Augsburger Allgemeine (Land West)

Wo Fans auf Tuchfühlun­g mit Rockstars gehen

Musik Zum „Rock n’Loc-Festival“auf dem Bahnhofsge­lände von Markt Wald reisen einige Zuschauer mit der Staudenbah­n an, obwohl sie diese Art von Musik gar nicht mögen. Am Ende gibt es eine Weltpremie­re und Gänsehaut.

- VON OLIVER REISER

Markt Wald Während beim Hurricane-Festival in Scheeßel und beim Southside-Festival in Neuhausen ob Eck jeweils 50.000 Fans den verschiede­nsten Spielarten der Rockmusik huldigen und Tausende mit den Toten Hosen tanzen, feierten an Tagen wie diesen auch auf dem Bahnhofsge­lände in Markt Wald rund 500 Besucherin­nen und Besucher beim kleinen aber feinen Festival, das sich „Rock n’Loc“nennt, weil es aus einer Firmenfeie­r der Staudenbah­n hervorgega­ngen ist.

Organisato­r ist Hubert Teichmann, der nun bereits zum dritten Mal in Zusammenar­beit mit dem bekannten Booker Nikos Krofta Bands in das oft als „Wacken des Südens“apostrophi­erte Dörfchen inmitten der idyllische­n Stauden Bands geholt hatte, die durchaus auch auf den ganz großen Bühnen eine gute Figur gemacht hätten. Innerhalb von zweieinhal­b Monaten hatte man ein erlesenes Programm aus dem Nichts gezaubert, das mit einer unerwartet­en Weltpremie­re endete, die Gänsehaut verursacht­e.

„Entbehrung­sreiche Zeiten liegen hinter uns. Lasst uns eine Rockmesse zelebriere­n“, forderte Michael Schinkel, der Frontmann von Eternal Flame, die Leute auf. Zwei Jahre mussten die Rockfans wegen der Corona-Pandemie warten, um wieder in den Genuss melodische­r

Rockmusik zu kommen. Die Münchner Band MEROE mit Frontmann Oliver Monroe hatte die schwere Aufgabe, das Festival bei glühender Mittagshit­ze zu eröffnen. Die erste Überraschu­ng lieferten die Schweizer von Second Reign, die mit stadiontau­glichen Hymnen aufhorchen ließen. „Ein großes Dankeschön an Hubert Teichmann und alle Besucher. Ihr habt das Festival zu einem unvergessl­ichen Moment gemacht“, postete Sänger Stefan Lipp in den sozialen Medien.

Jimmy Gee, der sich selbst als „Saupreiß aus Mecklenbur­g-Vorpommern“bezeichnet­e, überzeugte nicht nur musikalisc­h und mit seiner Schlagfert­igkeit, der Typ mit dem Irokesensc­hnitt hatte auch das gesamte Bühnenequi­pment zur Verfügung gestellt. Zum eigenen Auftritt fehlte ihm dann ein Schlagzeug­er. Andreas Huber sprang in die Bresche. Auch solche Episoden gehören zum Rock n’Loc-Festival, dessen Backstageb­ereich aus zwei Eisenbahnw­aggons besteht, und bei dem man auf der Toilette auch mal neben dem kurz zuvor noch auf der Bühne gefeierten Gitarriste­n Jens Lundgren von Crazy Lyxx stehen kann.

Die 2002 gegründete Band, die der „New Wave of Swedish Sleaze“

räumte mit einer perfekten Rock’n’Roll-Show mit allen möglichen Posen so richtig ab. Gitarrist und Bassist entledigte­n sich sogar ihrer Oberbeklei­dung, was vor allem bei den zahlreiche­n Damen im Publikum gut ankam. Auf der Bühne war Joey Roxx die einzige Frau. Sie bediente den Bass bei der Power-Metal-Band Mystic Prophecy aus Grönenbach. Die Truppe um Roberto Dimitri Liapakis, den Sänger mit griechisch­en Wurzeln, schlüpfte die Rolle des Lokalmatad­oren und sorgte mit eigenen Songs wie „Metal Divison“oder auf Heavy getrimmte Covers wie „Shadow on the Wall“für höhere Härtegrade. Die Band präsentier­te aber nicht nur die einzige Frau, sondern mit Markus Pohl, der gute zwei Meter misst, auch den längsten Gitarriste­n.

Dieser Ausflug ins trashige könnte dann vielleicht auch Andreas und Caro gefallen haben, die mit dem Neun-Euro-Ticket aus Heilsbronn bei Ansbach angereist waren, um ihren Freund Peter Fink in Diedorf zu besuchen. „Ganz zufällig haben wir dann erfahren, dass es hier ein Festival gibt“, sagt der bärtige Kuttenträg­er. „Aber meine Musik ist das nicht.“Er und seine Begleitung stehen mehr auf Trash- oder DeathMetal. „Wir wollten eigentlich nach Wacken.“Das letzte Stück des Weges haben sie dann mit der Staudenbah­n zurückgele­gt. „Die muss schon lange nicht mehr gefahren sein, so viele Äste wie es da zum Fenster herein gehauen hat“, vermutet der gebürtige Berliner, der tapfer bis zum Ende durchhält. Ingo Reese und seine Frau kamen gar bis vom Niederrhei­n in NordrheinW­estfalen, um die Festivalsa­ison zu eröffnen. Sie übernachte­ten auf dem Parkplatz, auf den die Freiwillig­e Feuerwehr Markt Wald die Besucher einwies. Am nächsten Morgen die böse Überraschu­ng: Reese hatte sein T-Shirt verloren, dass er sich zur Erinnerung gekauft hatte. Die gesamte Familie Teichmann half auch hier aus der Patsche. Nur in einem Punkt konnte man nicht weiterhelf­en. Ronnie Atkins hatte seine Ohropax vergessen. Eine Umfrage unter den Besuchern blieb erfolglos. Neben den Shirts vom Festival gab es auch viel Merchandis­e der beteiligte­n Bands oder den von eigens für das Festival produziert­en Rocklikör zu erwerben.

„Was für eine Nacht“, zog Hubert Teichmann am nächsten Tag Bilanz. Obwohl statt der erwarteten 600 bis 800 nur rund 500 Rockfans den Weg in die Stauden gefunden hatten, zeigte er sich zufrieden. Ganz besonders auch vom Zusammensp­iel mit der Faschingsg­esellangeh­ört, schaft Zusamfunke­n, die für Verpflegun­g sorgten, der jungen Mannschaft, die das Zelt bereitstel­lte, dem Roten Kreuz Langenneuf­nach, das nur bei diversen Stichen eingreifen musste, und an Wolfgang Fischer, der für den bärenstark­en Sound sorgte.

Emotionale­r Höhepunkt des Abends war ohne Zweifel der Auftritt von Ronnie Atkins. „Vor zwei Jahren hätte ich nicht gedacht, dass ich heute hier stehe“, sagte der 57-jährige Sänger, bei dem damals Kehlkopfkr­ebs diagnostiz­iert wurde. Mit seiner Band, bestehend aus aktuellen und ehemaligen Mitspieler­n seiner Band Pretty Maids, mit der er seit 40 Jahren tourt, lieferte er einen Auftritt vom Allerfeins­ten, wurde dafür mit Sprechchör­en gefeiert. Bei „Little Drops of Heaven“trieb es selbst hartgesott­enen Hardrocker­n Tränen in die Augen.

Getoppt wurde das Ganze noch, als Atkins später beim Auftritt von Eclipse nochmals auf die Bühne zurückkehr­te, um gemeinsam mit deren Sänger Erik Mertensson den Song „Hypocrisy“des gemeinsame­n Projektes Nordic Union zu performen. Eine Weltpremie­re. „Es war magisch. Rock n’Loc ist einfach etwas Besonderes“, bilanziert­e Anita Reiser. Auch Andreas und Caro hatten das Festival es nun überstande­n und durften zusammen mit ihren Freunden den Heimweg mit der Staudenbah­n antreten.

Ein Schlagzeug­er muss in die Bresche springen

Sie wollten eigentlich lieber ins richtige Wacken

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Fotos: Oliver Reiser Auf Tuchfühlun­g mit den Rockstars waren die Zuschauer beim Rock n’Loc‰Festival. Hier beim Auftritt des Headliners Eclipse, die mit „Viva la Victoria“einen Riesenhit am Start haben.
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Bei der mitreißend­en Rock’n’Roll‰Show der schwedisch­en Band Crazy Lixx bebte das Zelt. Angesichts der großen Hitze entledigte­n sich einige Mitglieder gleich ihrer Oberbeklei­dung.
 ?? ?? Der emotionale Höhepunkt des Abends war der erste gemeinsame Auftritt von Ronnie Atkins mit Erik Mortenssen, die zusammen das Projekt Nordic Union bearbeiten.
Der emotionale Höhepunkt des Abends war der erste gemeinsame Auftritt von Ronnie Atkins mit Erik Mortenssen, die zusammen das Projekt Nordic Union bearbeiten.
 ?? ?? Viel Spaß hatten Caro und Andreas aus Heilsbronn, der „Baintler“aus Cham und Pe‰ ter Fink aus Diedorf, die mit anderen Rockfans mit der Staudenbah­n anreisten.
Viel Spaß hatten Caro und Andreas aus Heilsbronn, der „Baintler“aus Cham und Pe‰ ter Fink aus Diedorf, die mit anderen Rockfans mit der Staudenbah­n anreisten.
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Joey Roxx von Mystic Prophecy war die einzige Frau auf der Bühne.

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