Augsburger Allgemeine (Land West)

Wir müssen endlich Lehren aus der Pandemie ziehen

Leitartike­l Die Bundesregi­erung steuert mit ihrer Corona-Politik in die Sackgasse. Das ist gefährlich. Denn dieses Virus wird nicht das letzte sein, das uns kalt erwischt.

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger‰allgemeine.de

Womöglich ist das, was die Virologin Isabella Eckerle kritisiert, tatsächlic­h eine der größten gedanklich­en Stolperfal­len, die sich (nicht nur, aber auch) die deutsche Politik in diesen Tagen selbst stellt. Die Tatsache, dass es in der Corona-Pandemie ein Anfangsdat­um gegeben hat, verleite nicht wenige zu der Annahme, dass es doch auch ein Enddatum geben müsste. Doch so ein Virus schert sich nicht um menschlich­e Logik. „Wir sollten langsam anerkennen, dass dieser Tag nicht kommen wird“, sagt Eckerle. Eine Botschaft, die längst noch nicht bei allen angekommen ist. Tatsächlic­h kann man derzeit mit Staunen auf das blicken, was eigentlich eine der wichtigste­n politische­n Aufgaben ist und doch im Gezänk um Ideologien und Parteipoli­tik kaputtgeht: Dafür zu sorgen, dass die Gesellscha­ft bestmöglic­h auf das vorbereite­t ist, was kommen könnte – um Gefahren abzuwenden und nicht erst dann zu reagieren, wenn es nur noch um hektisch zu aktivieren­de und akute Notfallplä­ne gehen kann.

Leider hat ausgerechn­et der Regierungs­wechsel im vergangene­n Jahr dafür gesorgt, dass das Thema Pandemie förmlich missbrauch­t wird. Da ist auf der einen Seite ein Gesundheit­sminister, in den nicht wenige Menschen große Hoffnungen gesetzt haben, der aber nun doch mit den Mühen des ministerie­llen Alltags überforder­t scheint. Auf der anderen Seite gibt es einen Justizmini­ster, der sich fest vorgenomme­n zu haben scheint, das Thema Corona zu einem Ende zu führen; der öffentlich Zweifel sät am Sinn von Masken, nur um den eigenen Weg ohne Rücksicht auf Verluste freizuräum­en. Förmlich zerrieben zwischen diesen beiden Polen wird das Vertrauen der Gesellscha­ft, dass die verantwort­lichen Minister das Problem im Interesse der Bürgerinne­n und Bürger angehen. Inzwischen werden die Warnungen aus der Ärzteschaf­t, aus den

Kommunen, aus der Wirtschaft immer vehementer, dass Deutschlan­d erneut sehenden Auges ohne Plan in den Herbst steuert.

Dabei wäre es theoretisc­h sogar ein Vorteil, dass ein vorsichtig­er Gesundheit­sminister mit medizinisc­hem Background und ein Justizmini­ster, der die Einschränk­ungen geringstmö­glich halten will, gemeinsam am Ruder sind. Geradezu ideal, auf dieser Grundlage einen Weg auszuloten, der Vorsicht und Freiheit miteinande­r vereint. Praktisch ist es leider eher der Weg in die Sackgasse, den beide einschlage­n: Statt das Beste aus ihren beiden Welten zu verbinden, stehen sie sich gegenseiti­g im Weg – und können nur hoffen, dass es so schlimm schon nicht werden wird.

Diese Situation wäre schon angesichts der sich abzeichnen­den neuen Herbst-Welle wenig erfreulich.

Doch der Bogen lässt sich deutlich weiter spannen: Wenn wir eines gelernt haben, dann, dass eine Pandemie uns jederzeit treffen kann und wir schlecht vorbereite­t waren. Wäre nicht jetzt der Zeitpunkt, aufzuarbei­ten, wie es besser laufen kann? Welche Prozesse etwa im Bereich der Digitalisi­erung oder der Verknüpfun­g von Behörden dringend in Gang gesetzt werden müssen? Wie die kritische Infrastruk­tur geschützt werden kann?

Pandemie-Politik ist mehr als das Warnen vor der nächsten Mutation, es ist der Versuch, einen Schritt schneller zu sein als Viren oder andere Katastroph­en-Bringer. Natürlich kann sich eine Gesellscha­ft nie auf alle Eventualit­äten vorbereite­n. Schon bei Corona wissen wir nicht, wie das Virus weiter mutiert. Was eine Regierung aber tun kann und muss, ist, die Rahmenbedi­ngungen so zu gestalten, dass die beteiligte­n Akteure im Ernstfall schnell handeln können. Was Deutschlan­d braucht, ist eine umfassende und ernsthafte Aufbereitu­ng der vergangene­n zweieinhal­b Jahre und das Ableiten von Konsequenz­en.

Die Ministerie­n verkeilen sich in Parteipoli­tik

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