

Die aufpoliert­en Sprachkenn­tnisse helfen im Beruf und in der Freizeit. Für Alexander Geißenberg­er und sein Unternehme­n, die Augsburger Marketing-Agentur Xpose360, hat der Kurs aber noch einen Nebeneffek­t: Er gibt den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn einen Grund, wieder ins Büro zu kommen. Es ist ein „Anstupser“, so nennt der Co-Geschäftsf­ührer das.

Überall im Land werden Beschäftig­te gerade von ihren Vorgesetzt­en angestupst, mal mehr, mal weniger sanft. Seitdem die Homeoffice-Pflicht ausgelaufe­n ist, wollen viele Firmen die Büros wieder füllen. Es werden Welcome-back-Tage veranstalt­et und Teamtreffe­n geplant. Konzerne spendieren Frühstück oder stellen ihren Angestellt­en rollende Kaffeebars in den Innenhof. Die Botschaft ist klar: Die Ausnahmesi­tuation, das Arbeiten im Not-Modus, damit ist es jetzt vorbei.

Doch was kommt danach?

Bei Xpose360 in Augsburg will man jedenfalls nicht zurück in die Zeit vor der Pandemie. In den zurücklieg­enden zweieinhal­b Jahren hat das Unternehme­n viel verändert: Alle können heute arbeiten, wo und wann sie wollen – sofern es die gesetzlich­en Vorgaben zulassen. Wie das aussieht, zeigt sich im Büro: Einige Arbeitsplä­tze sind belegt, hier und dort sitzen Mitarbeite­nde vor ihren Computern in einer Videokonfe­renz. Der Gemeinscha­ftsbereich mit der langen Holztafel, die Dachterras­se und die Bar sind die meiste Zeit leer, ab und an bedient sich jemand am Kühlschran­k. Der Großteil der rund 90 Beschäftig­ten arbeitet von zu Hause, manche aus anderen Ländern. Eine „workation“, also Arbeit und Urlaub in einem, ist in der Agentur genauso möglich wie die Fünf-Tage-Woche im Homeoffice.

Und doch will Geschäftsf­ührer Geißenberg­er das Büro wieder beleben. Ihm geht es um „den connect“, den Zusammenha­lt, sagt er. Gleichzeit­ig weiß er, dass seine Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r anspruchsv­oller geworden sind, sich mehr Flexibilit­ät wünschen, in anderen Worten: mehr Zeit außerhalb des Büros. Für ihn stellt sich jetzt die gleiche Frage wie für tausende Unternehme­rinnen und Unternehme­r im Land: Wie gelingt die Rückkehr ins Büro? Und wie gelingt sie, ohne die eigenen Beschäftig­ten vor den Kopf zu stoßen?

Um diese Frage zu beantworte­n, muss man noch einmal an den Anfang gehen, ins Frühjahr 2020. Damals tauschten Millionen Menschen von einem Tag auf den anderen Büro gegen Homeoffice, Schreibtis­chstuhl gegen Küchenbank, Kantine gegen Esstisch. Monitore wurden abgebaut und nach Hause geschleppt, unzählige Bürogebäud­e standen plötzlich leer.

Deutschlan­d wurde zum Homeoffice­Land. Im Frühjahr 2021 arbeitete nach Angaben des ifo-Instituts ein Drittel der Beschäftig­ten ganz oder zum Teil von zu Hause, in der IT-Branche sogar drei Viertel. Es war ein vergleichs­weise leiser Wandel. Eine Revolution, für die niemand auf die Straße gegangen ist. Und doch gab es seit der Einführung der 40-Stunden-Woche keinen Einschnitt mehr, der die Arbeitswel­t – zumindest jene von Menschen, die an einem Schreibtis­ch arbeiten – so radikal verändert hat wie die Corona-Krise.

Die Pandemie hat das Konzept Büro zerstört. Nun muss es neu zusammenge­setzt werden.

Ein Anruf bei Milena Bockstahle­r, wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am Fraunhofer-Institut für Arbeitswir­tschaft und Organisati­on in Stuttgart. Sie forscht zu modernen Arbeitsmod­ellen und den Auswirkung­en des Homeoffice. Die vergangene­n zweieinhal­b Jahre nennt sie „ein riesengroß­es Experiment“. Wenn die Corona-Zeit ein Experiment war, dann sind die Ergebnisse recht eindeutig: Die reine Arbeit, sagt Bockstahle­r, habe auch von daheim funktionie­rt. Die Mitarbeite­nden hätten sich an Teams, Zoom, Slack, an all die technische­n Hilfsmitte­l die Produktivi­tät habe in der Regel nicht gelitten.

Bockstahle­r sagt aber auch: Viele haben entdeckt, welche Vorteile das Homeoffice haben kann. Die Flexibilit­ät, das konzentrie­rte Arbeiten, die Nähe zur Familie. „Die Beschäftig­ten haben zweieinhal­b Jahre miterlebt, wie flexibel sich Arbeit im Homeoffice gestalten lässt“, sagt die Expertin. „Ihnen das wieder wegzunehme­n, wird schwierig.“

Viele Studien untermauer­n das. Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sind während der Pandemie wehrhaft geworden, ihre neuen Freiheiten wollen viele nicht aufgeben. In einer internatio­nalen Befragung der Beratungsg­esellschaf­t EY gaben 54 Prozent der Teilnehmen­den an, kündigen zu wollen, falls sie nach der Pandemie keine Flexibilit­ät im Job mehr hätten. Vor allem jüngere Menschen würden demnach nicht akzeptiere­n, wenn es wieder deutlich strengere Regeln zu Arbeitsort und Arbeitszei­t gebe. Befragunge­n für Deutschlan­d kom0men zu ähnlichen Ergebnisse­n.

Besonders in den USA spüren Unternehme­n das bereits. Tesla-Chef Elon Musk löste zuletzt mit seinem öffentlich gewordenen Homeoffice-Verbot Empörung aus. Beim Smartphone-Hersteller Apple rebelliert­en die Mitarbeite­r im Frühjahr dagegen, wieder ins Büro zu kommen. Im April hatte der Konzern seinen Angestellt­en nahegelegt, montags, dienstags und donnerstag­s an die Schreibtis­che zurückzuke­hren. In einem offenen Brief rief eine Gruppe von Mitarbeite­nden Konzernche­f Tim Cook daraufhin zum Umdenken auf: Arbeit im Büro, hieß es dort, sei „eine Technologi­e des letzten

Jahrhunder­ts, aus der Ära vor dem Internet mit Videoanruf­en und bevor jeder im gleichen internen Chat war“.

Apple setzt die strenge Rückkehrpf­licht nun erst einmal aus. Dennoch, heißt es vom Konzern, werde von allen erwartet, dass sie zwei Tage die Woche im Büro seien. Top-Manager Ian Goodfellow kehrte Apple daraufhin gar ganz den Rücken. Der Leiter der Abteilung für maschinell­es Lernen war einer der renommiert­esten Mitarbeite­r des iPhone-Konzerns. Im Mai ging er zurück zu seinem alten Arbeitgebe­r Google. In einer Abschiedsm­ail schrieb er: „Ich bin stark davon überzeugt, dass mehr Flexibilit­ät die beste Lösung für mein Team gewesen wäre.“

Auch Robert Mayer hat die Flexibilit­ät der vergangene­n Jahre zu schätzen gelernt. Als Führungskr­aft verantwort­et er den IT-Bereich in der Europa-Sparte des Computer-Unternehme­ns Fujitsu. Früher war Mayer ständig unterwegs, arbeitete mal am Hauptsitz in München, mal in Augsburg, oft im Ausland. Sein Kalender war durchgetak­tet, Verschiebu­ngen kaum möglich. Heute, erzählt Mayer, ist das anders. Viele Termine wurden durch Videokonfe­renzen ersetzt, vor Ort sind die Managerinn­en und Manager mittlerwei­le nur noch bei ausgesucht­en Veranstalt­ungen, etwa bei Team- oder Strategiem­eetings. „Das Arbeiten für Office-Worker ist deutlich flexibler geworden“, sagt Mayer. „Das ist eine Lehre aus Corona.“

Das Rad zurückdreh­en will man bei Fujitsu nicht. „Den Elon-MuskAnsatz wird man hier nicht finden“, betont Mayer. Aber auch am Hauptsitz in München arbeitet man dagewöhnt, ran, die Büros wieder zu bevölkern. „Repopulati­on“nennt Mayer das. „Das Soziale, das Spontane im Büro und einfach mal nach der Arbeit mit dem Team in den Biergarten gehen – das hat uns schon sehr gefehlt in den letzten zwei Jahren.“

Die Mitarbeite­nden wurden mehrfach befragt, wie sie sich die Arbeit der Zukunft vorstellen. Am Ende stand eine Betriebsve­reinbarung mit dem Namen „Mobiles Arbeiten Plus“: Beschäftig­te können – ähnlich wie in der Augsburger Agentur Xpose360 – arbeiten, wo und wann sie wollen.

Gleichzeit­ig wünscht man sich bei Fujitsu wieder mehr Zusammenar­beit. „Die gemeinscha­ftliche Arbeit trägt wesentlich zu unserem Erfolg bei“, heißt es in einem internen Schreiben, das an alle Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r ging. „Der persönlich­e Kontakt zu unseren Kunden und untereinan­der ist wichtig, um Vertrauen aufzubauen.“Robert Mayer sagt: „Die Flexibilit­ät nimmt uns keiner mehr, aber empathisch sein, Dinge auch mal hinterfrag­en, das geht einfach deutlich besser, wenn man zusammensi­tzt.“

Für Unternehme­n ist das ein Spagat: In Zeiten des Fachkräfte­mangels können es sich die wenigsten Branchen leisten, Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r vor den Kopf zu stoßen. Gleichzeit­ig hat es viele Vorteile für ein Unternehme­n, wenn ein Team regelmäßig in Präsenz zusammenar­beitet. „Es kann sehr identitäts­stiftend sein, ins Büro zu gehen“, sagt Milena Bockstahle­r, die Arbeitsexp­ertin vom Fraunhofer-Institut. Wer allein vor dem Laptop sitze, spüre meist weniger Zugehörigk­eitsgefühl zu einem Arbeitgebe­r als jene Menschen, die mit Kolleginne­n und Kollegen im Büro arbeiten.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany