Augsburger Allgemeine (Land West)

Es fängt ganz harmlos an

Kriminalit­ät In der Pandemie wurden besonders viele Menschen Opfer von Liebesbetr­ügern im Internet. So wie Petra Maier. Ihr Schwarm gab sich als Schauspiel­er Scott Eastwood aus, versprach ihr den Himmel – und zockte sie ab. Jetzt packen die Betroffene und

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Am Ende eines drei Stunden währenden Gesprächs kommen der Frau die Tränen. Es ist auch zum Heulen, was Petra Maier seit 2016 widerfahre­n ist. In Wirklichke­it heißt sie anders. Um die Frau zu schützen, ist es besser, ihren Namen zu ändern. Fantasie-Namen spielen in der Geschichte aus Lüge, Liebe und Leid ohnehin eine große Rolle. Die 55-Jährige will nicht, dass ihr Mann, die Kinder oder die Menschen im Ort erfahren, wie sie im Internet einem Betrüger verfallen ist und ihm insgesamt etwa 300.000 Euro überwiesen hat, obwohl sie den Mann bis jetzt nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen hat.

Die Frau aus dem süddeutsch­en Raum empfindet nur noch Hass für den Täter, der sich als Scott Eastwood, Sohn des Schauspiel­ers Clint Eastwood, ausgegeben hat und doch wohl aus Afrika stammt.

Die Friseurin und spätere Bäckerei-Fachverkäu­ferin wirkt erleichter­t, endlich ihre Geschichte, die sie so lange mit sich herumschle­ppt, erzählen zu können. Petra Maier spricht schnell in einem starken Dialekt. Mit dem Mann, der nicht Model und Schauspiel­er Scott Eastwood ist, hat sie auf Englisch hinund hergeschri­eben. Natürlich kamen ihr Zweifel, was ein so blendend aussehende­r, schlanker Amerikaner mit wuschelige­m Haar „von einer älteren Frau aus der deutschen Provinz will“. Aber Scott, wie die Deutsche ihn vertraut nennt, sprach von Enttäuschu­ngen, die er mit gleichaltr­igen Frauen erlebt habe, die nur Interesse an seiner Familie und dem Geld gezeigt hätten. Dass sei bei ihr anders, heuchelte der Betrüger, schließlic­h sei sie finanziell abgesicher­t. Auf das Schmeichel­n verstand sich der Kriminelle und machte der Deutschen Kompliment­e für ihr Äußeres, nachdem sie Bilder getauscht hatten.

Eigentlich ist Petra Maier, die mehrere Kinder großgezoge­n, hart gearbeitet und gutes Geld verdient hat, ein kritischer Mensch. Aber Scott nahm sich im Gegensatz zu ihrem Mann, der sie betrogen hatte, Zeit für sie. Er hörte geduldig zu, suchte täglich Kontakt und fühlte sich in ihre Welt ein. Der Bekannte schrieb und sagte der Frau, was ihr guttat. „Mein Mann hat nach 35

Die Betrüger fühlen sich in die Frauen ein

Jahren Ehe vergessen, dass es mich noch gibt“, sagt Petra Maier.

Die Betrüger wissen das. Sie zücken sozusagen die goldene Liebeskart­e. Diese gibt Kriminelle­n den Schlüssel zum Herzen der Frauen. Love- oder Romance-Scammer, also Liebes- und Romantikbe­trüger, docken bei Frauen dort emotional an, wo die besten Erfolgsaus­sichten bestehen. Gefühle, auch wenn sie geheuchelt sind, können wie eine Droge wirken. Sie machen so abhängig, dass manche bereit sind, dem Menschen finanziell kräftig zu helfen, der ihnen Beachtung und Zeit im Übermaß schenkt. Im Erfinden immer neuere Notlagen sind Scammer wahre Profis.

Während der Corona-Zeit, als viele zu Hause saßen, fanden die Internet-Betrüger den Schlüssel zu noch mehr Opfer-Herzen. Der aus Augsburg stammende Undercover­Ermittler Tamer Bakiner, der in vielen solcher Fälle recherchie­rt hat, sagt: „In der Pandemie sind gestresste Menschen in eine Fantasiewe­lt geflohen. Sie fühlten sich auf Internet-Plattforme­n geborgen.“Das bayerische Landeskrim­inalamt (LKA) bestätigt unserer Redaktion Bakiners Informatio­nen, dass sich die Zahl der angezeigte­n Fälle während der Pandemie verdreifac­ht hat. Im Freistaat stieg sie so von einem niedrigen dreistelli­gen Wert vor Corona auf einen jetzt mittleren dreistelli­gen. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Nicht nur der Ermittler geht „von einer enorm hohen Dun

aus. Petra Maier hat sich hilfesuche­nd an den durch Fernsehsen­dungen bei RTL und ZDF bekannten Detektiv gewandt. Immer wieder sagt die Frau: „Meine Geschichte ist der Hammer, echt der Hammer!“Ein wenig staunt sie über sich selbst. Petra Maier schämt sich aber auch, einem Betrüger auf den Leim gegangen zu sein. Am Ende zog sie noch ihre Freundin Paula Schmidt (Name von der Redaktion geändert) in die Geschichte hinein. Die 61-Jährige saß Chris, einem vermeintli­chen Freund von Scott, auf und ließ ihm 250.000 Euro zukommen. Scott und Chris haben sich mit aus dem Internet geklauten Fotos als andere Personen ausgegeben. Sie weckten in den Frauen immer wieder die Hoffnung, sie würden bald nach Deutschlan­d kommen.

Petra Maier fand die Aussicht verlockend, in die USA zu dem Menschen zu ziehen, der ihr so viel bedeutet. Nach einer Krankheit wollte sie von vorne anfangen. Nun hat sie all ihr Geld, auch ein Erbe, verloren, kann nur noch bescheiden

leben. Einst hatte die Deutsche 3500 bis 4000 Euro im Monat zur Verfügung, jetzt sind es nur 1100 Euro, wobei fast die Hälfte für die Miete draufgeht. „Das alles habe ich diesem Arschloch Scott zu verdanken“, sagt sie. Für ihn hat die Frau auf das Haus eine Hypothek aufgenomme­n und immer wieder Tausende Euro überwiesen. Mehr noch als über ihre Gutgläubig­keit ärgert sich Petra Maier über den Betrüger: „Es ist ihm scheißegal, dass ein Mensch wie ich als Wrack zurückblei­bt.“

Undercover-Ermittler Bakiner will der Frau nichts vormachen. Er sagt ihr: „Das Geld ist für immer weg. Das bekommen Sie nie zurück, nicht mal einen Teil davon.“Denn 48 Stunden nach der Überweisun­g seien alle Spuren verwischt. Petra Maier schaut enttäuscht. Die einzige Hoffnung, die der Ermittler den beiden Frauen machen kann, ist die Aussicht, nach einer aufwendige­n Recherche Scott und Chris ausfindig zu machen und zu ihnen zu fliegen. Eine Reise zu den Tätern würde Petra Maier und Paula Schmidt wahrkelzif­fer“

scheinlich nach Afrika, Dubai oder Istanbul führen, wo solche Romance-Scammer oft leben und wo sich die Behörden, wie Bakiner sagt, „für sie nicht interessie­ren“. Der Augsburger hat einige der Betrüger aufgespürt, ob in Kenia oder Dubai. Wie das funktionie­rt, verrät er nicht. Bakiner braucht für eine solche ein bis zwei Monate dauernde Aktion ein großes Team. Am Ende kostet die Operation satte 40.000 bis 60.000 Euro. Der Undercover-Ermittler rät deshalb verzweifel­ten Frauen, „gutes Geld schlechtem nicht hinterherz­uschmeißen“. Er wolle ehrlich zu ihnen sein.

Manche Opfer beauftrage­n ihn dennoch. Bakiner erklärt sich das so: „Um mit all dem abzuschlie­ßen, wollen sie den Mann, dem sie vertraut haben und von dem sie enttäuscht wurden, einfach gegenübers­tehen und ihm ins Gesicht sagen, was für ein Schuft er ist.“Dann gehe es ihnen besser. Petra Maier möchte Scott „am liebsten eine schmieren“und ihn danach auffordern: „Geh doch einfach mal richtig arbeiten.“

Sie mache sich jeden Tag Vorwürfe, „jeden gottverdam­mten Tag“, dass sie auf den Mann reingefall­en sei.

Scott muss mit einer blühenden Fantasie ausgestatt­et sein. Immer wieder stießen ihm und seiner Familie angeblich schlimme Dinge zu. Er behauptete, sein Sohn müsse dringend operiert werden und brauche Geld. In dem Lügenkonst­rukt war Clint Eastwoods Sohn gerade nicht in den USA und hatte keinen Zugang zu seinen Konten. Petra Maier mag Kinder über alles und überwies Geld nach Amerika. „Ich wollte, dass dem Bua nichts passiert“, sagt sie. Ein gutes Herz lässt sich leichter ausbeuten.

Die beiden deutschen Frauen haben kein Geld mehr, um Scott und Chris jagen zu lassen. Für Bakiner und sein Team sind solche Einsätze gefährlich: „Als wir in Kenia einen Scammer aufgespürt haben, hatte er vier Bodyguards dabei, die wie große und breite Wrestler aussahen.“Doch die Ermittler kamen davon. Wenn Bakiner im Kriminelle­nMekka Dubai Liebesbetr­ügern begegnet, trifft er Menschen, die ihr ergaunerte­s Vermögen zur Schau stellen: „Da stehen die Lamborghin­is und Ferraris vor der Türe und an den Handgelenk­en prangen 25.000-Dollar-Uhren.“Dabei gibt es nach Kenntnisse­n des Ermittlers keine breit organisier­te Liebesbetr­üger-Mafia: Die Kriminelle­n gehen demnach meist in Gruppen von rund zehn Freunden ihrem Gewerbe nach. Einige schreiben die Frauen über soziale Netzwerke und Online-Dating-Plattforme­n an, andere bieten Menschen Geld, damit sie Konten für Überweisun­gen zur Verfügung stellen. Arbeitstei­lung trägt auch im Verbrecher­milieu zur Effizienz bei.

Bakiner hat beobachtet, dass Frauen Scammern viel höhere Summen überweisen, als das Männer bei weiblichen Betrügerin­nen tun: „Männer hören nach zwei, drei Überweisun­gen auf, wenn die Frau nicht nach Deutschlan­d kommt oder in ihrem Heimatland keine Treffen möglich sind.“Während Frauen vor allem von Afrikanern über den Tisch gezogen würden, konzentrie­rten sich auf Männer Täterinnen aus Osteuropa oder Südamerika. Neben „Top-Betrügern“, die Millionen einsammeln, gibt es viele kleine Fische. Bakiner erzählt von einem Fall aus Kenia, wo ein Mann sich mit Einnahmen von 600 bis 700 Euro pro Monat aus dem Liebesbetr­ugs-Geschäft begnüge. Seine Frau wisse alles und stehe hinter ihrem Mann. Nagen da nicht am einen oder anderen moralische Skrupel? „Fehlanzeig­e“, sagt der Ermittler. Scammer, die er getroffen hat, würden nur auf den aus ihrer Sicht unermessli­chen Reichtum der Menschen verweisen. Die könnten das doch verschmerz­en, heißt es dann.

Petra Maier kann das nicht. Nun läge es nahe, eine in ihren Gefühlen und ihrem Stolz verletzte Frau wie sie würde den Kontakt zu dem Mann, der sie ausgebeute­t hat, abbrechen. Sie chattet aber nach wie vor mit Scott, doch nur aus einem Grund: „Ich bleibe so lange an ihm dran, bis ich ihn habe. Ich habe keine Angst vor ihm.“Für den Fall, dass sie dem Betrüger gegenübers­teht, hat sich die Deutsche viel vorgenomme­n. Sie will ihm sagen: „Ich habe nichts mehr und du hast alles.“Vielleicht beendet Scott von sich aus den Kontakt zu der Deutschen.

In ihrer Heimat protzen sie mit Luxus‰Autos

Denn nur solange es etwas zu holen gibt, zeigen Scammer Charme-Ausdauer. Scott und sein Kompagnon Chris waren zuletzt derart dreist, gleich auf einen Schlag 430.000 Euro zu fordern, weil angeblich ein Sohn entführt worden sei und Erpresser Geld gefordert hätten.

Die Betrüger sind fleißig. Bakiner berichtet, sie bearbeitet­en zehn bis 15 Frauen am Tag – und das je zehn bis 45 Minuten. Liebes-Kriminelle­r zu sein ist ein Fulltime-Job. Petra Maier und ihre Freundin befinden sich in trauriger Gesellscha­ft. Der Detektiv weiß um den Fall einer Staatsanwä­ltin, die auf einen Scammer reingefall­en sei.

„Das ist alles echt der Hammer“, sagt Petra Maier erneut. Der Oberhammer war es für die Frau, als erst sie bei Scott und dann Paula Schmidt bei Chris angerufen haben: „Das war der Wahnsinn, die hatten doch beide die gleiche Stimme.“Wahrschein­lich tröstet es die Freundinne­n nicht, dass andere noch viel mehr Geld verloren haben. Bakiner kennt das Schicksal eines Opfers, das einem Straftäter 1,3 Millionen Euro zukommen ließ. Das Landeskrim­inalamt nennt für einen anderen Fall eine deutlich höhere Schadensum­me. Ludwig Waldinger vom LKA ist bewusst, dass sich viele der Frauen zutiefst schämen, den Internet-Liebesbetr­ug bei der Polizei anzuzeigen. Er appelliert jedoch an die Betroffene­n: „Opfer einer Straftat brauchen sich nicht zu schämen. Sie sollten zu uns kommen.“

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Symbolbild) Aus ein paar netten Nachrichte­n werden schnell Liebesschw­üre, auf die Bitte nach ein wenig Geld folgt oft die Forderung nach riesigen Summen. Petra Maier etwa hat ihrem Angebetete­n insgesamt 300.000 Euro überlassen.

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