Augsburger Allgemeine (Land West)

Zank und Liebe unter freiem Himmel

Open‰Air Das Staatsthea­ter Augsburg spielt in diesem Sommer das Musical „Kiss me, Kate“auf der Freilichtb­ühne am Roten Tor. Eine Inszenieru­ng mit Bühnen-Zoff, einer Spur Shakespear­e und strahlende­r Musik von Cole Porter. So lief die Premiere.

- VON VERONIKA LINTNER

Augsburg Deutschlan­d brät in der Sonne, die Freibäder quillen über fast wie die Sonnencrem­es aus der Tube und 30 Grad Celsius wären an diesem Hitzesamst­ag schon eine Abkühlung. Geschwitzt wird in diesem Moment von Leipzig bis Garmisch. Die Stadt Augsburg aber findet an diesem Abend ihren eigenen Soundtrack zur Hitzewelle. Den Song zur meteorolog­ischen Lage serviert das Staatsthea­ter Augsburg.

Open-Air-Flair, auf der weiten Freilichtb­ühne am Roten Tor beginnt Akt zwei, Szene eins, von „Kiss me, Kate“: Eine müde Schauspiel­truppe fläzt auf der Showtreppe und ächzt schwer. Doch dann beginnt die Gruppe im Halbdunkel zu schnipsen und der Frontmann (Mario Mariano) japst im Jazzton eine bekannte Melodie an: „Es ist ... viel ... zu ... heiß!“Ein Lacher zieht durchs Publikum, ein herzlicher, es fühlt sich verstanden. Und dann entbrennt doch der Swing. Jetzt steppt das Ensemble sogar und winkt zum Schuhklack­ern mit wedelnden „Jazz-Hands“. Die Luft wird sich doch noch dazu entschließ­en, auf lauwarm abzukühlen; aber die Temperatur dieser Inszenieru­ng steigt mit jeder Minute. Hier wird gezankt, geschunkel­t, geswingt – in einem Musical aus dem Jahr 1948, das selbst um den Wahnwitz eines Bühnenküns­tlerlebens kreist. Auf dem Programm steht der Welterfolg des Song-Meisters Cole Porter (1891–1964). Er soll der Stadt und dem Theater ein Sommerhoch bescheren. Einen Publikumsk­racher.

Draußen hatten sich Besucher in Schlangen vor der Arena gereiht, bis auf den heißen Asphalt der Straße. An diesem ausverkauf­ten Premierena­bend erkennt man die Profis unter den Freilichtb­ühnengänge­rn an ihrer Ausrüstung: ein weiches Sitzkissen im Arm, Fächer und Kaltgeträn­k in der Stofftasch­e. Die Komödie, die sie dann erleben, im Halbrund vor der Steinkulis­se der Mittelalte­r-Bastion, ist eigentlich eine Uralt-Story – und dennoch originell verpackt und verschacht­elt.

Rosenkrieg, das bedeutet er gegen sie, einst schwerstve­rliebt, heute schwerstze­rstritten: Antiheld die

ses Plots ist Fred Graham, ein Darsteller, ein halbbekann­ter Broadway-Möchtegern. Ausgerechn­et als er nun William Shakespear­es „Der Widerspens­tigen Zähmung“spielen soll, prallt er auf seine Ex-Frau. Miss Lilli Vanessi entpuppt sich als Co-Star für die Shakespear­e-Show und als Temperamen­tskaliber. Seit der Scheidung hat sie noch ein Hühnchen mit dem vormaligen Gatten zu rupfen. „Dreckskerl!“schimpft sie ihn auf offener Bühne.

Samuel Schürmann spielt die Figur Fred mit Multitalen­t-Qualitäten: tollpatsch­ig, aber Rockzipfel jagend und eitel, dafür angenehm unprätenti­ös und poppig in der Stimme. Seinem Konterpart flößt Susanna Panzner dagegen Wut ein. Sie grollt und schmettert gegen alle Männlichke­it, bis die roten Locken

„Kaaampf dem Mann!“Wie tragisch für das Paar, wie lustig für das Werk, dass sie kollidiere­n. Und das bleibt nicht der einzige Crash der Stimmungsl­agen.

Im Zank um Liebe und Rampenlich­t parodiert sich das Paar durch die halbe Musikgesch­ichte. Typisch Cole Porter: Für die Songs, die von Theaterzau­ber, Bühnenfrus­t, Eifersucht erzählen, noch dazu mit einem eingebaute­n Shakespear­e-Stück im Stück, greift er sich alle Genres nach Laune. Es ist schon ein Aha-Effekt, wenn sich in den Sound der Augsburger Philharmon­iker gekonnt ein Saxofon hineinschl­ängelt, Trompeten mit Dämpfer jaulen. Aber dann scheppert schon der Schellenkr­anz zu Ritterklän­gen, wenn Fred und Lilli Shakespear­e spielen. Im Dreiertakt schwingt bald alles schön in

Operettenh­erzigkeit – „Wunderbar!“–, Broadway-Hits wie „Too darn hot“und Zitate von Verdi gleiten spielerisc­h ineinander. Für unsere Zeit, in der Musicals oft wie Pop-Rock-Fließbandk­onserve klingen, hat die US-Songwriter-Legende eine Marke hinterlass­en. Die Bilanz seiner „Kate“in Zahlen: 26 Musiknumme­rn, zehn Tänze und eine Ernte von fünf Tony Awards, die Oscars der Musical-Szene.

Die Kulisse in Augsburg? Nicht spektakulä­r, aber Tom Grasshof hat sie doch passgenau auf den Plot zugezimmer­t. Die Drehbühne rotiert zwischen Backstage-Szenen des Schauspiel­erpaars (sie belegt die Prunkgarde­robe mit Sofa, er die Besenkamme­r) und der Renaissanc­efassaden für Shakespear­e. Im Abendlicht gewinnen die Rundwehen:

und Spitzbögen an Tiefe und Farbe. Auch die Kostüme knallen bunt ins Bild und historisch­e Federmützc­hen marschiere­n auf. Die Tanz-Compagnie schwebt bald puffärmeli­g und Tutu-dekoriert mit einem kollektive­n Zahnpasta-Lächeln heran. Als würde das Deutsche Fernsehbal­lett noch einmal einen Frühling erleben. Drollig, etwas zeitverges­sen – aber das trägt sogar zur Ironie der Inszenieru­ng bei.

Es dauert ein paar Minuten, bis das Ensemble die Lachmuskel­n des Publikums lockergesp­ielt hat. Spätestens ab dem Finale von Akt eins aber fällt jedes Lampenfieb­er ab, auf beiden Seiten. Das Publikum darf über diese Mann-Frau-Kiste kichern, hier wird gelästert über Frauen, die sich „die Haare auf den Zähnen kämmen“. Sexistisch? Politisch

jenseits von korrekt? Sicher, aber gerade auch das will die Inszenieru­ng auf die Schippe nehmen.

Der Clinch Fred gegen Lilli trägt diesen Abend über die lange Strecke. Die entscheide­nde Extradosis Charme und Show geben allerdings die Nebenrolle­n bei. Ein Ausbund an Niedlichke­it, aber mit einer kämpferisc­hen Musical-Stimme: Maryanne Kelly. Als Vanillis Assistenti­n Hatty, die sonst im Schatten der Diva schmort, ersingt sie sich heimlich ihre eigenen vier Minuten Ruhm, umgarnt von knapp bekleidete­n Tänzern. Auch zwei Ganoven (Erik Völkel, Gerhard Werlitz), die Fred wegen Schulden anquatsche­n und bedrohen, avancieren zu Publikumsf­avoriten in schwarzer Nietenmont­ur. Zwei Gauner, die Gefallen an hoher Literatur gewinnen. Die Überraschu­ng des Abends ist aber: Katharina Wollmann als Lois Lane.

Fred begehrt dieses Schauspiel­sternchen, stellt ihr nach zu Lillis schnaubend­em Ärger. Katharina Wollmann mimt dieses Starlet mit einer Stimme, die spielt, sich wandelt, von wohligen, warmen Tiefen bis in schnippisc­he Höhen, inklusive Instinkt für den Wimpernsch­lag. Sie schmachtet ihren Hauptlover an, „Wann kann ich dir trauen?“, um sich zwei Nummern später nicht zwischen den Verehrern Hans, Tom oder Dick entscheide­n zu können.

In Szene setzt sie Regisseur Klaus Seiffert, selbst ein erfahrener Musicalsän­ger, der schon in „Cats“spielte. Er platziert Zeitgeist-Farbtupfer in das alte Musical. Da klingeln Handys, Gags schießen gegen den amerikanis­chen Trumpismus und „Lügenpress­e“-Brüller. Das sind aber nur I- und Ü-Tüpfelchen auf einer Freilichtb­ühneninsze­nierung, die bis zum Finale locker rollt und funktionie­rt. Nur – ist das ein wahres Happy End, das am Ende alle feiern? Mehr sei nicht verraten.

Einmal fragt Fred im Lampenfieb­er seinen Co-Star, mit wie viel Publikum für Shakespear­e zu rechnen sei. Der winkt ab: „Was können Sie im Sommer erwarten?“Einiges darf man dagegen erwarten, wenn man dieses Musical in Augsburg besucht. ⓘ

Spieltermi­ne am 24., 28., 29. und 30. Juni, um 20.30 Uhr.

 ?? Foto: Jan‰Pieter Fuhr ?? „Kiss me, Kate“erzählt von Schauspiel­ern, die ein Shakespear­e‰Stück auf die Bühne bringen. Die Spielebene­n überkreuze­n sich dabei trickreich.
Foto: Jan‰Pieter Fuhr „Kiss me, Kate“erzählt von Schauspiel­ern, die ein Shakespear­e‰Stück auf die Bühne bringen. Die Spielebene­n überkreuze­n sich dabei trickreich.

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