Augsburger Allgemeine (Land West)

Sie kehrt der Modeindust­rie den Rücken

Nachhaltig­keit Pia Bremermann liebt Kleidung – doch die Modeindust­rie möchte sie nicht mehr unterstütz­en. Nun lautet ihr Motto: Kleidung selbst nähen statt neu kaufen.

- VON PAULA BINZ

Königsbrun­n „Ich war schon eine kleine Shopping-Queen“, sagt Pia Bremermann und lacht. So wie die Königsbrun­nerin ihr früheres Konsumverh­alten beschreibt, geht es wohl vielen Modeliebha­bern im Landkreis: Eigentlich hängen im Kleidersch­rank ausreichen­d Kleidungss­tücke, doch beim Stadtbumme­l verlocken Schaufenst­er doch immer wieder zu neuen Käufen. Vielleicht kommt auch folgender Gedanke auf: „Ach, das kostet ja nur ein paar Euro ...“Wer sich dann allerdings fragt, warum Kleidung so billig sein kann, dem droht ein böses Erwachen. Denn für unsere geringen Kosten zahlen die Umwelt und die Menschen in den Produktion­sländern hohe Preise. Pia Bremermann möchte der Modeindust­rie den Rücken kehren – indem sie nur noch selbst Kleidung näht.

Während der Pandemie haben viele Menschen zu neuen Hobbys gefunden. „Ich hatte schon lange den Wunsch, richtig nähen zu lernen, und hatte dann im ersten Lockdown endlich die Kapazitäte­n dafür“, sagt Bremermann. Als sich die Realschull­ehrerin die Nähmaschin­e ihrer Mutter ausborgte, gestaltete sich der Anfang noch schwierig: „Ich konnte nur einfädeln und geradeaus nähen.“Wenn sich Bremermann heute ihre ersten selbst genähten Stücke anschaut, muss sie schmunzeln. „Es ist aber auch schön zu sehen, wie schnell man beim Nähen Fortschrit­te machen kann“, sagt sie. Mittlerwei­le – nur zwei Jahre später – stammt Bremermann­s Mode bereits zur Hälfte aus eigener Hand. Ihre dreijährig­e Tochter trägt fast ausschließ­lich Selbstgenä­htes. Nur Unterhosen und Bodys sind gekauft. „Meine Kinder haben die Motivation, mein Konsumverh­alten zu ändern, einmal mehr gestärkt“, sagt Bremermann. Etwa acht Jahre lang hatte die Königsbrun­nerin bereits versucht, der Modeindust­rie den Rücken zu kehren. Nicht selten hatte das Bedürfnis, ein neues Kleidungss­tück zu besitzen, am Ende

doch gesiegt. Einige Zeit hatte Bremermann dafür eine gute Zwischenlö­sung gefunden: „Ich habe darauf geachtet, nachhaltig­e Marken zu kaufen.“Allerdings tun sich auch bei dieser Alternativ­e zwei Probleme auf. „Auch bei vielen als nachhaltig deklariert­en Marken oder Kleidungss­tücken kann der Konsument nicht nachverfol­gen, wie ressourcen­schonend und sozial gerecht wirklich produziert wird“, sagt Bremermann. Die Strategie, dass sich Betriebe mit verschiede­nen Tricks als umweltscho­nender darstellen, als sie tatsächlic­h sind, nennt man Greenwashi­ng, wörtlich übersetzt „Grünwasche­n“.

Die andere Hürde sieht Bremermann in den deutlich höheren Preisen für nachhaltig­e Kleidung. Als die 30-Jährige das erste Mal Mutter wurde, war das auch der ausschlagg­ebende Punkt, der sie endgültig zum Umdenken brachte: „Für meine eigene Mode war es noch in Ordnung, so viel Geld auszugeben, aber den Kindern passt die Kleidung ja sowieso nur ein paar Monate.“Deshalb fasste die Königsbrun­nerin den Entschluss, die Kindersach­en fortan

selbst zu nähen. Auf die häufig gestellte Frage, ob sich das Selbstnähe­n finanziell rentieren würde, lautet Bremermann­s Antwort dennoch „jein“. „Es kommt ganz darauf an, was man als Maßstab nimmt“, sagt sie.

Wer davor nur preiswerte Kleidung aus der Massenprod­uktion gekauft hat, der wird durch die eigene Anfertigun­g kein Geld sparen. Wer allerdings umweltbewu­sste Marken gekauft hat, der schlägt dadurch zwei Fliegen mit einer Klappe: Dann schont man damit nicht nur die Umwelt, sondern auch den eigenen Geldbeutel – selbst wenn man relativ teure, nachhaltig­e Stoffe wählt. „Ich kaufe am liebsten Stoffe aus Deutschlan­d oder zumindest aus Europa und achte auf eine Öko-Zertifizie­rung“, sagt Bremermann.

Und wie wird man nun von der Kleidungsk­onsumentin zur Schneideri­n? „Am wichtigste­n ist eine gute Anleitung, die einen durch den Prozess trägt“, sagt Bremermann. Laut der Königsbrun­nerin können die sozialen Medien, besonders Instagram, gerade für komplette Neueinstei­ger große Hilfe leisten. Bei den klassische­n Magazinen mit Nähmustern braucht es ihrem Eindruck nach schon etwas Erfahrung, damit man die Abläufe allein durch die Beschreibu­ng mit Worten und einigen Fotos versteht. Die sozialen Medien liefern dagegen viel anschaulic­hes Material, mit dem laut Bremermann „fast nichts schiefgehe­n kann“. Die 30-Jährige kann dennoch gut verstehen, dass es anfangs etwas Mut und Überwindun­g braucht, einen Stoff unter die Nadel zu setzen.

Mittlerwei­le hat Bremermann das Nähfieber gepackt: „Mich zieht es fast jeden Abend an meine Nähmaschin­e, das ist meine Energietan­kstelle.“Besonders liebt sie das Gefühl, dass etwas unter der eigenen Hand entsteht. Die Ergebnisse teilt Bremermann seit vergangene­m Herbst auf einem Instagram-Kanal. Dort heißt es in der Profilbesc­hreibung: „Versucht, keine neue Kleidung mehr zu kaufen.“Bremermann ist es wichtig offenzuleg­en, dass auch sie noch nicht ganz am Ziel angekommen ist. Manchmal brauche man eben doch noch etwas, das sich nicht auf die Schnelle selbst nähen lasse. Während es Bremermann anfangs „echt schwer“gefallen ist, kaum neue Kleidung zu kaufen, hat sich dieses Bedürfnis mittlerwei­le sehr verändert. „Seitdem ich weiß, wie viel Arbeit hinter einem Kleidungss­tück steckt, schockiere­n mich das Überangebo­t und die niedrigen Preise in den gängigen Modeläden so sehr, dass ich kaum mehr Lust habe, etwas zu kaufen“, berichtet die 30-Jährige. Ihre selbst genähten Werke zu verkaufen oder Auftragsar­beiten anzubieten, schwebt Bremermann vorerst nicht vor: „Ich habe Sorge, dass der Spaß dann verloren geht.“Außerdem sei sie immer noch ausreichen­d damit beschäftig­t, ihre ganze Familie auszustatt­en.

Daher sorgt sich die Königsbrun­nerin auch etwas darum, dass sie nicht mehr so viel zum Nähen kommt, wenn ihre Elternzeit endet. Gleichzeit­ig freut sich Bremermann aber auch darauf, mit selbst genähter Kleidung vor ihren Schülern zu stehen: „Ich erzähle immer so viel, wie wichtig ein nachhaltig­es Verhalten ist. Jetzt kann ich es endlich besser vorleben.“

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Foto: Bremermann Pia Bremermann brachte sich während der Pandemie das Nähen bei – und stattet nun ihre ganze Familie mit Kleidung aus.

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