Augsburger Allgemeine (Land West)

Für den Entzug vom Putin-Gas setzt Habeck sogar auf Kohle

Leitartike­l Schmerzhaf­t, aber richtig: Angesichts der Abhängigke­it von russischer Energie und der Gefahr eines Zitter-Winters müssen Gewissheit­en auf den Prüfstand.

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Wenn sich doch nur ein Teil der Hitze, unter der Deutschlan­d gerade ächzt, für den kommenden Winter speichern ließe. Dann müsste niemandem bange sein vor eiskalten Wohnungen, vor Heizungen, die nicht mehr heizen, weil Russland den Gashahn zudreht. Und Robert Habeck bliebe mancher Schritt erspart, der sein grünes Herz schmerzhaf­t bluten lässt. Etwa zu verkünden, dass die verhassten Kohlekraft­werke notfalls bald wieder auf Hochtouren laufen.

Eigentlich würde er sie ja aus Klimaschut­zgründen so schnell wie möglich für immer abschalten. Doch einen Vorrat an sommerlich­er Wärme anzulegen ist zumindest im Moment noch höchstens theoretisc­h möglich. Der Ausbau der erneuerbar­en Energien kommt nicht schnell genug voran, um einen

Bibber-Winter zu verhindern. Hinter den billigen russischen Energielie­ferungen, von denen sich Deutschlan­d in fahrlässig­er Weise abhängig gemacht hat, stehen im Angesicht des russischen Angriffskr­ieges auf die Ukraine gewaltige Fragezeich­en. Eigentlich wäre es moralisch richtig, würde der Westen von sich aus komplett auf die Einfuhr von Gas, Öl und Kohle aus Russland verzichten, mit denen der russische Präsident Wladimir Putin seine Militärmas­chinerie finanziert. In der Praxis scheint das allerdings wahnwitzig, die Folgen für Industrie und private Verbrauche­r könnten verheerend sein.

Es ist gut, dass der grüne Energiemin­ister das bislang pragmatisc­h und ohne ideologisc­he Scheuklapp­en tut. Weder hätte Habeck sich bei seinem Amtsantrit­t vorstellen können, in Ländern wie Katar um Flüssiggas­lieferunge­n zu bitten, noch ein Hochfahren betagter Kohlekraft­werke anzuschieb­en. Das Klima wollte er retten, den Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter beschleuni­gen. Als Brücke zur grünen Energie aus Sonne und Wind schien das russische Gas weiter billig und zuverlässi­g zur Verfügung zu stehen. Doch diese Brücke ist mit Beginn des Ukraine-Kriegs eingestürz­t. Putin zeigt gerade aller Welt und ganz besonders Deutschlan­d, wie er die gewaltigen Energieund Rohstoff-Reserven seines Landes skrupellos als Mittel der Machtpolit­ik einsetzt. Wer nicht spurt, der friert, ist seine Botschaft.

Deutschlan­d darf sich aber nicht derart erpressen lassen. Spuren ist keine Alternativ­e. Frieren ist aber auch keine. Die Menschen in Deutschlan­d können ja nichts dafür, dass sich Politik und Energiewir­tschaft in eine gefährlich­e Abhängigke­it von Moskau begeben haben.

Tatsächlic­h haben Habecks Grüne als eine der wenigen politische­n Kräfte immer wieder davor gewarnt und schon lange gefordert, dass Deutschlan­d stärker auf alternativ­e

Energien setzt. Geschehen ist zu wenig und jetzt herrscht blanke Not. Energiespa­ren ist wichtig, Habeck setzt der Industrie dafür sinnvolle Anreize, doch das allein wird nicht reichen. Strom und Wärme müssen weiter fließen, und das geht im Moment nicht ohne den Rückgriff auf Energieque­llen, die eigentlich längst als schmutzig und überholt gelten. Etwa Kohle.

Habeck muss aber angesichts der Dramatik der Lage auch weitere Tabus auf den Prüfstand stellen. Wie sehr würde es helfen, Kernkraftw­erke etwas länger laufen zu lassen? Ist es vertretbar, für eine Übergangsz­eit auf die deutschen Schieferga­s-Reserven zurückzugr­eifen, die durch die umstritten­e Fracking-Methode gefördert werden könnten? Darüber braucht es eine offene Debatte. Klar muss aber sein: Es geht darum, die Entzugsers­cheinungen vom russischen Gas so gering wie möglich zu halten. Am Ende kann nur eine nachhaltig­e Energiewir­tschaft stehen, die nicht mehr auf den Raubbau an der Natur setzt, sondern auf die schonende Nutzung ihrer Kräfte.

Der Raubbau an der Natur muss aufhören

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