Augsburger Allgemeine (Land West)
Es fängt ganz harmlos an
Kriminalität In der Pandemie wurden besonders viele Menschen Opfer von Liebesbetrügern im Internet. So wie Petra Maier. Ihr Schwarm gab sich als Schauspieler Scott Eastwood aus, versprach ihr den Himmel – und zockte sie ab. Jetzt packen die Betroffene und
Augsburg Am Ende eines drei Stunden währenden Gesprächs kommen der Frau die Tränen. Es ist auch zum Heulen, was Petra Maier seit 2016 widerfahren ist. In Wirklichkeit heißt sie anders. Um die Frau zu schützen, ist es besser, ihren Namen zu ändern. Fantasie-Namen spielen in der Geschichte aus Lüge, Liebe und Leid ohnehin eine große Rolle. Die 55-Jährige will nicht, dass ihr Mann, die Kinder oder die Menschen im Ort erfahren, wie sie im Internet einem Betrüger verfallen ist und ihm insgesamt etwa 300.000 Euro überwiesen hat, obwohl sie den Mann bis jetzt nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen hat.
Die Frau aus dem süddeutschen Raum empfindet nur noch Hass für den Täter, der sich als Scott Eastwood, Sohn des Schauspielers Clint Eastwood, ausgegeben hat und doch wohl aus Afrika stammt.
Die Friseurin und spätere Bäckerei-Fachverkäuferin wirkt erleichtert, endlich ihre Geschichte, die sie so lange mit sich herumschleppt, erzählen zu können. Petra Maier spricht schnell in einem starken Dialekt. Mit dem Mann, der nicht Model und Schauspieler Scott Eastwood ist, hat sie auf Englisch hinund hergeschrieben. Natürlich kamen ihr Zweifel, was ein so blendend aussehender, schlanker Amerikaner mit wuscheligem Haar „von einer älteren Frau aus der deutschen Provinz will“. Aber Scott, wie die Deutsche ihn vertraut nennt, sprach von Enttäuschungen, die er mit gleichaltrigen Frauen erlebt habe, die nur Interesse an seiner Familie und dem Geld gezeigt hätten. Dass sei bei ihr anders, heuchelte der Betrüger, schließlich sei sie finanziell abgesichert. Auf das Schmeicheln verstand sich der Kriminelle und machte der Deutschen Komplimente für ihr Äußeres, nachdem sie Bilder getauscht hatten.
Eigentlich ist Petra Maier, die mehrere Kinder großgezogen, hart gearbeitet und gutes Geld verdient hat, ein kritischer Mensch. Aber Scott nahm sich im Gegensatz zu ihrem Mann, der sie betrogen hatte, Zeit für sie. Er hörte geduldig zu, suchte täglich Kontakt und fühlte sich in ihre Welt ein. Der Bekannte schrieb und sagte der Frau, was ihr guttat. „Mein Mann hat nach 35
Die Betrüger fühlen sich in die Frauen ein
Jahren Ehe vergessen, dass es mich noch gibt“, sagt Petra Maier.
Die Betrüger wissen das. Sie zücken sozusagen die goldene Liebeskarte. Diese gibt Kriminellen den Schlüssel zum Herzen der Frauen. Love- oder Romance-Scammer, also Liebes- und Romantikbetrüger, docken bei Frauen dort emotional an, wo die besten Erfolgsaussichten bestehen. Gefühle, auch wenn sie geheuchelt sind, können wie eine Droge wirken. Sie machen so abhängig, dass manche bereit sind, dem Menschen finanziell kräftig zu helfen, der ihnen Beachtung und Zeit im Übermaß schenkt. Im Erfinden immer neuere Notlagen sind Scammer wahre Profis.
Während der Corona-Zeit, als viele zu Hause saßen, fanden die Internet-Betrüger den Schlüssel zu noch mehr Opfer-Herzen. Der aus Augsburg stammende UndercoverErmittler Tamer Bakiner, der in vielen solcher Fälle recherchiert hat, sagt: „In der Pandemie sind gestresste Menschen in eine Fantasiewelt geflohen. Sie fühlten sich auf Internet-Plattformen geborgen.“Das bayerische Landeskriminalamt (LKA) bestätigt unserer Redaktion Bakiners Informationen, dass sich die Zahl der angezeigten Fälle während der Pandemie verdreifacht hat. Im Freistaat stieg sie so von einem niedrigen dreistelligen Wert vor Corona auf einen jetzt mittleren dreistelligen. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Nicht nur der Ermittler geht „von einer enorm hohen Dun
aus. Petra Maier hat sich hilfesuchend an den durch Fernsehsendungen bei RTL und ZDF bekannten Detektiv gewandt. Immer wieder sagt die Frau: „Meine Geschichte ist der Hammer, echt der Hammer!“Ein wenig staunt sie über sich selbst. Petra Maier schämt sich aber auch, einem Betrüger auf den Leim gegangen zu sein. Am Ende zog sie noch ihre Freundin Paula Schmidt (Name von der Redaktion geändert) in die Geschichte hinein. Die 61-Jährige saß Chris, einem vermeintlichen Freund von Scott, auf und ließ ihm 250.000 Euro zukommen. Scott und Chris haben sich mit aus dem Internet geklauten Fotos als andere Personen ausgegeben. Sie weckten in den Frauen immer wieder die Hoffnung, sie würden bald nach Deutschland kommen.
Petra Maier fand die Aussicht verlockend, in die USA zu dem Menschen zu ziehen, der ihr so viel bedeutet. Nach einer Krankheit wollte sie von vorne anfangen. Nun hat sie all ihr Geld, auch ein Erbe, verloren, kann nur noch bescheiden
leben. Einst hatte die Deutsche 3500 bis 4000 Euro im Monat zur Verfügung, jetzt sind es nur 1100 Euro, wobei fast die Hälfte für die Miete draufgeht. „Das alles habe ich diesem Arschloch Scott zu verdanken“, sagt sie. Für ihn hat die Frau auf das Haus eine Hypothek aufgenommen und immer wieder Tausende Euro überwiesen. Mehr noch als über ihre Gutgläubigkeit ärgert sich Petra Maier über den Betrüger: „Es ist ihm scheißegal, dass ein Mensch wie ich als Wrack zurückbleibt.“
Undercover-Ermittler Bakiner will der Frau nichts vormachen. Er sagt ihr: „Das Geld ist für immer weg. Das bekommen Sie nie zurück, nicht mal einen Teil davon.“Denn 48 Stunden nach der Überweisung seien alle Spuren verwischt. Petra Maier schaut enttäuscht. Die einzige Hoffnung, die der Ermittler den beiden Frauen machen kann, ist die Aussicht, nach einer aufwendigen Recherche Scott und Chris ausfindig zu machen und zu ihnen zu fliegen. Eine Reise zu den Tätern würde Petra Maier und Paula Schmidt wahrkelziffer“
scheinlich nach Afrika, Dubai oder Istanbul führen, wo solche Romance-Scammer oft leben und wo sich die Behörden, wie Bakiner sagt, „für sie nicht interessieren“. Der Augsburger hat einige der Betrüger aufgespürt, ob in Kenia oder Dubai. Wie das funktioniert, verrät er nicht. Bakiner braucht für eine solche ein bis zwei Monate dauernde Aktion ein großes Team. Am Ende kostet die Operation satte 40.000 bis 60.000 Euro. Der Undercover-Ermittler rät deshalb verzweifelten Frauen, „gutes Geld schlechtem nicht hinterherzuschmeißen“. Er wolle ehrlich zu ihnen sein.
Manche Opfer beauftragen ihn dennoch. Bakiner erklärt sich das so: „Um mit all dem abzuschließen, wollen sie den Mann, dem sie vertraut haben und von dem sie enttäuscht wurden, einfach gegenüberstehen und ihm ins Gesicht sagen, was für ein Schuft er ist.“Dann gehe es ihnen besser. Petra Maier möchte Scott „am liebsten eine schmieren“und ihn danach auffordern: „Geh doch einfach mal richtig arbeiten.“
Sie mache sich jeden Tag Vorwürfe, „jeden gottverdammten Tag“, dass sie auf den Mann reingefallen sei.
Scott muss mit einer blühenden Fantasie ausgestattet sein. Immer wieder stießen ihm und seiner Familie angeblich schlimme Dinge zu. Er behauptete, sein Sohn müsse dringend operiert werden und brauche Geld. In dem Lügenkonstrukt war Clint Eastwoods Sohn gerade nicht in den USA und hatte keinen Zugang zu seinen Konten. Petra Maier mag Kinder über alles und überwies Geld nach Amerika. „Ich wollte, dass dem Bua nichts passiert“, sagt sie. Ein gutes Herz lässt sich leichter ausbeuten.
Die beiden deutschen Frauen haben kein Geld mehr, um Scott und Chris jagen zu lassen. Für Bakiner und sein Team sind solche Einsätze gefährlich: „Als wir in Kenia einen Scammer aufgespürt haben, hatte er vier Bodyguards dabei, die wie große und breite Wrestler aussahen.“Doch die Ermittler kamen davon. Wenn Bakiner im KriminellenMekka Dubai Liebesbetrügern begegnet, trifft er Menschen, die ihr ergaunertes Vermögen zur Schau stellen: „Da stehen die Lamborghinis und Ferraris vor der Türe und an den Handgelenken prangen 25.000-Dollar-Uhren.“Dabei gibt es nach Kenntnissen des Ermittlers keine breit organisierte Liebesbetrüger-Mafia: Die Kriminellen gehen demnach meist in Gruppen von rund zehn Freunden ihrem Gewerbe nach. Einige schreiben die Frauen über soziale Netzwerke und Online-Dating-Plattformen an, andere bieten Menschen Geld, damit sie Konten für Überweisungen zur Verfügung stellen. Arbeitsteilung trägt auch im Verbrechermilieu zur Effizienz bei.
Bakiner hat beobachtet, dass Frauen Scammern viel höhere Summen überweisen, als das Männer bei weiblichen Betrügerinnen tun: „Männer hören nach zwei, drei Überweisungen auf, wenn die Frau nicht nach Deutschland kommt oder in ihrem Heimatland keine Treffen möglich sind.“Während Frauen vor allem von Afrikanern über den Tisch gezogen würden, konzentrierten sich auf Männer Täterinnen aus Osteuropa oder Südamerika. Neben „Top-Betrügern“, die Millionen einsammeln, gibt es viele kleine Fische. Bakiner erzählt von einem Fall aus Kenia, wo ein Mann sich mit Einnahmen von 600 bis 700 Euro pro Monat aus dem Liebesbetrugs-Geschäft begnüge. Seine Frau wisse alles und stehe hinter ihrem Mann. Nagen da nicht am einen oder anderen moralische Skrupel? „Fehlanzeige“, sagt der Ermittler. Scammer, die er getroffen hat, würden nur auf den aus ihrer Sicht unermesslichen Reichtum der Menschen verweisen. Die könnten das doch verschmerzen, heißt es dann.
Petra Maier kann das nicht. Nun läge es nahe, eine in ihren Gefühlen und ihrem Stolz verletzte Frau wie sie würde den Kontakt zu dem Mann, der sie ausgebeutet hat, abbrechen. Sie chattet aber nach wie vor mit Scott, doch nur aus einem Grund: „Ich bleibe so lange an ihm dran, bis ich ihn habe. Ich habe keine Angst vor ihm.“Für den Fall, dass sie dem Betrüger gegenübersteht, hat sich die Deutsche viel vorgenommen. Sie will ihm sagen: „Ich habe nichts mehr und du hast alles.“Vielleicht beendet Scott von sich aus den Kontakt zu der Deutschen.
In ihrer Heimat protzen sie mit LuxusAutos
Denn nur solange es etwas zu holen gibt, zeigen Scammer Charme-Ausdauer. Scott und sein Kompagnon Chris waren zuletzt derart dreist, gleich auf einen Schlag 430.000 Euro zu fordern, weil angeblich ein Sohn entführt worden sei und Erpresser Geld gefordert hätten.
Die Betrüger sind fleißig. Bakiner berichtet, sie bearbeiteten zehn bis 15 Frauen am Tag – und das je zehn bis 45 Minuten. Liebes-Krimineller zu sein ist ein Fulltime-Job. Petra Maier und ihre Freundin befinden sich in trauriger Gesellschaft. Der Detektiv weiß um den Fall einer Staatsanwältin, die auf einen Scammer reingefallen sei.
„Das ist alles echt der Hammer“, sagt Petra Maier erneut. Der Oberhammer war es für die Frau, als erst sie bei Scott und dann Paula Schmidt bei Chris angerufen haben: „Das war der Wahnsinn, die hatten doch beide die gleiche Stimme.“Wahrscheinlich tröstet es die Freundinnen nicht, dass andere noch viel mehr Geld verloren haben. Bakiner kennt das Schicksal eines Opfers, das einem Straftäter 1,3 Millionen Euro zukommen ließ. Das Landeskriminalamt nennt für einen anderen Fall eine deutlich höhere Schadensumme. Ludwig Waldinger vom LKA ist bewusst, dass sich viele der Frauen zutiefst schämen, den Internet-Liebesbetrug bei der Polizei anzuzeigen. Er appelliert jedoch an die Betroffenen: „Opfer einer Straftat brauchen sich nicht zu schämen. Sie sollten zu uns kommen.“