Augsburger Allgemeine (Land West)
„Jeder darf über Witze zu Antisemitismus lachen“
Interview Die jüdische Verlegerin Myriam Halberstam ruft dazu auf, dem Hass auf Juden mit Humor zu begegnen. Anfeindungen müssten ein Partythema werden. Warum sagt sie das?
Halberstam, Sie waren gerade in der Augsburger Synagoge zu Gast – einem ehrwürdigen Bau, der im Novemberpogrom 1938 geschändet wurde. Dort forderten Sie die Besucherinnen und Besucher auf, Antisemitismus mit Humor zu begegnen, über Antisemiten zu lachen. Warum tun Sie das? Myriam Halberstam: Humor kann natürlich nur eines der Mittel sein, mit Antisemitismus umzugehen. Man steht ja oft so hilflos da und fragt sich: „Wieso sind die Menschen so engstirnig und hasserfüllt, und was kann man dagegen tun?“Es ist wirklich sehr, sehr schwer, dem entgegenzuwirken. Viele Menschen wissen ja gar nicht: „Wo fängt Antisemitismus an?“Viele möchten dann gar nicht das Wort Jude aussprechen, weil sie schon Angst haben, dass das antisemitisch ist. Und dann ist es eine Erleichterung zu merken, dass man einfach mal darüber lachen kann.
Inwiefern ist Humor ein Mittel gegen Antisemitismus?
Halberstam: Ein Thema, mit dem man sich nicht gerne beschäftigt, das peinlich ist oder bei dem man Schuldgefühle hat, verdrängt man, oder man schiebt es weg. Aber in dem Moment, wo etwas Spaß macht, wo die Menschen sich darüber amüsieren, da befassen sie sich auch damit.
Darf jeder Witze über Antisemitismus machen?
Halberstam: Darf jeder Witze über Behinderte machen? Nein. Man braucht die richtige Perspektive. Nicht unbedingt die jüdische, aber eine menschliche Perspektive. Eine wertschätzende Perspektive. Darum geht es. Wertschätzende Witze, die eine schlimme Situation entlarven. Das ist schon eine große Kunst.
Darf jeder über Witze über Antisemitismus lachen?
Halberstam: Ja, natürlich.
Sie haben ein Buch herausgegeben: „#Antisemitismus für Anfänger“. Cartoons und Texte nähern sich darin dem Antisemitismus auf satirische, humoristische Weise. Mittlerweile gibt es eine gleichnamige Ausstellung, gerade ist sie im Jüdischen Museum Franken in Schnaittach zu sehen. Was möchten Sie damit bewirken?
Halberstam: Wenn man sich selbst vielleicht erkennt in einem Cartoon und darüber lachen kann, dann ist man auf einem guten Weg. Dann bildet man sich weiter. Und natürlich geht es darum, den Antisemitismus auch als das Übel unserer Zeit
zu sehen. Unsere Cartoonistinnen und Cartoonisten haben es geschafft, das Thema mit einem Unterhaltungswert zu versehen. Und ich glaube, dass das für Bildung immer wichtig ist. Je mehr man sich unterhalten fühlt, desto weniger merkt man, dass man gerade etwas lernt.
Sie selbst sind Jüdin. Was macht den jüdischen Humor aus?
Halberstam: Dass er zutiefst demokratisch ist, dass er die Obrigkeit kritisiert. Dass er Missstände ankreidet. Dass er eine gewisse Portion Selbstironie mitbringt. Das jüdische Volk war über die Jahrhunderte seiner Geschichte hinweg oft unterdrückt. Jüdischer Humor bedeutet, dass man über die eigene Misere lacht und so die Macht über die Situation wiedererlangt. Das ist eine Selbstermächtigung.
In Bayern ist die Zahl der antisemitiFrau
schen Straftaten 2021 stark gestiegen, es gab mehr als 500 meist rechtsextreme Übergriffe. Eine der Karikaturen thematisiert den Umgang damit. Ein Reporter fragt darin sein Gegenüber: „Wie viel Prozent Antisemitismus halten Sie aktuell für vertretbar?“Legt das nahe, dass ein gewisses Maß an Antisemitismus quasi alltäglich geworden ist?
Halberstam: Zum Teil sicherlich. Wobei natürlich die Erinnerungskultur sich mit dem Antisemitismus in der Vergangenheit auseinandersetzt. Aber wir brauchen auch eine Auseinandersetzung mit dem alltäglichen Antisemitismus, der noch immer in den Köpfen verankert ist und der auch vielfach unbewusst ist.
Haben Sie ein Beispiel?
Halberstam: Wenn man etwa in den Bus einsteigt, seine Fahrkarte zeigt, und dann sagt der Busfahrer: „Die ist falsch herum, wir sind doch hier
nicht bei den Juden.“Ja, das ist Antisemitismus. Solche Sachen merken die Leute oft gar nicht. Unterschwelliger Antisemitismus, der eigentlich immer weitergetragen wird. Es ist auch immer noch so, dass an Schulen Vorurteile herrschen, auch unter den Lehrkräften. Wenn eine Ethik-Lehrkraft zum Beispiel sagt, alle Juden würden Araber hassen. Den Fall gab es. Und dann hat man in einem Schwall 32 neue Antisemiten geschaffen.
Was kann man dagegen tun? Sollte Ihr Buch Schullektüre werden? Halberstam: Oh ja, das wäre ein großer Wunsch. Und ich wünsche mir, dass Lehrer als ganz festen Bestandteil ihrer Ausbildung Seminare zum modernen Antisemitismus durchlaufen. Und dass es Workshops an den Schulen gibt: Wie bekämpft man Antisemitismus, statt ihn kleinzureden? Das ist ja auch eine sehr beliebte Methode, die Bagatellisierung.
Heute gibt es hierzulande mehrere Antisemitismusbeauftragte. In Bayern etwa ist es der frühere Kultusminister Ludwig Spaenle. Auch diese Politiker werden in einer Karikatur thematisiert: „Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung warnt Juden davor, die Kippa in muslimischen Vierteln zu tragen“, heißt es da. Ein bärtiger Mann mit Gebetbuch, ein offensichtlich orthodoxer Jude, versteckt im Bild seine Kippa unter einem riesigen Sombrero. Was sagt das über die Arbeit der Beauftragten aus? Halberstam: Ein Antisemitismusbeauftragter kann nicht Deutschland verändern, er kann ja nur Hinweise und Anregungen geben. Die Aussage gab es wirklich. Sie diente einfach der Sicherheit. Der Beauftragte hat den Menschen ins Gewissen geredet. Aber die Gesellschaft, die Polizei, die Richter, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister müssen sich am Ende dafür engagieren, dass Juden auch in solchen Vierteln nichts passiert. Jedoch geschieht es ja allein hier in Berlin sehr häufig, dass ein Mensch zusammengeschlagen wird, weil er eine Kippa trägt. Die Position der Antisemitismusbeauftragten ist natürlich notwendig; aber was können sie denn allein wirklich verändern?
Und Sie möchten mit Ihrem Buch, Ihren Vorträgen und Ausstellungen etwas verändern?
Halberstam: Ich möchte eine Awareness für diese Fälle aufzeigen. Dass man sich mit Antisemitismus beschäftigt. Ich sage immer: Wenn es ein Partythema wird wie #MeToo, wenn es in aller Munde ist, dann beginnt sich was zu verändern. Die Veränderung muss im Kopf jedes Mitbürgers und jeder Mitbürgerin passieren. Die, die sowieso auf Hass getrimmt sind oder die festgefahren sind in ihren Positionen, wird man nicht ändern. Aber die anderen kann man versuchen zu erreichen und zu bilden und ihnen vielleicht ein bisschen bewusster zu machen: „Was sage ich denn da? Was denke ich denn gerade, und woher kommt das? Und das ist ja totaler Quatsch!“