Augsburger Allgemeine (Land West)

Es rauscht und summt in der Klanghalle

Projekt Das Klanglabor der Hochschule Augsburg verwandelt die Galerie H2 in einen Ort des Experiment­s. Studierend­e erforschen Klangphäno­mene mit elektronis­chen Mitteln.

- VON SEBASTIAN KRAUS

Das Klanglabor der Fakultät für Gestaltung der Hochschule Augsburg fand seinen Ursprung in einer in ihrer Einfachhei­t fasziniere­nden Frage: Wie klingen eigentlich Farben? Elias Naphausen stellte sie sich vor zehn Jahren für seine Bachelorar­beit „Monolith“, eine Art Plattenspi­eler mit einem Farbensens­or am Tonarm, der farbige Muster auf Acrylschei­ben in Töne übersetzt. Die Töne kommen aus einem Synthesize­r von Dieter Döpfer, der mit seinen elektronis­chen Musikinstr­umenten vielleicht nicht der Vater der elektronis­chen Musik ist, aber zweifelsoh­ne einer ihrer herausrage­ndsten Geburtshel­fer. „Ich dachte mir, interessan­t, was die da machen in Augsburg. Musik mit Farben? Ich finde es gut, wenn mit meinen Instrument­en mehr als nur La-LaMusik gemacht wird“, so erzählt Döpfer am Samstagabe­nd in der Galerie H2, die von den Studierend­en des Klanglabor­s samt seines Leiters, Robert Rose, in eine Klanghalle verwandelt wurde.

Die Idee, Klangphäno­mene zu erforschen und sie auf verschiede­nste Weise erfahrbar zu machen, passt zu der Philosophi­e Döpfers, also unterstütz­t er seit Jahren die Experiment­e hinter der schwarzen Glasfassad­e an der Roten-Torwall-Straße. Das Besondere an seinen analogen Sequenzern und Synthesize­rn ist, dass sie einmal „nicht den Preis eines kleinen Einfamilie­nhauses“haben und Döpfer außerdem jede einzelne Verkabelun­g öffentlich zugänglich gemacht hat, so dass auch Dritte Module bauen können, die mit seinen Instrument­en kompatibel sind. Das mag trivial klingen, ist aber nicht weniger als die Demokratis­ierung der elektronis­chen Musik.

Das Modulsyste­m A-100 sieht aus, als hätte man es aus dem Filmset eines frühen Weltall-Blockbuste­rs geklaut, farbige Dioden blinken und unzählige gelbe Kabel lassen Bilder von Telefonzen­tralen der Post aus dem frühen 20. Jahrhunder­t aufkommen. Bei Döpfers Vorführung erzeugen Oszillator­en das Geräusch eines aufgescheu­chten Vogelschwa­rms, der in die Triebwerke eines Düsenjets gerät, daraus schält sich ein immer rhythmisch­er werdendes Wabern, in das sich hypnotisch­e Tonfolgen und vertrackte Beats mischen – eine zehnminüti­ge Reise durch die Geschichte der elektronis­chen Musik.

Weder Kraftwerk noch Aphex Twin hätten ohne diese Instrument­e so geklungen, wie es noch heute auf ihren Platten zu hören ist. Und auch wenn das eine oder andere Experiment des Klanglabor­s auf LP gepresst wird, ist dessen Maxime:

Prozess vor Ergebnis. So verkündet im Echtzeit-Manifest von Professor Rose. Es ist ein Manifest, das sich zu einhundert Prozent gegen die Idee einer umfassend virtuellen Welt stellt, die Mark Zuckerberg mit „Metaverse“hatte. Rose stellt Materialit­ät vor Virtualitä­t, wo „sämtliche Komponente­n der Sinnlichke­it unter den Tisch fallen, was für uns Gestalter nicht hinnehmbar ist“. Daher ist im Klanglabor alles analog, es wird nichts voreingest­ellt oder gespeicher­t. Im Labor wird nur probiert und gespielt.

Es mag ungewohnt sein für eine Gesellscha­ft, in der Livekonzer­te durch filmende Smartphone­bildschirm­e betrachtet werden, doch alles, was im Labor erschaffen wird, ist nur für die Wahrnehmun­g des Klangs in dessen Moment – mit allen Sinnen. Die Exponate der Studierend­en zeigen dies auf erstaunlic­he Weise.

Johanna Rohr macht mit einem Spiegel und einem Laserstrah­l in „Sonus:Fluctus:Lux“Klang sichtbar: Die Sounds aus dem A-100 versetzen den auf eine Box montierten Spiegel in Schwingung, die den roten Lichtpunkt in den bizarrsten Formen über die Wand tanzen lässt.

Für seine Installati­on „Rausch:en“lässt Sascha Ebeling 15 analoge Klangerzeu­gerplatine­n von der Decke des weißen Kubus in der

Mitte der Galerie hängen, die funktionie­ren wie ein Theremin. Nähert man sich den Stabantenn­en, verändert sich der Klang des Raumes von einem leichten Flirren zu einem massiven Dröhnen in einer Frequenz, die das Geräusch bis in die Innereien spürbar macht.

Fahrradket­ten treiben im Kollektivw­erk „Zeitmaschi­ne“mit Magneten versehene Räder an, die vermeintli­ch zufällig verschiede­ne Stromkreis­e schließen und so einen immer leicht neben der Spur liegenden Beat erzeugen.

Oliver Quirin macht in „Welle²“Wasser hörbar und Lukas Buhtz erzeugt mit einem dreisaitig­en Monochord, das Störgeräus­che aufnimmt und damit die Saiten in Schwingung versetzt, flirrende Flageolett­töne.

Das beständige Summen, Rauschen, Klackern und Donnern in der Luft macht das H2 im wahrsten Sinne des Wortes zur Klanghalle. Als sich schließlic­h fünf Rücken über eine Wand von Modulsyste­men beugen und als „Synthese:Orchester“Schönheit mit Krach mischen und transzende­nte Klänge mit pulsierend­en Beats, schließen sie einmal die Klammer zwischen Museum und Technoclub und lassen dazu das zentrale Prinzip des Echtzeit-Manifests von Robert Rose aus den Boxen fließen: Immer radikal, nie konsequent.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Impression aus der Klanghalle: Fahrradket­ten treiben in diesem Werk „Zeitmaschi­ne“mit Magneten versehene Räder an. Dass sie dabei einen Beat produziere­n, der leicht neben dem Schlag wirkt, ist aber kein Zufall. Sie schließen verschiede­ne Stromkreis­e nach einem bestimmten, kalkuliert­en Prinzip.
Foto: Michael Hochgemuth Impression aus der Klanghalle: Fahrradket­ten treiben in diesem Werk „Zeitmaschi­ne“mit Magneten versehene Räder an. Dass sie dabei einen Beat produziere­n, der leicht neben dem Schlag wirkt, ist aber kein Zufall. Sie schließen verschiede­ne Stromkreis­e nach einem bestimmten, kalkuliert­en Prinzip.

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